Preußisch Holland zu 55 Prozent niedergebrannt.

Preußisch Holland zu 55 Prozent niedergebrannt.

Beitragvon -sd- » 23.11.2019, 21:24

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Preußisch Holland 1945-1947.

Wer glaubte wohl, als die Glocken unserer Heimatkirchen das Neue Jahr 1945 einläuteten,
daß diese schon in der Nacht vom 22. zum 23. Januar — vermischt mit dem Heulen der
Sirenen — die Bevölkerung zur Flucht mahnen würden ! Die Panzerspitzen der Roten Armee
hatten Mohrungen und Maldeuten erreicht, und es mußte mit dem Angriff auf Pr.-Holland
zum 23. Januar gerechnet werden. Am Morgen dieses Tages stauten sich auf allen Straßen
Trecks — Wagen und Schlitten — mit militärischen Einheiten immer mehr, besonders an der
Amtsbrücke stockte jeder Verkehr. Trecks lösten sich auf und fuhren zum Teil zurück. In
dieses Durcheinander schlugen gegen Mittag die ersten russischen Granaten ein. Bald rückten
auch die Fußtruppen aus dem Raum Rogehnen— Grünhagen vor. Das zurückgebliebene kleine
Wachkommando der Landesschützen wurde aufgerieben, der Volkssturm überwältigt. Panzer-
kolonnen mit aufgesessener Infanterie rückten unaufhaltsam durch die Stadt auf Elbing zu.
Fußtruppen, in bester Verfassung und Ausrüstung, folgten und setzten sich zum Teil in der
Stadt fest. Einheimische, Evakuierte und Flüchtlinge suchten planlos irgendwo ein Unter-
kommen und erwarteten in Angst und Schrecken die Nacht. Rötlich-schaurig glänzte der
Schnee von den Bränden, wie Maschinengewehrfeuer hörte sich das Knattern der Flammen
an. Beleuchtung fehlte in allen Unterkünften. Schreiend und johlend durchzogen betrun-
kene Russen die Straßen, alle verschlossenen Türen aufbrechend und im Besonderen nach
jungen Frauen und Mädchen suchend. Viele von der zurückgebliebenen Bevölkerung zogen
den Freitod vor. Die Vergewaltigungen und Schändungen unserer Frauen und Mädchen
setzten in schamlosester und brutalster Weise ein, um wochenlang fortgesetzt zu werden.

Wenn beim Angriff auf Pr.-Holland nur wenig Häuser in Brand gerieten, so begann jetzt
wochenlang Nacht für Nacht das Niederbrennen der Stadt durch besondere Brandkom-
mandos. Nach welchen Grundsätzen hierbei bei Privathäusern vorgegangen wurde, ist mir
nicht klar geworden. Abgebrannt sind alle öffentlichen Gebäude, also Bahnhof, Schloß,
Landratsamt, Magistrat, Finanzamt, beide Schulen, Badeanstalt, Parteihaus gegenüber
dem Schwarzen Adler sowie die Ziegelei, alle Hotels und Gaststätten bis auf Quitschen-
krug, Traube, Kirstein, Meißner und Benzin, ganze Straßenzüge der Altstadt und viele
Privathäuser in den äußeren Stadtbezirken.

Am 7. und 8. Februar wurden alle Deutschen zur Kommandantur befohlen und dort verhört.
Als Bürgermeister fungierte ein russischsprechender Evakuierter. Es begann die Verschlep-
pung. Im Amling’schen Haus, Jahnstraße, sowie im Haus Grunwold hockten tage- und
nächtelang zusammengepreßt und hungernd die Zusammengeholten von Pr.-Holland und
warteten auf Vernehmung. Immer neue Trupps wurden vom Kampfgebiet auf den Elbinger
Höhen hinzugebracht. Frauen und Mädchen kamen meist kurzerhand in das Fligg'sche Haus
und wurden darin bei Überfüllung durch Lastwagen-Kolonnen ins Ungewisse abtransportiert.
Wer zurückblieb, wurde zu Arbeiten an den Straßen, zur Einrichtung von Kasinos und
Offizierswohnungen, zum Pferde- und Viehfüttern, Panzer säubern und zum Küchendienst
beordert. Von der übrigen Welt und dem weiteren Kriegsgeschehen wußten wir absolut
nichts mehr.

