Die Russen in Ostpreußen 1914/15.

Die Russen in Ostpreußen 1914/15.

Beitragvon -sd- » 12.06.2016, 07:32

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Ich suche Informationen über die "Russenzeit in Marggrabowa"
(dem späteren Treuburg) 1914/15. Gab es eine angeordnete
Evakuierung oder war sich jeder selbst überlassen ? Durfte man
die Stadt überhaupt verlassen ? Gab es Plünderungen der ver-
lassenen Wohnungen und Geschäfte ?

U. K.



Zum Thema Kriegsverbrechen gibt es ein ausführliches Buch,
in dem die Kriegsberichte aus allen Ortschaften Ostpreußens
eingeflossen sind:

Dr. Fritz Gause 'Die Russen in Ostpreußen 1914/15',
Gräfe und Unzer Verlag, Königsberg 1931.

Marggrabowa wird auf mehr als fünfzehn Seiten behandelt.

Antiquarisch sehr selten und teuer.
Per Fernleihe dürfte das Buch aber erhältlich sein.

Marc Plessa
http://www.marc-plessa.de/privat/

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Gegen die Verwendung meiner Beiträge aus Mailinglisten habe ich
keine Einwände, da diese eh jederzeit abrufbar sind. Marc Plessa



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Dazu gibt es einen (mir unbek.) Bericht des Pfarrers Vogelreuter in:
Carl Moszeik (Hrsg.) 'Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer.'
Band 2/2. 4. Aufl. 1915. Verlag Edwin Runge, Berlin-Lichterfelde.

Des weiteren sind die Kreisbücher zumeist eine gute Quelle. Hier
Rudolf Grenz (Bearbeiter), Kreisgemeinschaft Treuburg e.V. (Hrsg.):
'Der Kreis Treuburg. Ein ostpreußisches Heimatbuch.'
1971. Verlag A. Czygan, Lübeck.

Meines Wissens sind die Zivilpersonen im Ersten Weltkrieg nicht evakuiert
worden, denn die Erfahrungen mit Krieg waren noch die von einem Krieg,
der zwischen Armeen auf Schlachtfeldern ausgefochten wurde: Die Zivil-
bevölkerung hatte v.a. durch Requirierungen zu leiden. - Daß dies aber
in diesem Krieg anders wurde, hatte sich bald gezeigt. Man floh also auf
eigene Faust Richtung Königsberg. Nur dort, wo eine Stadt quasi zum
Gefechtsfeld werden mußte, ist die Bevölkerung zur Flucht bewegt worden.
Dies war in Lötzen so der Fall, als die Feste den Durchgang zwischen den
Masurischen Seen für ein paar Wochen abriegeln mußte, um die geplante
Schlacht bei Tannenberg zu decken.

Man durfte seinen Ort selbstverständlich verlassen. (Unerlaubte) Plünder-
ungen durch die Russen waren sehr verbreitet, v.a. aber die Zerstörungen,
die über das Maß der Zerstörung militärischer Infrastruktur (Bahnstationen,
Telegraphenstationen, Wehre, Brücken) hinausgingen, wobei letzteres die
Aufgabe der Kosaken war, die gleich am 1. August eingefallen waren. So
wurden insbesondere viele wertvolle Gebäude, Gutshöfe, Mühlen usw.
abgebrannt. (Es ging sogar so weit, daß man sich die Mühe machte, die
Bäume ganzer Alleen abzusägen.) Vor allem aber war die Stellung von
Geiseln in den Ortschaften im Zshg. mit der Angst der Russen vor
Partisanentum, deren Erschießung, Übergriffe auf Frauen, wie auch die
Verschleppung von Zivilisten ein Problem in den besetzten Ortschaften
.
Etwa 13.600 ostpreußische Zivilpersonen sind verschleppt worden, und
es sind etwa 4.000 nicht zurückgekehrt. Die letzten kamen in den 1920er
Jahren zurück, weil man sie in der Sowjetunion "vergessen" hatte.

Th. Salein

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Re: Die Russen in Ostpreußen 1914/15.

