Ostpreußische Binnenschiffahrt.

Ostpreußische Binnenschiffahrt.

Beitragvon -sd- » 21.01.2021, 09:57

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Kurenkahn, Boydack und Lomme
Blütezeit der ostpreußischen Binnenschiffahrt / Von Emil Raeder

Der heute in Lübeck wohnende Reeder, Emil Raeder, gibt — auf Grund jahrzehnte-
langer Kenntnis der Dinge — hier einen Rückblick auf die ostpreußische Binnen-
schiffahrt. Seine berufliche Laufbahn begann er als Lehrling bei der Königsberger
Schlepperfirma Wischke und Reimer und stieg zum Mitinhaber dieses später mit
der Reederei Gustav und E. Fechter vereinigten bedeutenden Unternehmens auf.
Auch als stellvertretender Vorsitzender der Ostdeutschen Binnenschiffahrts-
Berufsgenossenschaft war er mit allen Angelegenheiten der Schiffer vertraut.

Außer den Strömen und Kanälen, die Ostpreußen durchzogen, gehörten auch das
Kurische und das Frische Haff zu den Binnenwasserstraßen der Provinz.
Während die Ströme im allgemeinen nur eine geringe Tauchtiefe von etwa 1,5
Meter aufwiesen und leichtgehende Fahrzeuge erforderten, waren für die
Befahrung der Haffe Schiffe notwendig, die Wind und Wetter aushalten
konnten. So waren denn auch alle Kahntypen, wie Kurischer Kahn, Boydack,
Finowmaßkahn, Saalemaßkahn, Breslauermaßkahn und Rheinkahn in Ostpreußen
vertreten. Der ausgesprochene Haffkahn war früher der Kurische Kahn — nicht
zu verwechseln mit den buntbewimpelten „Kurenkähnen", die man auf der
Kurischen Nehrung und in den Dörfern am Kurischen Haff vorfand.

Der Kurische Kahn war ein stark gebautes Fahrzeug aus Holz, mit großen
Segeln ausgestattet, in der Größe von 100 bis 250 Tonnen Tragfähigkeit; bis
zur Jahrhundertwende sah man ihn oft. Bevor der Königsberger Seekanal gebaut
wurde (1901 1903), konnten tiefgehende Seeschiffe den Hafen von Königsberg
nicht erreichen, da die von Pillau bis Königsberg durch das Frische Haff
gebaggerte Fahrrinne nur eine Tiefe von etwa 3 Meter hatte. Die größeren
Seeschiffe mussten daher in Pillau soweit abgeleichtert werden, dass sie die
flache Fahrrinne befahren konnten. Dieses Leichtergeschäft wurde teilweise
von den Kurischen Kähnen ausgeführt, aber auch Königsberger Reeder
beteiligten sich daran mit eigens für diesen Zweck erbauten eisernen
Fahrzeugen, die gleichzeitig für Bergungs- und Hebezwecke eingerichtet
waren. Bei gutem Wind segelten die Kurischen Kähne von Pillau bis
Königsberg. Wenn der Wind aber schlecht war, kamen die Seeschiffe mit einer
Anzahl von Kähnen im Schlepp nach Königsberg, oder die Kähne wurden, von in
Pillau stationierten Schleppdampfern, geschleppt.

Nach Eröffnung des Königsberger Seekanals hörte dieses Leichtergeschäft auf,
da der Kanal nunmehr eine Tiefe von 8 Meter aufwies, die später sogar auf 10
Meter erweitert wurde, auch folgte später noch eine Verbreiterung der Kanal-
rinne und nach dem Ersten Weltkrieg auch eine Ausstattung mit Torfeuern,
die eine Befahrung des Kanals bei Nachtzeit ermöglichte. Bis zum Ersten Welt-
krieg wurde der Königsberger Hafen sehr viel von kleinen Seeseglern bedient.
Bei ungünstigem Wind waren diese auf Schlepperhilfe von Pillau aus angewiesen,
und da die Segler, die wegen ihres zu großen Tiefganges den Seekanal benutzen
mußten, dem Schleppzwang unterlagen, fanden drei bis vier in Pillau statio-
nierte Schleppdampfer ein gutes Betätigungsfeld. Aber auch im Königsberger
Hafen blühte durch diese Segelschiffe das Schleppergeschäft, da zu einer
Verholung im Hafen fast immer ein Schlepper genommen werden mußte. Nach
dem Ersten Weltkrieg, als der Motor immer mehr in die Schiffahrt eindrang,
verschwanden die kleinen seegehenden Segler nach und nach. Sie wurden zuerst
von den Segelschiffen mit Hilfsmotor, später dann von den neu erstellten Motor-
schiffen und von den immer größer werdenden Seeschiffen verdrängt.