Im März ging die russische Ortskommandantur endlich daran, die herumliegenden Leichen,
Pferde- und Viehkadaver begraben zu lassen. Bis dahin durften die Leichen auf den Kirch-
höfen nicht bestattet werden; diese Anordnung wurde dann aber aufgehoben. Im Ostteil
der Stadt allein wurden 87 Leichen aufgefunden und am Fundort in einem Gemeinschafts-
grab beerdigt. Bei meiner Abreise aus Pr.-Holland Ende 1947 waren diese Gräber fast
allgemein nicht mehr kenntlich, während alle russischen Massen- wie Einzelgräber von
einem roten Staketenzaun umgeben und mit Namenverzeichnis versehen waren. Im April
1945 verlautete dann gerüchteweise, daß Königsberg gefallen sei, bestimmtes wußte keiner.
Die Verlassenheit drückte uns schwer. Nun wurde angefangen, an den eisernen Maschinen
in der ausgebrannten Oberländer-Druckerei zu arbeiten, und wir hofften, es würden amt-
liche Bekanntmachungen und Nachrichten für die deutsche Bevölkerung herausgegeben
werden. Doch weit gefehlt ! Die großen Maschinen wurden ausgebaut und abtransportiert.
Große Transportzüge brachten jetzt auch die im Verlauf des Winters herangeschafften
großen Mengen an landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte fort. Bei der Verladung
mußten die deutschen Frauen oft Unmenschliches leisten. Männer waren kaum zurück-
geblieben. Eine Bezahlung gab es während der ganzen Russenzeit nicht, wer aber arbeiten
konnte, bekam — unregelmäßig — eine Suppe, ein Stück Brot oder Käse. Um Arbeitsunfähige
(Alte und Kranke) kümmerte sich die Besatzung nicht. Das Johanniterkrankenhaus war
russisches Lazarett, und zwei alte, deutsche Ärzte nebst der zurückgebliebenen Ober-
schwester und den Schwestern versuchten hier unter schwierigsten Verhältnissen, kranke
und erschöpfte Landsleute unterzubringen und zu behandeln.

Ende Juni 1945 gab dann ein russischer Kapitän vor Arbeitsantritt bekannt, daß Pr.-Holland
am 1. Juli den Polen übergeben wird und die Deutschen jetzt diesen Gehorsam zu leisten
hätten. Es traf dann auch eine polnische Verwaltung ein; Landrat, Bürgermeister, Amts-
richter, Kreisbauernführer mit ihren Angestellten und einige Handwerker und Geschäfts-
leute. Das Landratsamt wurde im Überlandwerk, Reiterstraße, der Magistrat in dem einzeln
stehengebliebenen Gebäude der Landschaft, Steintorstraße, das Amtsgericht im Haus
Eichenberg, Krossenerstraße und die Kreisbauernschaft im alten Postgebäude eingerichtet.
Als Notbehelf für das abgebrannte Elektrizitätswerk wurde in der Autoschlosserei Frick ein
elektrisches Werk aufgestellt. Auf dem Steintor wurde die polnische Flagge gehißt;
Pr.-Holland wurde in Pasleck umbenannt. Alle deutschen Schilder und Inschriften an
Geschäftshäusern und die Straßenbezeichnungen wurden entfernt und durch polnische
ersetzt. Als Vertreter der Deutschen blieben auf dem Landratsamt, wie schon bei den
Russen, der Herr Barrenberg und Schwarz, Pr.-Holland, weiterhin tätig und als Bürger-
meister Herr Friese mit seinen Bezirksleitern. Die keinesfalls leichte Amtspflicht bestand
aber lediglich darin, die angeforderten Arbeitskräfte zu stellen. Bezahlung oder ausrei-
chende Ernährung konnten nicht erreicht werden.

