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Was wir lieben, ist geblieben.
Friedhöfe, Kirchhöfe und Gräber in Königsberg. Von Karl Herbert Kühn
Die christlichen Kirchen haben die Tage, an denen sie im Besonderen der
Toten gedenken, in den November gelegt, in den Monat der Nebel, in dem die
sichtbare Welt zu versinken scheint und der Mensch, der noch nachdenkt, in
sein Inneres einkehrt. Dort hält er auch mit denen, die im Leben ihm nahe,
die ihm lieb waren, Zwiesprache. Und er wandert gerade dann zu den Stätten
der Stille, an denen sie nun ruhen. Wir, die wir die Heimat verloren haben,
können diesen Weg freilich nur in Gedanken gehen. Die Gräber, die wir suchen,
liegen nun zu fern. Und wer weiß — es ist bitter, darum wissen zu müssen —,
wer weiß, ob sie heute auch zu finden noch wären. Als die Russen Königsberg
im Jahre 1945 beschossen, zerwühlten die Granaten auch die Äcker der Toten,
und auf vielen der Friedhöfe sahen die Augen nichts anderes als Trichter bei
Trichter, wie uns die dann berichteten, die damals noch einmal zu den
Gräbern der Ihren zu gelangen versuchten.
Vor dem Königstor.
Man mußte in unseren Tagen auch in Königsberg „vor die Tore" gehen, suchte
man die Ruhestatt eines Abgeschiedenen auf. Vor dem Sackheimer Tor, zur
Linken der Chaussee, die nach Tapiau führte, schliefen Soldaten ihren
letzten Schlaf. Dort befanden sich der katholische und der neue evangelische
Friedhof der Garnison. Wohl die bekannteste Straße, die sich zwischen
Friedhöfen hinzog, war indessen doch die, die am Königstor begann, die
'Königsallee', wie sie eine Zeitlang hieß. Im Glacis, das sich dort hinter
dem Festungsgraben erstreckte, entdeckte man, gleich vorn, schon nach
wenigen Schritten mitten im Rasen unter den alten Bäumen einige steinerne
Grabplatten, deren Namen verrieten, daß hier Männer begraben wurden, die
vor hundert und mehr Jahren in der Geschichte der Stadt eine Rolle gespielt
hatten. Einer von ihnen war Heidemann, ein früherer Oberbürgermeister von
Königsberg.
Doch zur Rechten der Allee eröffnete sogleich der erste Sackheimer Friedhof
die lange Reihe der großen, geräumigen Gärten mit ihren zahllosen
Gräberreihen. Sie lagen Zaun an Zaun, einer schloß sich an den anderen an,
die reformierten Friedhöfe (einer von ihnen war der französisch-reformierte),
der alte evangelische Militär- und der katholische zivile Friedhof, der Fried-
hof des Löbenicht und der zweite des Sackheim. Gegenüber, auf der anderen
Seite der Allee, breiteten sich weit die Gräbergärten aus, die nun zu der Kirche
des alten Roßgartens gehörten. Hinter ihnen, schon grenzend an das Gelände
von Carolinenhof, auf dem die Pferderennen geritten wurden, lag, zur Seite
des Fahr- und des Reitweges durch das Glacis, der alte jüdische Friedhof.
Weiterhin, die Allee entlang, und nun hier nur zur Linken noch rückte man
die Anlagen für die neueren Friedhöfe ein gutes Stück von der Straße weg,
hinter private, kleine Nutzgärten, schon Vorläufer der Schrebergärten; auch
Gärtnereibetriebe sah man hier. Es ergab sich auf der langen, sich windenden
Allee, die bei dem Königstor begann, zumal an Sonntagen im Sommer ein
seltsames Bild: vor den Toren der Friedhöfe die kleinen, hölzernen, grün
angestrichenen Buden mit Blumen und Kränzen, die für die Gräber bestimmt
waren; in den Gärten des Café Sprind, des 'Ludwigshofs' (später als 'Tivoli'
bekannt), der 'Königshöh' an der Ecke zu der Fürst-Radziwill-Straße, die zur
Kaserne der ersten Pioniere hinaufstieg, der 'Villa Schweizertal' gegenüber
dem hügeligen Kleistpark und anderer 'Etablissements', die mit bunten
Tischtüchern gedeckten Tische, an ihnen die Familien, die ihren in kleinen
Tüten schon gemahlenen mitgebrachten Kaffee hier sich aufbrühen ließen.