Versorgung der Zellstoff - Werke an Pregel und Memel.

Mit der Eröffnung des Königsberger Seekanals stand die Gründung wichtiger
Industriewerke in Königsberg in einem gewissen Zusammenhang. So entstand
etwa 1901 die Königsberger Zellstoff-Fabrik am Pregel oberhalb der Stadt,
und etwa 1906 folgte die Norddeutsche Zellulosefabrik am Holsteiner Damm
unterhalb Königsbergs, und auch in Tilsit, Ragnit und Memel waren inzwischen
Zellstoff- und Papierfabriken errichtet worden. Die Versorgung dieser
Fabriken mit Rohstoffen und der Abtransport ihrer Erzeugnisse brachte der
ostpreußischen Binnenschifffahrt einen gewaltigen Aufschwung, und es darf
durchaus behauptet werden, dass diese Transporte das Rückgrat der
ostpreußischen Binnenschifffahrt darstellten. Die Zellstoff-Fabriken wurden
anfänglich in hohem Maße mit Papierholz aus Litauen versorgt, das mit
Binnenfahrzeugen, den sogenannten Boydacks, und mit Schleppern angefahren
wurde.

Diese Boydacks waren leichte, hölzerne Fahrzeuge, die ihren Ursprung in
Litauen hatten. Alte Schiffer erzählten, dass in früheren Jahren litauische
Händler diese Fahrzeuge aus dem billigen litauischen Holz herstellten, um
sie nur ein einziges Mal mit Teer, Flachs oder Hanf beladen nach Königsberg
herunterschwimmen zu lassen. Wenn die Ware dort abgesetzt war, wurden die
Boydacks ebenfalls verkauft, und mancher ostpreußische Schiffer soll damals
solch ein Boydack für wenige hundert Mark erstanden haben. Diese billig
erworbenen Boydacks wurden dann von den Schiffern besser ausgebaut und
stellten ganz brauchbare Fahrzeuge dar. Mitunter wurden auch nur die
Kahnböden zum Bau neuer Schiffe benutzt und neue Seiten aus Holz oder Eisen
aufgebaut. Viele neue Boydacks und Kurische Kähne wurden auch von den
Schiffern selbst erbaut, da ein großer Teil von ihnen gute
Schiffszimmerleute waren.

Im Laufe der Jahre erfolgte die Zufuhr von Papierholz für die Zellstoff-
Fabriken mehr und mehr auf dem Seewege von Finnland und Rußland aus.
Das Holz wurde in den Seehäfen in Binnenfahrzeuge umgeschlagen und dann
nach den Fabriken transportiert. Während die Königsberger Zellstoff-Fabriken
dafür zum größten Teil eigene Fahrzeuge und Schlepper benutzten, bot die
Versorgung der Tilsiter, Ragniter und Memeler Fabriken der ostpreußischen
Binnenschifffahrt, wie bereits erwähnt, große Transportmöglichkeiten, da
außer Holz hauptsächlich Kohle, Kalksteine und Schwefelkies in großen Mengen
zu befördern waren. Die Rückladungen bestanden aus Zellulose, Papier und
Abbränden.

Segelkahn 'Ostpreußen' jetzt auf dem Rhein.

Ein weiteres Betätigungsfeld fand die Binnenschifffahrt durch die Beförderung
von Schnittholz von den an den Strömen gelegenen Schneidemühlen, ferner
spielte die Beförderung von Kies, Ziegeln und landwirtschaftlichen Erzeug-
nissen eine beachtliche Rolle. Es lag nahe, daß dieser umfangreiche
Ladungsanfall bald eine Modernisierung der Binnenflotte mit sich brachte.
Die Holzfahrzeuge wurden zum großen Teil durch eiserne ersetzt, die die
Reeder und Privatschiffer entweder neu bauen ließen, oder aus dem Westen
Deutschlands aufkauften

Ein besonderes Stück leistete dabei ein ostpreußischer Schiffer, der sich im
Jahre 1909 einen eisernen Kahn von 780 Tonnen Tragfähigkeit bauen ließ, der
als Segelkahn mit zwei Masten ausgestattet war und damals als der schnellste
Segelkahn galt. Es war der Kahn „Ostpreußen", der heute noch auf dem Rhein
unter der Flagge der „Damco" fährt.