Bald liefen größere Transporte mit Polen auf dem Bahnhof ein. Bäckereien und Lebens-
mittelgeschäfte wurden in Betrieb genommen. Verschont hatten die Russen alles, was
mit Landwirtschaft zusammenhängt, wie die Landwirtschaftsschule nebst Dienstgebäude,
die Mädchenschule in der Hindenburgstraße, das Verwaltungsgebäude der Landwirtschaft-
lichen An- und Verkaufsgenossenschaft mit den beiden Lagerspeichern, die Mühle Marquardt,
Ackerbauschule und die Getreide- und Futtermittelhandlung Kownatzki und Krause. In der
Landwirtschaftsschule wurde nun die polnische Stadtschule eingerichtet. Die Genossenschaft
und auch die Sägewerke Oelschlägel und George wurden in Betrieb gesetzt. Dann liefen
die Bauerntransporte aus dem Osten an, die fast allgemein mit dürftiger Habe ankamen.
Ihr Bestreben ging dahin, auf eine kleine Wirtschaft zu kommen, möglichst nicht über 50
Morgen, die sie ohne fremde Hilfskräfte bewirtschaften können und möglichst in der Nähe
der Kreisstadt. Die Siedlungen an der Elbinger Chaussee und an der Marienfelder- und
Rogehner Straße wurden bevorzugt, behelfsmäßig Kleinbauernwirtschaften wurden ein-
gerichtet. Land wurde ihnen von den umliegenden Bauernwirtschaften zugeteilt. 1946
wurde dann der Landkreis mehr und mehr bevölkert.

Zwei Mal in der Woche war Wochenmarkt in Pr.-Holland, wobei die Bauern des ganzen
Kreises auf armselige Panjefuhrwerke ihre Erzeugnisse hinbrachten. Das Aufräumen und
Säubern des wüsten, verlassenen Marktplatzes blieb den deutschen Frauen unter Polizei-
aufsicht vorbehalten, wie überhaupt die ganze Straßenreinigung. Jede polnische Frau
hielt es wohl unter ihrer Würde, zum Besen zu greifen. Für die öffentlichen Arbeiten
wurden wohl Zloty versprochen, aber nie gezahlt. Ein dürftiges und auch unregelmäßiges
Mittagessen war die Entlohnung, so daß die Frauen durch private Nebenarbeiten nach
Arbeitsschluß das Notwendigste zum Lebensunterhalt verdienen mußten. Ein trauriges
Los. Hinzu kam, daß mit Zuzug weiterer Polen Wohnungsbedarf entstand und die
Deutschen kurzerhand ausquartiert und in ausgeplünderte, schadhafte Räume gesteckt
wurden. In 22 Lebensmittelgeschäften lockten Lebensmittel genug; für die meisten
Deutschen jedoch waren sie unerschwinglich. Das Hauptgeschäft machte offensichtlich
der Quitschenkrug mit flottgehender Gast- und Speisewirtschaft. Auch im Saal des
Gesellschaftshauses, der stehengeblieben war, herrschte infolge der öffentlichen
Versammlungen, Kino- und Wandertheatervorführungen reger Betrieb.

Beide Kirchen stehen, die Hauptgottesdienste finden in der evangelischen Kirche statt.
Die Polen beerdigen ihre Toten auf dem katholischen Kirchhof; der evangelische Friedhof
war verwildert, dort weideten oft Kühe und Ziegen. Den Deutschen wurde die St. Georgen-
kirche überlassen. Das Amt eines Predigers und Seelsorgers hat die Gemeindeschwester
Martha in aufopfernder Weise erfüllt; gleichzeitig hat sie die Postsachen der deutschen
Bevölkerung verwaltet, bis auch sie ausgewiesen wurde. Als dann später der Vertreter
der Deutschen, Herr Barrenberg, abgeschoben wurde, sowie ein evakuierter alter Arzt
nebst den letzten Schwestern im Krankenhaus (dieses bestand auch als polnisches
Krankenhaus weiter), blieb niemand mehr, der die Deutschen vertreten konnte. Die
Jagd der Polizei nach Arbeitskräften nahm immer brutalere Formen an. Es blieb nichts
anderes übrig, als auf den nächsten Transport zu warten, der so vielen aber auch wieder
Enttäuschung brachte. Die schlimmsten Kapitel während der Polenwirtschaft waren über-
haupt: Transport und Polizei ! Der verständige Plan, Alte, Kranke und Mütter mit mehre-
ren Kindern zuerst abzutransportieren, wurde nicht eingehalten. Wer in der glücklichen
Lage war, Geschenke — wie versteckte Schmucksachen und dergleichen — anzubieten,
kam auch heraus. Am Bahnhof mußte sich jeder auf die letzte Ausplünderung gefaßt
machen; sie wurde von der Polizei oft brutal durchgeführt. Drei Polizeistationen waren
in der Stadt eingerichtet, eine davon Haus Dr. Faßauer, Krossener Straße, und zwei in
der Danziger Straße. Sie waren sämtlich von hohen Stacheldrahtzäunen umgeben, die
Kellerräume waren als Gefängnisse eingerichtet. Die politische Station Danziger Straße
war die Gefürchtetste; von dort kam wohl selten ein Inhaftierter ohne Schläge und
schwere Mißhandlungen heraus. Bei dem Angstruf "Polizei !" versuchten Frauen und
Mädchen, die in den Wohnungen waren, sich in den Ruinen der Stadt zu verstecken.
Die überraschten Frauen, die gefaßt wurden, trieb man oft am Abend zusammen und
sperrte sie nachtüber in eines der Gefängnisse, um sie am anderen Morgen hungrig zur
Arbeit einzuteilen.