Zwischen Pillauer Landstraße und Veilchenberg.
Vor dem Roßgärter Tor, an der Chaussee Allee, umgab den Rundbau des
Krematoriums der weitläufige Gemeindefriedhof, den die Stadtverwaltung
betreute. Auf ihm kannte man keine Unterschiede nach der Konfession der
hier Begrabenen, eine, menschlich gesehen, ideale Einstellung. Ein weites
Friedhofsgelände erfüllte den Raum zwischen der Pillauer Landstraße und der
Höhe des Veilchenberges, sich auf der anderen Seite der stillen Straße vor
und hinter dem Park Luisenwahl noch fortsetzend. Hier wurde die ernste,
verhaltene Stimmung, die von Gräbern herüberweht, durch keine Kaffeegärten
unterbrochen (bis auf das eine Etablissement, die 'Neue Welt', die sich
später dann 'Tusculum' nannte). Die Luisenkirche, die vor dem Anfang des
Hammerweges stand, begleitete mit ihrem Geläut die Toten ihrer Gemeinde zu
ihren beiden Friedhöfen hin, die an eben diesem Hammerwege, vor und hinter
dem Hammerkrug und der Kunstakademie, lagen. Zur Rechten der Steffeckstraße,
die von der Lovis-Corinth-Straße zu dem Prussia-Samland-Sportplatz ging,
erblickte man den neuen jüdischen Friedhof. Auch an der Berliner Chaussee,
vor unserem Brandenburger Tor, fand man zur Seite des hier rastlosen
Wagenverkehrs stille, besinnliche Gärten der Toten.
In früheren Zeiten (in den frühesten, muß man sagen), legte man auch in
später dann großen Städten die Toten um die Kirche, zu der sie als Lebende
gingen, in die Erde. Sie schliefen auf dem Kirchhof. In unseren Tagen war
zum Beispiel von dem ältesten Friedhof, dem Kirchhof des Doms, noch nicht
einmal der Rasen geblieben. Es grünten dort nur schöne, still duftende
Linden. Doch gab es bis zuletzt auch innerhalb der alten Stadt, auch in
Königsberg noch Gräber aus vergangener Zeit: in dem unteren Volkspark zu
Füßen der Sternwarte, — zwischen dem Alten Garten und dem oberen Haberberg
zu dem Brandenburger Tor hin; und um eine der alten, der bekanntesten
Kirchen blieb ein Kirchhof erhalten: um die Haberberger Kirche, auf deren
Turm, der von der Sohle bis zur Spitze nicht weniger als 77 Meter maß, ein
vergoldeter Engel eine vergoldete Trompete hob.
In der äußeren Mauer dieses Haberberger Kirchhofs steckte eine Kanonenkugel,
in deren Umschrift man las: „Erinnerung an das französische Bombardement am
14. Juni 1807“. Die französischen Batterien, die auf Königsberg schossen,
standen damals bei Rosenau. An einer Stelle dieses Kirchhofs, die freilich
nicht mehr bekannt war, lagen auch die Gebeine der drei Räte des Herzogs
Albrecht, des ersten preußischen Herzogs (Schnelle und Horst und des Hof-
predigers Funcke), die 1566, gegen den Willen des Herzogs, wegen ihrer
Verbindung mit dem kroatischen Abenteurer Scalichius (Skalich) hingerichtet
wurden.
Außerhalb der "alten" Stadt, in Juditten und Quednau, ruhten die Toten noch
immer im Schatten der Mauern ihrer Kirche. Zumal den Juditter Kirchhof, der
hügelig anstieg, durchspann eine Stimmung von seltenem Hauch.
