Die Forderungen des 17. Juni 1953.

Informationen im Zusammenhang mit der ehemaligen 'Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)' und späteren DDR.

Die Forderungen des 17. Juni 1953.

Beitragvon -sd- » 25.12.2021, 20:25

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Die Forderungen des 17. Juni 1953.

Mit tiefer Erschütterung haben die Deutschen, mit Erstaunen und Mitgefühl
die Bewohner der westlichen Welt die Nachrichten und Berichte von den
Ereignissen in Ost-Berlin und in Mitteldeutschland gehört und gelesen.
Hier stand eine geknechtete und gequälte Bevölkerung auf gegen ihre Unter-
drücker, um für Menschenrecht und Menschenwürde, für Freiheit und Frieden
und für die Wiedervereinigung Deutschlands zu demonstrieren. Sie traten
also für das ein, was die Propaganda des Regimes als politische Zielsetzung
ausgab, während diese verhaßten Machthaber zugleich alles taten, um die
Realisierung dieser Forderungen zu verhindern. Unter den Kugeln der Scher-
gen und durch das Eingreifen der Besatzungsmacht wurde diese wahrhafte
Revolution des Volkes niedergeschlagen, aber weder die einsetzende Welle
der Verfolgungen, noch die Massenverhaftungen und der Terror vermögen die
Auswirkungen zu unterbinden, die dieser Aufschrei eines unterdrückten Volkes
in West und Ost haben muß und haben wird. Die Ereignisse des 17. Juni 1953
haben die politische Situation nicht nur in Deutschland, sondern überhaupt
in Ost und West verändert; denn sie haben Klarheit geschaffen, wo eine
geflissentliche Propaganda die Tatsachen verzerrt hatte, und sie ermöglichen
daher die Fassung eindeutiger Entschlüsse für die Zukunft. Jetzt sind alle
Deutschen aufgerufen, die verantwortlichen Politiker in Ost und West zu
veranlassen, Zustände zu ändern, deren Unhaltbarkeit sich erwiesen hat
und deren Beibehaltung zu einer ernsten Gefährdung des Friedens werden
könnte.

Was die Auswirkungen des 17. Juni für den Westen anbetrifft, so ist festzu-
stellen, daß jene unsinnige Propaganda, welche die Wiedervereinigung
Deutschlands durch Spekulation auf die Furcht vor einem „deutschen Verrat"
zu hintertreiben oder wenigstens auf unabsehbare Zeit zu vertagen suchte,
als hinterhältige Lüge entlarvt worden ist. Jetzt muß jeder amerikanische
oder englische oder sogar französische Politiker einsehen, daß eine Wieder-
vereinigung Deutschlands niemals und unter keinen Umständen eine
„Gefährdung der Sicherheit" der westlichen Welt mit sich bringen würde,
sondern daß die Herausbildung eines gesamtdeutschen Staates eine
Sicherung des Friedens und der Freiheit bedeutet, sofern hinreichend dafür
Sorge getragen wird, daß dieses Gesamtdeutschland nicht einer Aggression
von außen zum Opfer fallen kann.

Für den Osten aber ist nun klargestellt, daß irgendwelche Hoffnungen und
Erwartungen — sofern sie dort für die wiederholt vorgebrachten Vorschläge
zur Wiedervereinigung Pate gestanden haben sollten — durch „Salami-Taktik",
also durch allmähliche kommunistische „Gleichschaltung“, ein entstehendes
Gesamtdeutschland zu einem Satellitenstaat zu machen, aussichtslos sind,
wenn nicht die Panzer und Bajonette der Sowjetarmee zur Verfügung stehen.
Zwar darf — von Westdeutschland her gesehen — die Gefahr nicht unter-
schätzt werden, daß die Kader der „Volkspolizei" und der kommunistischen
Organisationen neu überholt und auf eventuell subversive Aktionen „aus-
gerichtet" werden, aber es ist ebenso klar, daß auf einige Zeit die von
hier einer gesamtdeutschen Regierung drohenden Gefahren — so wenig sie
unterschätzt werden dürfen — herabgemindert erscheinen, sofern durch
weitere Verstärkung des Bundesgrenzschutzes entsprechende Sicherungs-
maßnahmen vorbereitet werden.

Das heißt aber, daß sich nunmehr binnen ganz kurzer Zeit die eigentliche
Zielsetzung der „neuen Deutschlandpolitik" Moskaus enthüllen wird. Wenn
jetzt — unter welchen außenpolitischen Aspekten auch immer — der Westen,
dem einmütigen Willen des deutschen Volkes entsprechend, die Forderung
auf Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit, d, h. unter Abhaltung
wirklich freier Wahlen, erhebt, wird der Kreml Farbe bekennen müssen. Tut
er dies nicht, so ist die einzige Folgerung die, daß — nach dem Scheitern der
EVG — Westdeutschland sogleich Partner der NATO, d. h. daß der „Ridgway-
Plan" durchgeführt wird. Stimmt aber Moskau der Wiedervereinigung
Deutschlands in Freiheit zu, so könnte dieser Anschluß an die NATO unter-
bleiben und Deutschland in die Lage versetzt werden, durch Zubilligung
eigener Verteidigungs-Streitkräfte zu einem stabilisierenden Faktor in
Europas Mitte zu werden, dessen bloßes Vorhandensein die Spannungen
zwischen Ost und West mildern würde.

Das sind die klaren Schlußfolgerungen, die sich aus der Klärung der Situa-
tion ergeben, die der 17. Juni mit sich gebracht hat. Möge mit Gottes
Hilfe der Opfermut und der Freiheitswille wie auch die Leidensbereitschaft
unserer Brüder und Schwestern in Mitteldeutschland zum Anstoß werden
für eine solche Entwicklung, deren Ergebnis nur eine Stärkung des Friedens
und der Beginn einer neuen Zeit sein kann.

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, Juli 1953.

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