Beitragvon -sd- » 25.06.2021, 11:48

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Der Angriff auf Ostpreußen 1914.
Von Dr. Walther Grosse

Als am Sonnabend, dem 1. August 1914, nach 17 Uhr die deutsche Mobil-
machung verkündet wurde, da nahm man im Grenzland Ostpreußen diese
schicksalsschwere Nachricht mit Begeisterung, aber doch auch wieder mit
feierlichem Ernst auf. Ahnte man doch in den weiterblickenden Kreisen
der Bevölkerung, was im Osten ein Krieg mit Rußland bedeuten mußte,
ein Krieg mit jenem Staat, mit dem man über 150 Jahre lang in gut nach-
barlichem Frieden gelebt hatte — nun aber schien plötzlich ein neues Zeit-
alter anzubrechen. Ungewöhnlich reich war in diesem heißen Sommer die
Ernte auf den ostpreußischen Feldern gewesen — wem würde sie zugute-
kommen ?

Von den acht deutschen Armeen gingen damals sieben über den Rhein,
nur eine, die 8., aus ostdeutschen Regimentern bestehend, war bestimmt
zur Verteidigung Ostpreußens. Die Hauptlast des Kampfes gegen das Zaren-
reich würde — so hoffte man — der österreich-ungarische Bundesgenosse
zu tragen wissen.

Zehn Tage nach dem Kriegsausbruch zeichneten sich die kommenden Ereig-
nisse schon schärfer ab. Zwei russische Armeen, jede für sich allein schon
den deutschen Streitkräften überlegen, waren auf Ostpreußen angesetzt,
im ganzen 485.000 Gewehre gegen knapp 173.000. Die nördliche Njemen-
Armee sollte im Pregeltal auf Königsberg vorgehen, die südliche Narew-
Armee durch Masuren hindurch auf Allenstein.

Die Räumung großer Teile Ostpreußens erschien als dringendes Gebot der
Stunde. Sie erfolgte zwar in großer Eile, aber doch rechtzeitig und längst
nicht mit jener Überhastung in letzter Stunde, die im letzten Weltkrieg
so unsagbares Elend über unsere Landsleute brachte. Die Zahl der im
August 1914 Flüchtenden wurde auf 180.000 geschätzt; sie fanden bis
nach Osnabrück hin überall bereitwilligste Aufnahme. Es war wie ein
kleines Vorspiel zu den weit grauenhafteren Ereignissen dreißig Jahre später.

Die Umfassungsschlacht von Tannenberg.

Aber die russischen Träume von der raschen Eroberung "Neu-Russlands"
durch zahlenmäßige Überlegenheit sollten sich nicht so bald erfüllen.
Schon die schweren Kämpfe bei Gumbinnen am 20. August kosteten sie
sehr starke Blutopfer. Und als auf deutscher Seite der Plan, hinter die
Weichsel zurückzugehen, durch die im letzten Augenblick erfolgte Beru-
fung Hindenburgs und Ludendorffs aufgegeben wurde, gelang es genialer
Führungskunst im Verein mit der in jedem Sinne prachtvollen Truppe in
der sechstägigen Schlacht bei Tannenberg auf einer Frontausdehnung von
weit über hundert Kilometer die Narew-Armee völlig zu vernichten.

Es war damals anders als im Zweiten Weltkrieg. Initiative und Verantwor-
tungsfreudigkeit der Führer, seit den Tagen Friedrichs des Großen im
preußisch-deutschen Heer als vornehmstes Erbteil immer wieder gepflegt
und betont, zeigten im raschen Erfassen der rechten Stunde im großen
und kleinen ihre entscheidende Bedeutung; die Führung wurde nicht
kleinlich eingeengt wie dreißig Jahre später von einem Manne, der in dem
Wahn lebte, Armeen seien ebenso zu lenken wie Parteiversammlungen.
Nur so konnte diese so volkstümlich gewordene Schlacht siegreich durch-
gefochten werden mit einer feindlichen Armee im Rücken, die jeden Tag
durch ihr Eingreifen dem Kampf eine ganz andere Wendung geben konnte.
Aber jene Armee marschierte unter Rennenkampf in Unkenntnis und
falscher Beurteilung der Lage weiter auf Königsberg zu, bis es zu spät zum
Eingreifen war. Ein russisches Kavalleriekorps, aus sechzehn Regimentern
bestehend, machte in den letzten Augusttagen im Rücken Hindenburgs
einen erfolglosen Vorstoß weit ins Ermland hinein bis nach Guttstadt und
Wormditt.