Die Stadt Pr.-Holland hatte Ende 1947 etwa 2.500 polnische Einwohner. Aufgebaut
war noch nichts. Brauchbare Ziegel vom Abbruch der Ruinen lagen gestapelt an den
Straßen und sollten zum Aufbau von Warschau abtransportiert werden. Seit Jahr und
Tag wurde versucht, einen Flügel der Stadtschule auszubauen; in der Ruine der
Realschule wurde angefangen zu arbeiten; aber die Arbeit ging nicht vorwärts.
Lediglich der Bahnhof war in dem früheren Güterbahnhof für Personen- und Güter-
verkehr behelfsmäßig eingerichtet. Das Gefallenendenkmal war gesprengt worden;
nur der Sockel mit den vier Steinkugeln stand noch.

Die polnischen Beamten und Angestellten aus Stadt- und Kreisverwaltung und Finanz-
behörde und die Mehrzahl der Geschäftsleute sprachen fast durchweg gut deutsch.
Ihre Pflichtauffassung war bis auf wenige Ausnahmen nach deutschen Begriffen lässig
und gleichgültig und führte sogar soweit, daß Personen wie der Landrat, der Bürger-
meister, Sekretäre, die Geschäftsführer der Sägewerke und andere Personen aus
Verwaltung und Staatsbetrieben wegen Untreue bzw. Unterschlagung verhaftet und
ins Untersuchungsgefängnis nach Allenstein gebracht wurden. So war wohl auch stets
der Barlohn für die deutschen Arbeitskräfte, der von der Regierung bewilligt war,
unterschlagen worden.

Trotz allem Leid wurde mir der Abschied von Stadt und Kreis Pr.-Holland schwer,
als der Transportzug unter dem Gesang: 'Nun ade, du mein lieb Heimatland' abfuhr.
Mit heißem Herzen können wir in steter Sehnsucht nur weiter beten: "Herr, führ'
ins Land unserer Väter zurück !"

O. Gehrmann, früher Pr.-Holland.

Quelle: WIR OSTPREUSSEN, 20. Februar 1950

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Russische Brandkommandos wüteten in Preußisch-Holland.

Am 23. Januar 1945 rückten die Russen in Preußisch-Holland ein. Am 1. Juli
1945 hißten die Polen — an diesem Tage wurde ihnen die Stadt übergeben —
ihre Flagge am Steintor. Die Zeit zwischen diesen Daten war eine Zeit des
Grauens, der Unsicherheit und der unvorstellbaren Leiden für die zurück-
gebliebene deutsche Bevölkerung, deren Lage sich auch später wenig besserte.

Rätselhaft erscheint die von den Russen durch besondere Brandkommandos
betriebene Vernichtung von öffentlichen Gebäuden und ganzen Straßenzügen.
Ein stichhaltiger Grund läßt sich für dieses Verhalten nicht finden. Auffällig
ist aber, daß die Russen fast alle Gebäude verschonten, die mit der Landwirt-
schaft in Zusammenhang standen, wie die Landwirtschaftsschule, die Land-
wirtschaftliche An- und Verkaufsgenossenschaft nebst ihren beiden Speichern,
die Amtsmühle und die Getreide- und Futtermittelhandlung Kownatzki & Krause.

