Der Altroßgärter Friedhof.

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Der Altroßgärter Friedhof.

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Königsberger Winkel / Der Altroßgärter Friedhof.
Von Herbert Meinhard Mühlpfordt

Wie der Name schon sagt, weideten auf dem Roßgarten die Pferde, der Löbenichter
nämlich. Später wurde diese Straße, die vom Kreuztor am Blauen Krug vorbei durchs
Samland und über die Kurische Nehrung nach Riga führte, bebaut. Besonders setzte
hier Herzog Albrecht um ihres Glaubens willen vertriebene Holländer an. So wuchs
auch diese Vorstadt des stillen Löbenicht allmählich, und man ging daran, den
'Roßgärtnern' ein Kirchlein zu bauen. Der Löbenicht war aber nicht reich, und des-
halb mußte lange Zeit ein Kapellchen aus Holz den frommen Kirchgängern genügen.

Aber 1651 war es endlich so weit, daß man an den Bau einer Kirche gehen konnte.
Um den Gottesdienst nicht zu unterbrechen, baute man sie um die Holzkapelle herum,
die man erst 1683 abriß, als nach 32-jähriger Bauzeit der dreischiffige, auf 18 Pfeilern
ruhende Neubau mit flachem Holzgewölbe überspannt war. Der Turm blieb unvollendet
und wurde vorläufig mit einem Zeltdach gedeckt. Bei diesem Provisorium ist es dann
geblieben.

Neben dem zweiten östlichen Fenster der Südfront, also an der Altroßgärter Kirchstraße
neben dem hinteren Eingang, waren drei Ziegel säuberlich an die Wand gemauert. Von
ihnen erzählt die Sage, daß der Voranschlag so gut und genau berechnet worden war,
daß diese drei Ziegel als einzige Unrichtigkeit — und zwar auf der Habenseite — übrig
blieben. Wir dürfen diese Musterrechnung schon glauben, denn die Roßgärter Gemeinde
war zwar groß, aber arm wie eine Kirchenmaus Was Wunder, wenn ihre tüchtigen Pfarr-
herren den Baumeistern auf die Finger guckten.

Noch um 1900 sah sich die bitterarme Gemeinde genötigt, in ihren beiden barocken
Beichtstühlen von den Abendmahlsgästen die Abendmahlsgroschen in Empfang zu
nehmen, um Wein und Oblaten bezahlen zu können.

Mancher wird sich schon gefragt haben, wie in evangelische Kirchen, besonders
solche, die, wie die Altgroßgärter, erst in evangelischer Zeit gebaut wurden, Beicht-
stühle hineinkamen. Das erklärt sich daraus, daß auch die evangelische Kirche noch
lange Zeit, bis ins 18. Jahrhundert hinein, die Beichte abnahm.

Im Innern enthielt die Kirche eine schöne Barockausstattung: die Kanzel von 1666,
von einem Engel getragen, mit schöner Kanzeltür und Deckel; der Altar von 1672;
die Orgel, an deren Brüstung sich ein Kranz entzückender Engelsputten durch den
Raum schwang, und die Taufkapelle von 1692 mit prächtiger Schnitzerei.

Der Gottesacker mit seinen schönen alten Bäumen war zu einem schattigen Spiel-
platz für Kinder und Ruheplatz für alte Leute geworden — ein rechter stiller Königs-
berger Winkel. Hier konnte man stundenlang sitzen und von alten Zeiten träumen:
von den beiden Liebenden, denen auf dem gemeinsamen Grabe zwei Bäume ge-
pflanzt wurden, die sich so ineinander verschlungen, wie es nur Liebende tun.
Der Humorist Theodor Gottlieb von Hippel, von Beruf Königsbergs Stadtpräsident,
erzählte diese Geschichte. Aber schon in meiner Jugend waren diese Bäume längst
nicht mehr da, jede Liebe vergeht eben einmal.

Oder man konnte in Gedanken dem Plätschern und Murmeln des Brunnens zuhor-
chen, der an der Ostseite der Kirche am Ende der Kirchenstraße, im Pfarrgarten
in alter Zeit — die Sage sagt nicht wann — einer Witwe Dorothea Gnadcowius
gehörte. Er besaß eine ans Wunderbare grenzende Heilwirkung und schützte
auch Frauen vor Unfruchtbarkeit. Kranke kamen aus allen Himmelsrichtungen
und verließen den Wunderbrunnen geheilt. Da legte der Teufel des Geizes der
Witwe den Entschluß ins Herz, Geld für die Abgabe des heilkräftigen Wassers zu
verlangen, und von Stund an versiegte der wundertätige Brunnen.

Auch die Gräber erzählen alte Geschichten: Da war das Grab des Apothekers
Carl Gottfried Hagen, der die schöne barocke Hofapotheke in der Junkerstraße
besaß, die 1913 so leichtfertig abgerissen wurde. Er lebte 1749 bis 1829 und
war der berühmteste der Apothekerfamilie der Hagen. Er war Dr. med. et phil.
Professor der Chemie und Physik an der Albertina und der Begründer der
wissenschaftlichen Pharmazie. Seinen Bemühungen verdankte die Universität
1811 den Botanischen Garten. Sein Sandsteinmedaillon blickte vom Obergeschoß
der Universität auf den Königsgarten herab. Ein mächtiger Granitwürfel, an den
unteren Ecken vier klassizistische Urnen, schmückten sein Grab. Auch sein Sohn
Ernst August von Hagen, Kunstkritiker und Begründer der 'Prussia' (1797 - 1880)
lag hier. Ferner befanden sich hier die Gräber des Historikers Johannes Voigt
(1786 - 1863), des Altphilologen und Altertumsforschers Christian August Lobeck
(1781 - 1860) und des Direktors des Friedrichskollegiums Friedrich August Gotthold
(1778 - 1850).

An der Nordseite der Kirche lag das Erbbegräbnis der Familie des Stadtrates
Johann Gottfried Beckenstein. Es war mit einer 1784 von dem weiland Königs-
berger Schlossermeister Johann Michael Sommer hergestellten Rokokotür ver-
schlossen, die mit ihren Rosen, Blätterranken, Trauben nicht nur hervorragendes
Können, sondern auch feinsten Gedankenreichtum bezeugte. Was leisteten doch
die einfachen Handwerksmeister früherer Zeiten ! Sommer war sich seines
überragenden Könnens wohl bewußt. Hätte er sonst in diese Tür sein Signum
eingegraben: Fecit J. M. Sommer, den 2. März 1785 ?

Dieser geruhsame Königsberger Winkel ist dahin. Schon während des Zweiten
Weltkriegs entstand dort ein Bunker und bereits in der ersten Bombennacht
vom 26./27. August 1944 legten die Engländer den Roßgarten und mit ihm als
erstes Opfer Königsberger Kunstschätze die Altroßgärter Kirche in Trümmer.
Noch nicht die entsetzliche Zerstörung ahnend, die Königsberg drei Tage
später bieten sollte, sah ich voller Trauer im Kirchenschiff die zierlichen
Barockengelein, die so lange die Orgel umflattert hatten, zerschlagen unter
Glasscherben, Balken und Holztrümmern am Boden liegen.

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, Februar 1957

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