"Wespennest Ostpreußen".

Um Ostpreußen vom Gegner frei zu machen, galt es nun den Schlag gegen
Rennenkampf zu führen; viel Ruhe konnte der Truppe nach Tannenberg
nicht gewährt werden. In achttätiger Arbeit hatte sich der Russe gut ver-
schanzt in einer Stellung, die sich schließlich vom Kurischen Haff bis an
den Spirdingsee hinzog. Der kühn und großangelegte deutsche Angriff
sollte Anfang September ein zweites Cannae-Tannenberg werden. Das
Ziel wurde nicht ganz erreicht, da Rennenkampf sich durch einen Rückzug
der Umfassung entzog. Trotzdem war die 'Schlacht an den Masurischen
Seen' ein bedeutender Erfolg. Sie brachte uns 45.000 Gefangene und 150
Geschütze. Rennenkampf war nicht mehr kampffähig und ging über die
Grenze hinter die Wälle von Kowno zurück. Die vier Wochen in Ostpreußen
vom 20. August bis 14. September hat die Zarenarmee im ganzen Kriegs-
verlauf nie mehr so recht verwinden können. Und noch einmal, mitten
in dem besonders strengen Winter 1914/1915 stand das ostpreußische
Land im Mittelpunkt des großen Kriegsgeschehens. Trotz aller Verluste
war doch bisher nur ein Teil der gewaltigen russischen Streitmacht außer
Gefecht gesetzt. Der Russe gab den Kampf um Ostpreußen noch nicht auf,
eine russische Teil-Unternehmung bemächtigte sich im Winter durch einen
Überfall sogar zeitweise der Stadt Memel. Neue Rüstungen ließen nach den
Erfolgen in Galizien im Frühjahr auf den angekündigten "gigantischen Angriff"
schließen.

Dieser fraglos sehr großen Gefahr kam Hindenburg, dessen Hauptquartier
jetzt in Insterburg war, zuvor durch einen überraschenden Angriff auf langer
Front. Die Geheimhaltung gelang vollständig. Unter den ungünstigsten
Wetterverhältnissen, in Schneesturm und Glatteis begann bei Johannisburg
der deutsche Ansturm, die Front dehnte sich aus bis in die Gegend von Tilsit.
Die Geschütze mußten mit zwölf Pferden bespannt werden. Die Fernsprech-
Leitungen brachen unter der Last des Schnees. Zwei Wochen schwersten
Ringens stellten an Führung und Truppe größere Anforderungen als Tannen-
berg. In den düsteren Wäldern von Augustowo spielte sich die letzte Ver-
nichtungsart ab; die Beute war größer als bei Tannenberg. Der Haupterfolg
aber bestand darin, daß unsere Heimat nach drei großen Schlachten nun
endgültig befreit war; den Russen war der Appetit auf das "Wespennest
Ostpreußen", wie sie es schließlich nannten, ein für alle Mal vergangen.

Das Opfer der ostpreußischen Bevölkerung.