Zerstört wurden das Schloß mit Amtsgericht, Katasteramt und Kreiskasse,
das Landratsamt, die Realschule (St. Georgsschule), die Stadtschule, das
Finanzamt am Tannenbergplatz, der Bahnhof, die Krankenkasse, die Turn-
und Sporthalle, die Ackerbauschule (eine Abweichung von der Regel, land-
wirtschaftliche Gebäude zu verschonen), die Mädchenschule in der Hindenburg-
straße, ja sogar die Badeanstalt. Die Innenstadt brannte fast vollständig aus.

Alle diese Gebäude und ihre Einrichtungen hätten die Polen ja gut verwenden
können, warum brannten die Russen sie denn nieder ? Gönnten sie diese
Häuser ihren neuen Freunden nicht ?

Im Zuge der kurzen Kampfhandlung waren nur wenige Privathäuser beschädigt
oder zerstört worden. Die Russen aber legten in der Besatzungszeit fast die
ganze Innenstadt in Asche. Erhalten geblieben sind u. a. die evangelische und
die katholische Kirche, der Quitschenkrug, das Gesellschaftshaus, das
Johanniterkrankenhaus, das alte Postgebäude und die "Traube". O.G.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 5. Dezember 1952

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Sterbende Stadt Preußisch Holland. Zu 55 Prozent niedergebrannt
Auch die Gomulka-Periode konnte den Niedergang nicht aufhalten.

Als am Beginn der letzten Januarwoche 1945 die Rote Armee die ostpreußische
Kreisstadt Preußisch-Holland besetzte, marschierte sie in eine wenig zerstörte
Gemeinde ein. Gemessen an den durch Kampfhandlungen in anderen gleich-
großen Städten angerichteten Verwüstungen war Preußisch-Holland mehr als
glimpflich davongekommen. Die Schäden waren hier so gering, daß sie selbst
in der Vorwährungszeit in wenigen Monaten hätten beseitigt werden können.
Das war die Lage am 23/24. Januar 1945.

Als die Sowjets nach fünf Monaten und einer Woche diese einstmals blühende
Stadt der polnischen Verwaltung in Süd-Ostpreußen unterstellten, da war die
Situation eine ganz andere. Am 1. Juli jenes Jahres bot Preußisch-Holland
auf den ersten Blick das Bild einer durch Kämpfe und Bombardements schwer
mitgenommenen Stadt. Doch wer durch die Straßen der Innenstadt ging, sah
bald, daß die angerichteten Zerstörungen weder durch Granaten, Häuserkämpfe
oder Fliegerbomben entstanden waren, sondern, daß das, was hier verwüstet
worden war, durch mutwillige Brandstiftung angerichtet wurde.

In rund zwanzig Wochen vernichteten die russischen Besatzungssoldaten mit
Billigung ihrer Offiziere große Teile der Innenstadt, wo sie unzählige Häuser
nach ihrer Plünderung anzündeten. Auch die meisten öffentlichen Gebäude
fielen den völlig sinnlosen Brandstiftungen zum Opfer. Waren beim Einmarsch
der Roten Armee etwa fünf Prozent Preußisch-Hollands vernichtet, so fanden
die Polen im Juli eine Stadt vor, die zu 55 Prozent (!) in Schutt und Asche lag.
Ungefähr 430 Gebäude aller Art waren in Rauch und Flammen nach den
Aktionen der Brandstifter aufgegangen. Das war die „Krönung“ der sowjeti-
schen Eroberung von Preußisch-Holland.

Die polnische Verwaltung begann wie überall im südlichen Ostpreußen auch
hier, mit großartigen Versprechungen, die Stadt von den „faschistischen
Kriegszerstörungen" zu befreien und „schöner als früher wieder aufzubauen".
Bis auf den heutigen Tag publizierten die zuständigen polnischen Verwaltungs-
stellen insgesamt „nur" 19 (neunzehn) verschiedene Wiederaufbauprogramme.
Man kann diese 19 Programme wie ein einzelnes behandeln, denn keines der
Programme wurde auch nur annähernd realisiert, oft wurde nicht einmal der
Versuch gemacht, es zu verwirklichen. Die stalinistischen Funktionäre in der
Bierut-Ära verhöhnten die zwangsweise nach hier geholten Polen mit Ver-
sprechungen über Versprechungen, von denen sie genau wußten, daß sie sie
nie erfüllen würden. Aber diese propagandistischen Zwecklügen sind gar
nicht einmal so tragisch, wenn sie nur die Tatsache des nicht vollzogenen
Wiederaufbaus betreffen würden. Viel schlimmer war und ist, daß Unfähig-
keit und Trägheit nicht den Verfall der in Brandnächten verschont gebliebe-
nen Häuser usw. verhinderten.