Familiengrüfte auf dem oberen Haberberg.
Es gab auf manchem der Friedhöfe noch kleine Mausoleen, so auf dem alten
Friedhof der Luisengemeinde. Doch ruhten auch Tote in gemauerten Grüften
besonderer Art. Ist die Fürstengruft im Dom wohl allen Königsbergern noch
bekannt, so werden doch nicht alle um die Familiengrüfte wissen, die auf den
alten Friedhöfen zwischen dem Alten Garten und dem oberen Haberberg
zuweilen, sehr selten, noch Nachkommen alter Königsberger Familien
aufgenommen haben. Diese Grüfte bedeckten statt des Hügels oder Rasens zwei
einfache, schwere, eiserne Platten mit eisernen Ringen, die eine neben der
anderen. Sollte dann ein Sarg in die Gruft hinunter, so klappte man zuvor
die Platten auseinander, als läge da ein Schrank.
Zwei Stellen, an denen Tote mit bekanntesten Namen in ihren Särgen schlafen,
mitten in der Stadt, dürfen hier nicht übergangen werden. Wohl weiß jeder um
das Grabmal des Immanuel Kant an der Nordseite des Doms. Doch wer beachtete
schon viel den steinernen Würfel, der im Hintergrund des
Kaiser-Wilhelm-Platzes, überschattet von Bäumen, stand. Hier befand sich bis
zu ihrem Abbruch der Altar der früheren Altstädtischen Kirche. Vor ihn hat
man Hans Luther bestattet, einen Sohn des Reformators, der auf einer Reise
in Königsberg starb.
Alte Königsberger erinnern sich gewiß noch des Kirchhofs der Altroßgärter
Kirche (an der Altroßgärter Kirchenstraße). Neben der Kirche sprang früher
"der heilige Brunnen", wie der Volksmund ihn nannte. Seinem Wasser, so sagte
man, war Heilkraft gegeben. Das wollte sich eine Eigentümerin des Brunnens
zunutze machen. Sie forderte von jedem, der sich das Heilwasser holen oder
es vom Brunnen weg trinken wollte, zuvor eine Gebühr. Von Stund an, so
berichtet die Sage, verlor das Wasser seine Kraft zu heilen.
Den Kirchhof dieser Kirche, der Altroßgärter also, der schon vielfach um
seiner herrlichen Linden willen besungen wurde, rühmte ein Dichter um die
Mitte des 18. Jahrhunderts also: Der schöne Kirchhof stellt im hellen Sommer
mir / den auserlesensten von allen Gärten für.
Bis zu den Pregelbrücken getragen.
Interessant ist gewiß eine Königsberger Polizeiverordnung aus dem Jahre
1698. Sie bestimmte, daß bei Begräbnissen außer Verwandten und nächsten
Freunden nicht mehr als zwanzig Männer und zwanzig Frauen zum Gefolge hinter
dem Sarge eingeladen werden durften. Auch sollten die Hinterbliebenen nicht
zu lange durch Jungfrauen bemitleidet werden, da sonst die leidtragenden
Frauen von den Bekannten im Sterbehause noch immer festgehalten würden,
wenn die Männer schon vom Friedhof kämen. Die Frauen sollten den Männern
unverzüglich folgen, auf das denn die Begräbnisse nicht einen halben Tag
lang dauerten, und die singenden Schüler, die Pauperhaus- oder die
Kurrendeschüler, in dieser Zeit nicht viel zu versäumen hätten.
Die Toten wurden früher — auch in den drei Städten von Königsberg — zum
Friedhof nicht gefahren, sie wurden getragen. Selbst die Mitglieder des
reichen kneiphöfischen Junkerhofs erwiesen ihren Mitjunkern diesen letzten
Dienst, nach einer späteren Ordnung aus dem Jahre 1614 allerdings nur bis
zur Brücke; dann traten für den Rest des unbequemen Weges gemietete Träger
an ihre Stelle.
Quelle: OsSTPREUSSENBLATT, 24. November 1956
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