Aber das so hart geprüfte Land hatte auch schwere Opfer bringen müssen.
Von seinen zweieinhalb Millionen Einwohnern hatten bis zum Februar 1915
insgesamt 800.000 ihre Heimat verlassen müssen, etwa 100.000 Familien
hatten ihre gesamte Habe verloren. Etwa 14.500 Zivilpersonen wurden im
August 1914 von den Russen sinnlos verschleppt, 1.450 von ihnen fanden
ihr Grab in fremder, kalter Erde, und von weiteren 4.000 hat man nie wieder
etwas gehört. Erschossen wurden 1.491 unschuldige Menschen; viele werden
sich gewiß noch des Denkmals im Dorf Abschwangen bei Domnau erinnern,
wo am 30. August 81 Einwohner ermordet und 80 Gebäude in Brand gesteckt
wurden. An Gebäuden wurden 34.000 niedergebrannt oder in Gefechten
zerstört; einzelne Städte wie Gerdauen und Hohenstein lagen fast völlig in
Trümmern. Da überall die reiche Ernte die Scheunen bis hoch hinauf zum
Dache füllte, so entstand fast bei jeder Artillerie-Beschießung ein größerer
Brand. Auch die Verluste an Pferden und Vieh mögen erwähnt sein:
135.000 Pferde, 250.000 Rinder und 200.000 Schweine.

Kaum war der Russe mit Beginn des Frühjahrs 1915 aus Ostpreußen verjagt,
da begann der zurückgekehrte Bauer in alter Zähigkeit mit dem Pflügen,
überall in Stadt und Land regten sich sogleich die Kräfte: der Wiederaufbau
unserer Heimat in einer Zeit, da sie rings noch umgeben war von einer Welt
von Feinden, wird für immer eine große Tat bleiben. Der Ostpreußenhilfe,
eines Verbandes von Städten und Vereinigungen im Reich, und ihrer tat-
kräftigen Übernahme von Patenstellen für den Wiederaufbau, sei auch heute
noch dankbar gedacht.

Durch die Abstimmung in schwerster Zeit, am 11. Juli 1920, die unter den
Bajonetten seiner Gegner erfolgte, hat Ostpreußen in alter Treue seine
Dankesschuld abgetragen: Trotz aller Gegenpropaganda und Versprechungen
von polnischer Seite stimmten mehr als 98 v. H. für Deutschland.

In beiden Weltkriegen wurde mit schwersten Opfern um unsere Heimat
gerungen. Mag das äußere Geschehen auch zeitweilig dagegen sprechen —
Ostpreußen ist unlösbar mit dem deutschen Mutterlande verbunden und
wird dereinst wieder deutsch werden. Mögen die Toten von 1914/1915 und
1944/1945 uns mahnen, nie nachzulassen im Kampfe um unsere Heimat !

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 31. Juli 1954

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Dreizehn Dörfer am Spirdingsee abgerissen.

In dem Gebiet südlich des Spirdingsees, des im polnisch besetzten Teil von
Ostpreußen gelegenen zweitgrößten deutschen Binnensees, sind seit 1945
dreizehn Dörfer und Ortschaften abgebrochen worden, geht aus einem
soeben eingetroffenen Bericht hervor. Im Einzelnen handelt es sich um
Gehsen, Reihershorst, Sdunowen, Gimna, Königsdorf, Henriettental,
Turoscheln, Lüpnicken, Königstal, Sarnow, Jankowken, Burgsdorf und
Wundollen. Alle Äcker dieser Dörfer liegen brach. Ferner wurden die Mühlen
in Bialiki und Grusen demontiert. Auch die Eisenbahnstrecken von Johannis-
burg nach Sensburg und von Johannisburg nach Arys sind abgerissen worden,
stattdessen verkehrt ein Omnibus. Der Fischfang auf dem Spirdingsee ist
sehr stark zurückgegangen. Fischbrut ist nicht mehr ausgesetzt worden,
auch während der Laichzeit wird der Fischfang mit engmaschigen Netzen
weiter betrieben. Lediglich das Abholzen der Johannisburger Heide ist ge-
steigert worden. Sieben fliegende Sägegatter arbeiten ununterbrochen. Das
Holz wird an die Bahnlinie Rudczanny—Allenstein transportiert, an deren Bahn-
höfen sich überall riesige Stapelplätze befinden. Auch an den Abfahrtsstraßen
ist oft kilometerweit Holz gestapelt. Ferner wird die Pissek zum Abflößen der
Stämme benutzt.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 31. Juli 1954

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