Und diese Tatsache hat dazu geführt, dßs Preußisch-Holland auch zu einer
der vielen sterbenden Städte in Ostpreußen geworden ist. An vielen Stellen
müssen heute noch Gebäude von den Bewohnern verlassen werden, weil sie
einzufallen drohen. Das ist meistens dann der Fall, wenn rechts und links
die Nebenhäuser in Brand gesteckt und das stehengebliebene Gebäude nur
leicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Da aber an solchen Gebäuden auch
nicht die geringsten Reparaturarbeiten ausgeführt wurden und werden, gehen
sie nun langsam an ursprünglich lächerlich geringen Schäden zugrunde. Hier
liegt eine Hauptschuld der polnischen Verwaltung, die die deutsche Stadt
alles andere als zu treuen Händen verwaltet.

Wie sieht es nun im Einzelnen in Preußisch Holland aus ? Nach der Regierungs-
übernahme durch Gomulka schien es für einige Zeit so, als ob nun wenigstens
eine geringfügige Änderung zum Guten erfolgen würde. Aber auch das war
eine Täuschung. Es kam weder zu einem Wiederaufbau noch zu einem Pro-
gramm zur Werterhaltung und Reparatur. Zudem setzte in den letzten
Monaten eine Bevölkerungsumschichtung ein, die sich gar nicht gut für
Preußisch-Holland ausgewirkt hat.

Bisher war es seit dem Kriege so gewesen, daß die nach Ostpreußen ge-
schickten Polen möglichst in die Städte zu kommen versuchten, da sie auf
dem Lande wegen der Kollektivierung, der Staatsgüter und der schlechten
Lebensumstände keine Chancen sahen. Nachdem Gomulka in Warschau ein-
zog, änderte sich das, weil die Landwirtschaftspolitik mehr Rücksicht auf
die privaten Einzelbauern nahm. Plötzlich war es vielen Polen, die bis jetzt
in den Städten gesessen hatten, wieder interessant, aufs Land zu gehen
und Höfe zu übernehmen.

So geschah es auch in Preußisch-Holland. Viele Familien, die etwas von
der Landwirtschaft verstanden, bemühten sich mit Erfolg um Zuteilung
von Feldern, einem Hof und Krediten. Für diese Menschen kamen aus den
Dörfern der Umgegend aber jetzt die Personen, die bis jetzt als Funktionäre
und nutzlose Beamte die stalinistische Agrarpolitik repräsentiert hatten.
Diese zumeist faulen, dünkelhaften und nicht mit Geistesgaben gesegneten
Leute sind nun in die Stadt gekommen und versuchen natürlich, sich leicht
durchs Leben zu bringen — natürlich am liebsten ohne ehrliche Arbeit. Die
meisten suchen neue Pöstchen oder steigen in das Schwarzmarktgeschäft ein.

Uns interessiert das soweit, als diese Leute selbstverständlich auch nicht
das geringste Interesse an einer ordnungsgemäßen Verwaltung haben. Sie
besitzen noch immer genügend Einfluß, um hier und dort die Genehmigung für
den Abriss eines angeblich einsturzgefährdeten Hauses zu erhalten, daß sie
dann auf eigene Rechnung ausschlachten. Man könnte viele Beispiele dafür
nennen, wie schlecht sich diese Bevölkerungsumschichtung auswirkt. In
Preußisch-Holland gibt es einfach keinen Fortschritt. Es bleibt alles so,
wie es war, manches dagegen wird noch schlechter.

Wer heute beispielsweise durch die Rogehnener Chaussee in Preußisch-Holland
geht, der muß feststellen, daß hier erst vor wenigen Wochen mit behördlicher
Genehmigung zwei Gebäude aus deutscher Zeit abgerissen worden sind. Der
einzige Grund bestand in folgendem: man wußte, daß diese Gebäude vorwie-
gend in Stahlkonstruktion gebaut worden waren. Das genügte, um sie nieder-
zureißen, denn für Schrott werden nach wie vor Höchstpreise gezahlt.