Aber die Segelschifffahrt verlor auch in Ostpreußen nach und nach ihre
Bedeutung, und beim Ende des letzten Krieges hatte sich der größte Teil der
Privatschiffer auf Schlepp- oder Motorkähne umgestellt. Als Segelschiffe
blieben nur noch die Tolkemiter Lommen übrig. Das sind seegängige, sehr
breite und kurze Schiffe, die ihre Heimat am südlichen Ufer des Frischen
Haffs hatten und hauptsächlich dem Transport von Ziegeln aus den am Frischen
Haff gelegenen zahlreichen Ziegeleien nach Königsberg und Elbing dienten.
Auch befassten sich diese Schiffer mit dem Zangen von Steinen in der Ostsee,
die von den Hafenbauämtern gern abgenommen wurden.

Die ostpreußische Binnenflotte konnte sich mit ihrem Bestand bei Ende des
letzten Krieges schon sehen lassen. Leider ging der größte Teil der
Fahrzeuge bei der Besetzung Ostpreußens durch die Russen verloren, weil ein
rechtzeitiger Abtransport nach dem Westen durch unverständliche Maßnahmen
der damaligen Machthaber verhindert wurde. Pillau war zum Schluss das Grab
der meisten jener Fahrzeuge, die es noch fertiggebracht hatten, trotz Eis
und Frost sich bis dorthin durchzuschlagen, und mancher ostpreußische
Schiffer hat dort sein Leben lassen müssen.

Lappienen — Sammelpunkt für Flöße.

Im Zusammenhang mit der Binnenschifffahrt muss die Flößerei in Ostpreußen
erwähnt werden. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden sehr große Mengen von
Rundholz aus Litauen und Russland nach den an den ostpreußischen Strömen
gelegenen Schneidemühlen geflößt. Die für Ragnit, Tilsit und Memel
bestimmten Mengen ließ man in Flößen von 1000 und mehr Kubikmetern mit dem
starken Strom treiben. Die für Labiau, Tapiau und Königsberg bestimmten
Flöße konnten nur bis Lappienen am Seckenburger Kanal ohne Hilfe
herunterschwimmen. Dort wurden sie durch Spediteure gesammelt und durch
Schlepper an ihr Ziel gebracht. Der Bedarf an Schleppern für diese
Holztransporte war in den Jahren 1907 bis 1909 so groß, dass mehrere Firmen
sich eine Anzahl neuer Schlepper bauen lassen mussten. Große Waldgebiete
waren damals von der Nonnenraupe befallen, und ungeheure Holzmengen mussten
abtransportiert werden. Auch in späteren Jahren und bis zum Ende des Zweiten
Weltkrieges war die Holzflößerei auf den ostpreußischen Wasserstraßen sehr
bedeutend, und mehrere Flößereiunternehmer fanden dadurch ihr gutes
Auskommen.

Als Standardschlepper war früher der Schraubenschlepper von 150 bis 180 PS
anzusehen, der in der Regel drei Fahrzeuge mit zusammen 800 bis 900 Tonnen
Ladung stromauf bis Tilsit und Ragnit ziehen konnte. Bei Hochwasser und
starker Strömung musste allerdings ein Kahn in der Krummen Gilge losgeworfen
und nachgeholt werden. Als die Kähne dann immer größer wurden, mussten die
Schlepper mithalten, und seit 1935 gab es Motorschlepper von 250 bis 300 PS,
die bei entsprechendem Wasserstand drei, manchmal auch vier Kähne, mit
zusammen 1400 bis 1500 Tonnen Ladung stromauf schleppten.

Die Frachten und Schlepplöhne waren verhältnismäßig niedrig. Für eine Tonne
Kohle von Königsberg nach Tilsit — eine Strecke von rund 150 Kilometer — zum
größten Teil gegen den Strom, erhielten die Schiffer eine Fracht von 3
Reichsmark je Tonne, einschließlich Schlepplohn, der mit 0,70 Reichsmark,
berechnet wurde. Dabei war noch zu berücksichtigen, dass die Schifffahrt
gewöhnlich von Dezember bis Mitte April wegen des Eises ruhen musste. Da gab
es dann für Kähne und Schlepper, (mit Ausnahme der Hafenschlepper) keine
Beschäftigung, abgesehen vielleicht von einigen Lagergeschäften für die
Kähne.

Dampferlinien über beide Haffe.

