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Neustadt blieb Deutsch.
Mittelpunkt der Kaschubei / Saubere und geordnete Verhältnisse / Klosterschule erhalten.
An der nördlichsten Transitstraße, die nach 1920 durch den Weichselkorridor von Pommern
nach Danzig und Ostpreußen führte, liegt, umgeben von bewaldeten Höhenrücken, das west-
preußische Neustadt an dem Flußlauf der Rheda. Diese Stadt, die durch den Versailler Vertrag
gegen den Willen ihrer Bürger aus dem jahrhundertealten kulturellen und wirtschaftlichen
Zusammenhang mit Deutschland gewaltsam herausgetrennt wurde, ist ähnlich wie Lyck als
Hauptstadt Masurens hier die Hauptstadt der Kaschubei.
Wie Masuren ist auch die Kaschubei reich an landschaftlichen Schönheiten und volkskund-
lichen Eigenheiten, die die beiden alten baltischen Volksgruppen als deutschsprechende und
deutschempfindende slawische Minderheiten innerhalb der alten Reichsgrenzen bis auf den
heutigen Tag in erstaunlicher Unverfälschtheit bewahren konnten.
Wer Neustadt vor dem Kriege kannte und heute nach wiederum fast 15-jähriger polnischer
Verwaltung in die Stadt kommt, ist erfreut darüber, wie wenig sich hier eigentlich trotz der
schweren Nachkriegsjahre verändert hat.
Seit 1920 haben die Polen Zeit gehabt, diese Stadt sowie das ganze Korridorgebiet intensiv zu
polonisieren. Jedoch haben sie dabei weitgehend Rücksicht auf die verbliebene Bevölkerung
genommen und versucht, sie über ihre slawische Herkunft als Restbestand der "Kaschubskis"
für die neuen politischen Verhältnisse zu gewinnen. Die Kaschuben aber, die durch eine jahr-
hundertelange deutsche Kultur nicht einmal die Ansprüche einer völkischen Minderheit bis
1920 geltend machten, haben unter der polnischen Verwaltung bemerkenswerterweise bis
zum heutigen Tage ihr Deutschtum nicht aufgegeben. Erstaunlicherweise war für mich bei
meinem Aufenthalt in dieser Stadt, daß die Umgangssprache der alteingesessenen Bevölker-
ung, die hier etwa noch 65 - 70 Prozent zählt, deutsch geblieben ist. Es handelt sich dabei
nicht immer um ein sprachlich reines Deutsch, sondern um eine interessante Vermischung
mit slawischen Worten, die nicht in jedem Fall polnisch zu sein brauchen.
Zuwanderern aus Zentral- und Ostpolen gelang es in diesen kaschubischen Gebieten kaum, Fuß
zu fassen, da sie auf relativ geordnete soziale Verhältnisse der verbliebenen Bevölkerung stießen.
Es fiel mir auf, daß die Kaschuben heute verschiedentlich recht deutlich und auf merkwürdige
Weise von ihrem Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland demonstrativ Gebrauch machen. So ent-
deckte ich an einer Hauswand in Neustadt, obwohl man sonst in den polnisch verwalteten deut-
schen Gebieten größten Wert auf die Beseitigung aller deutschen Inschriften gelegt hat, eine
riesige Reklame-Inschrift der Singer-Nähmaschinen-Werke. Ein Bewohner der Stadt, der mich
führte und ein ausgezeichnetes Deutsch sprach, erklärte mir auf meine Frage, daß man in
Neustadt diese deutsche Reklame-Inschrift wie viele andere deutsche Auf- und Inschriften in
den Jahren 1956 und 1957 erneuert hätte, um sich wieder „wie in alten guten Zeiten zu fühlen".
Sicherlich gibt es noch sehr viele Beispiele dieser Art des Bekennens der Kaschuben zu Deutsch-
land, doch schien mir diese so typisch und vielsagend für die gescheiterten Bemühungen und
das Werben der Polen um slawische Minderheiten innerhalb der alten Reichsgrenzen zu sein,
von denen Gomulka und Zawadski als von den "Bodenständigen" sprechen, die den "brutalen
Germanisierungsprozeß" abgewehrt hätten und in denen das tiefe Gefühl der Zugehörigkeit
zum polnischen Volk fest verwurzelt sei.
Das deutsche Neustadt, das jetzt wieder den polnischen Namen Wejherowo trägt, ist auch durch
diese Umbenennung nicht einmal polnisch-klingend geworden. Die ersten beiden Silben des
polnischen Städtenamens sind zumindest deutsch, da als Begründer der Stadt der deutsche Ritter
Jakob von Weiherr genannt wird.
Neustadt hat bis zum heutigen Tage für die Gläubigen der katholischen Kirche einen besonderen
Anziehungspunkt. Ein Nachkomme des Jakob von Weiherr hat auf ein Gelübde im schwedisch-
polnischen Krieg hin die 33 Kapellen des Kalvarienberges auf den Anhöhen erbauen lassen, die
die Stadt umgeben. Da es in Polen nur noch zwei Kalvarienberge in Czestochowa und Kalvaria
gibt, ist Neustadt zum nördlichen Mittelpunkt von Prozessionen und Wallfahrten geworden.
Das 1643 erbaute Kloster, von dem aus deutsche Franziskanermönche ein weiteres Missionsfeld
für die Kirche eroberten, ist auch heute wieder mit der Klosterschule Mittelpunkt des geistigen
Lebens der Stadt. Das ehemalige Schloß des Grafen von Kayserling ist nun zu einem Taubstum-
menheim für Kinder im Alter von 3 - 5 Jahren geworden.
Eine besondere wirtschaftliche Bedeutung hat die Stadt nicht mehr. Die einzigen größeren ver-
staatlichten Unternehmen, die jetzt noch arbeiten, sind drei Ziegeleien, mehrere moderne und
leistungsfähige Sägewerke und die Niederlassung der Danziger Aktienbrauerei, die über eine sehr
alte Tradition als Klosterbrauerei verfügt. Die Stadt weist heute so gut wie keine Kriegsschäden
mehr auf und ist durch die Bemühungen und Anstrengungen der alteingesessenen Bevölkerung
wieder zu einer verhältnismäßig sauberen ostdeutschen Stadt geworden, in der jetzt 14.000
Menschen leben.
Offensichtlich verläßt man auch geordnete landwirtschaftliche Verhältnisse in der Umgebung der
Stadt, wenn man von hier aus weiter in Richtung Lauenburg Pommern fährt. Auf der Strecke bis
dorthin führt der Weg an verlassenen und verwüsteten Ortschaften vorbei. So ist denn Neustadt
mit seinen Menschen ein schönes Beispiel dafür, wie Deutsche trotz größter Entbehrungen und
politischer Wandlungen durch ihren einzigartigen Fleiß und durch Beharrlichkeit ihre Stadt vor
dem Untergang bewahren konnten, der so vielen anderen deutschen Städten in diesem Land
beschieden war.
Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, Januar 1960
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Neustadt an der Rheda: Mittelpunkt der Kaschubei.
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