In der Innenstadt von Preußisch-Holland gibt es seit den Brandstiftungen im
Jahre 1945 nur wenige bewohnte Häuser-Inseln. Überall klaffen große Lücken,
wo auch nicht eine einzige Mauer wieder aufgebaut worden ist. Zwar sind
viele Trümmer fortgeräumt worden, aber trotzdem ist der Anblick trostlos.
Daran können auch die Grünanlagen nichts ändern, die mit Rasen und Blumen
etwas Leben vortäuschen sollen. Nicht einmal das gelingt, denn auf den
Rasenflächen weiden Schafe, obwohl das verboten ist. Die Miliz kann unmög-
lich alle Schafhalter einsperren, die ihre Tiere auf verbotenen Plätzen
weiden lassen. Die wirtschaftliche Not ist noch immer so groß, daß die
Behörden beide Augen zudrücken müssen.

Das gilt auch für den zweimal wöchentlich unweit des Krankenhauses abge-
haltenen Markttag, zu dem die Bauern aus der Umgebung kommen. Dieser
„freie Bauernmarkt" ist inzwischen längst zur Tarnung des Schwarzmarktes
geworden. Zwar werden hier auch Lebensmittel gehandelt, aber in der
Hauptsache wickelt man illegale Tauschgeschäfte und ähnliches ab. Sogar
bis nach Preußisch-Holland ist auch der Devisenschmuggel gedrungen, und
man kann hier vielerlei Währungen aus Ost und West umsetzen oder damit
bezahlen.

Die örtliche Industrie kann jetzt jedoch wenig bieten was man auf dem
Schwarzmarkt absetzen könnte. Ja, wenn noch wie zu deutscher Zeit in dieser
Stadt landwirtschaftliche Geräte oder Leder hergestellt würden. Oder wenn in
Preußisch-Holland noch die Marzipan-Herstellung in Betrieb wäre. Aber von
den früheren Fabrikationsbetrieben arbeiten heute nur noch die Möbelfabrik
und die Brauerei. Und was sie herstellen, das hat auf dem Schwarzmarkt
keinerlei Wert. Außerdem sind das Überlandwerk und eine Müllerei in Betrieb.
In diesen Werken wird einigermaßen rentabel gearbeitet, wenn sich auch
vieles gegenüber der deutschen Zeit und unseren Auffassungen geändert hat.
Immerhin besteht Aussicht, daß die genannten Betriebe erhalten bleiben und
mit der Zeit sogar ausgebaut werden, um die Vorkriegskapazität wieder zu
erreichen. Ähnlich steht es auch mit einer Anzahl von Werkstätten und
Handwerksbetrieben, die seit dem Oktober vorigen Jahres an einigen Stellen
Preußisch-Hollands eröffnet werden konnten. Die auf kollektiver Grundlage
betriebenen Handwerks-Werkstätten sind inzwischen alle verschwunden. Sie
mußten den Privatbetrieben weichen.

Die einzige halbwegs als Wiederaufbauleistung anzusprechende Tat der Polen
ist die Reparatur des Bahnhofsgebäudes, das ziemlich in Mitleidenschaft ge-
zogen worden war. Dagegen ist es bis auf den heutigen Tag noch nicht zur
Wiederherstellung des Rathauses am Markt gekommen, dessen Brandmauern
klagend neben der erhalten gebliebenen Kirche St. Bartholomä in den Himmel
ragen. Giebelfront und Dach des Rathauses sind ganz verschwunden. Nur etwa
bis zur Hälfte der früheren Höhe stehen die Außenmauern des Gebäudes noch.
Die großen Bogengänge sind zugemauert, um das Gemäuer fester zu verbinden
und seinen endgültigen Einsturz zu verhindern.

Auch an anderen Teilen des Marktes findet man Spuren der Verwüstungen.
Man stößt auf eine Reihe von Gebäuden, die äußerlich fast unzerstört aussehen,
erst beim näheren Hinsehen erkennt man, daß sie ausgebrannt sind. Mehrere
solcher Brandruinen, deren Mauern meist tadellos erhalten sind und die
verhältnismäßig leicht wieder bewohnbar gemacht werden könnten, stehen
im Gebiet am Markt und verstärken den trostlosen Eindruck.