Sehr bedeutend war in Ostpreußen von jeher die „Tourschifffahrt“. Von
Königsberg aus bestanden schon in den siebziger Jahren viele feste
Tourdampferlinien, die die Verbindung mit den an den Strömen und Kanälen
gelegenen Ortschaften, die gar keine oder ungünstige Verbindung mit der
Eisenbahn hatten, aufrecht erhielten. Die Schiffe waren meistens für Güter-
und Personenbeförderung eingerichtet, und ein großer Teil von ihnen waren
Seitenraddampfer. Diese Tourlinien wurden mit Beginn der zwanziger Jahre
durch den sich immer mehr ausbreitenden Lastwagen- und Omnibusverkehr
stark betroffen, sodaß sie nach und nach ihre Rentabilität verloren und
aufgegeben werden mussten. Aber auch westwärts von Königsberg über das
Frische Haff bestanden feste Dampferlinien, wovon die nach Elbing, Marien-
burg und Danzig, sowie nach den Haffdörfern Gr.-Heydekrug, Zimmerbude
und Peyse führenden, erwähnt sein mögen.

Eine der ältesten Passagierdampfer-Linien in Ostpreußen war die Cranz-
Memel-Linie über das Kurische Haff. Man fuhr in etwa einer halben
Stunde mit der Bahn von Königsberg nach dem am Nordufer des Samlandes
gelegenen Badeort Cranz mit dem anschließenden Hafen Cranzbeek, stieg dort
auf das Schiff um und erreichte nach einer schönen Fahrt über das Haff in
etwa fünf Stunden Memel. Feste Passagierlinien bestanden auch zwischen
Königsberg und Danzig, wobei Pillau und das Ostseebad Kahlberg angelaufen
wurden.

Erwähnt sei noch der starke Ausflugsverkehr von Königsberg aus. Fast jeder
Verein, jede Schule, und auch viele Betriebe machten doch in jedem Jahr
regelmäßig ihren Dampferausflug, und auch sonst herrschte an schönen Sonn-
tagen Hochbetrieb auf den bewimpelten und mit grünem Laub geschmückten
Schiffen, die mit Musikkapellen an Bord, in Kiellinie den Hafen verließen,
um nach den schönen Ausflugsorten des Frischen Haffs und der Ostsee zu
fahren.

Schiffe über Berge im Oberland.

Im westlichen Teil Ostpreußens befand sich ein in seiner Bedeutung begrenz-
tes Binnenschifffahrtsgebiet, das „Oberland". Von Elbing aus konnte man
durch den Drauensee und den Oberländer Kanal mit den sogenannten
„Geneigten Ebenen" nach Liebemühl, Osterode und Deutsch-Eylau gelangen.
Die dem Schiffsverkehr dienenden Oberländer Kähne waren vorwiegend aus Holz
gebaut, aber von äußerst stabiler Konstruktion, da sie auf den Geneigten
Ebenen streckenweise auf Schienen über Land gefahren werden mussten. Sie
eigneten sich daher auch für Fahrten über das Frische Haff und wurden in
Königsberg oft gesehen. Es waren zum Segeln eingerichtete Fahrzeuge von
etwa 25 Meter Länge und 3 Meter Breite. Befördert wurden im Oberland
hauptsächlich Holz und landwirtschaftliche Produkte, und im Herbst setzte
die Zuckerkampagne ein. Dann wurden die auf dem sehr fruchtbaren Nieder-
ungsgebiet in großem Umfange angebauten Zuckerrüben durch die kleinen
Oberländer Kähne nach den Zuckerfabriken in Marienburg und Danzig
verfrachtet, und auch der daraus hergestellte Zucker war für diese Kähne ein
gesuchtes Beförderungsgut.

Auch der Passagierverkehr wurde im Oberland in der Sommersaison betrieben,
und den Fahrgästen war es ein besonderes Erlebnis, wenn die vollbesetzten
Motorboote abwechselnd über die landschaftlich sehr schönen Seen und
streckenweise auf Schienen über die Geneigten Ebenen fuhren.

Fahrt über die Masurischen Seen.

Zum Schluss sei noch die Binnenschifffahrt auf den Masurischen Seen erwähnt.
Dort wurde allerdings mehr Flößerei betrieben. In Nikolaiken, Rudczanny und
Johannisburg befanden sich große Sägewerke, die aus den angrenzenden
riesigen Waldgebieten der Johannisburger Heide das Holz heranholten. Das
Holz wurde von den Abhängen der Seeufer ins Wasser geworfen, zu Flößen
zusammengestellt und mit Schlepper an Ort und Stelle gebracht. Dem Perso-
nenverkehr dienten schmucke Motorschiffe, die bei dem Reisepublikum sehr
beliebt waren, da die Fahrt durch die schönsten landschaftlichen Gebiete der
masurischen Seenkette ging.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 22. Juni 1957

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