Denselben Eindruck ruft ein Besuch am Schloß von Preußisch-Holland hervor.
Hier trifft man auf eine wüste, von kleinen Gräsern und Bäumen bestandene
Landschaft, aus der schemenhaft einige weiße Wände des Schlosses hervor-
leuchten. Dreck- und Trümmerhügel unterschiedlicher Größe machen ein
Vordringen nur schwer möglich. Nur die polnischen Kinder aus Preußisch-
Holland, das heute „Paslek" genannt wird, finden sich hier zurecht. Sie treiben
hier Versteckspiele und haben sich Höhlen eingerichtet.
Das Schloßgelände bietet heute ein Bild, das jedem Bürger dieser Stadt die
Tränen in die Augen treiben würde. Die Fassadenmauern mit ihren leeren
Fenster- und Türhöhlen scheinen so fern allen Lebens zu sein, wie wir von
der Heimat entfernt sind. Wann wird hier je wieder Menschengeist und
Menschenhand wirksam werden ?

Tröstlicheres ist von den Kirchen unserer Heimatstadt und ihren Friedhöfen
zu sagen. St. Bartholomä ist — wie schon gesagt — erhalten und nach nicht
stilwidrigen Ergänzungen in gutem Zustand. Dieses Gotteshaus dient heute
den polnischen Katholiken. Die zweite Kirche — Friedhofskapelle — ist
Mittelpunkt des religiösen Lebens der vorwiegend deutschen Protestanten.
Auch dieses Gotteshaus ist gepflegt, nachdem einige Plünderungsschäden
behoben worden sind. Erfreulich ist auch, daß der dazugehörige Gottesacker,
wie sonst heute selten in Ostpreußen, ein Bild von Sauberkeit, Ordnung und
regelmäßiger Pflege bietet. Die noch hier lebenden Landsleute haben das
schwere Amt übernommen, möglichst alle Gräber zu betreuen. So können
wir wenigstens zum Schluß unseres Berichtes aus Preußisch-Holland etwas
Tröstliches aus dieser schwer geprüften Stadt melden, einer Stadt, die unter
dem Polentum wohl schwerlich wieder zum Leben erwachen wird!

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, September 1957

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Preußisch Holland - eine holländische Stadtgründung.

Beitragvon -sd- » 16.08.2021, 19:00

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Preußisch Holland erinnert durch seinen Namen an Zeugen
der Arbeit holländischer Kulturpioniere in der Weichselmündung.
Im 16. Jahrhundert wanderten holländische Mennoniten
in größerer Zahl in das Danziger und Elbinger Niederungsgebiet
sowie in einige Orte des Kreises Preußisch Holland ein.

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, Juni 1953

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Preußisch Holland - Eine holländische Stadtgründung in Ostpreußen.

An der Bahnstrecke Elbing - Allenstein liegt die kleine ostpreußische Stadt
Preußisch-Holland. Schon der Name läßt aufmerken. Was er aussagt, be-
stätigt ein Blick in die Geschichte: Die Gründung von Preußisch-Holland
darf als Beispiel dafür gelten, daß die Erschließung des ostdeutschen
Raumes im 13. Jahrhundert für Europa ein größeres Anliegen bedeutet
hat als bloße „Kolonisation". Es waren holländische Siedler, die Preußisch-
Holland gründeten und anlegten. Die Bestätigung findet sich in einer in
lateinischer Sprache abgefaßten Urkunde aus dem Jahre 1297, in der der
Landmeister Meinhart von Querfurt dem damaligen Flecken die Stadt-
rechte verlieh. Interessant in diesem Zusammenhang, daß sich in den
30er Jahren unseres Jahrhunderts holländische Geschichtsforscher nach
Preußisch-Holland begaben, um in alten Urkunden und Akten den Leistun-
gen ihrer Landsleute nachzuspüren. 1939 hatte Preußisch-Holland 7.000
Einwohner.

Das Rathaus und die Bartholomäuskirche stammen beide aus dem 16.
Jahrhundert. Seit dem 1. Juli 1945 gehört Preußisch-Holland zum polnisch
verwalteten Teil von Ostpreußen. Die durch Kriegshandlungen nur gering-
fügig beschädigte Stadt erlitt nach dem Einmarsch der Sowjettruppen
schwere Schäden. Öffentliche Gebäude und Straßenzüge( mit geringen
Ausnahmen) wurden planmäßig niedergebrannt. Im heutigen „Paslek",
wie die polnische Bezeichnung lautet, dürften die Spuren der holländi-
schen Gründer getilgt sein.

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, September 1957

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