Aus Guttstadts Geschichte.

Aus Guttstadts Geschichte.

Beitragvon -sd- » 21.01.2023, 18:36

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Aus Guttstadts Geschichte.

Dem Fremden, der früher nach Guttstadt kam, fiel sofort die außerordentlich
große Pfarrkirche auf, die, wie fast alle ermländischen Kirchen, im gotischen
Backsteinstil gebaut ist. Weithin überragte nämlich die altehrwürdige Dom-
kirche das Stadtbild, das Guttstadt dem Auge des Reisenden von der Eisen-
bahn her oder dem Besucher beim Betreten der Stadt bot. Diese Kirche, wie
sie auch heute noch besteht, übertraf an Größe jede andere des Ermlandes,
ausgenommen den Frauenburger Dom. Mit Recht wurde sie darum schon von
alters her als Domkirche bezeichnet. Gleichsam wie Küklein um die Henne, so
scharten sich die Häuser der Stadt im Alletal um das gewaltige Bauwerk des
Domes, als wollten sie hier bei dem höchsten Herrn der Welt Schutz suchen.

Die Stadt, die von dem damaligen Bischof Heinrich II. Wogenap die Handfeste
ausgefertigt erhielt, ist heute fast 625 Jahre alt. Wie der Deutsche Ritterorden
die Besiedelung des eroberten Preußenlandes durch deutsche Einwanderer
von Anfang an mit der Anlage von Städten begonnen hatte, so nahmen nach
seinem Vorbilde auch Ermlands Bischöfe bei der systematischen Kolonisation
ihres weltlichen Herrschaftsgebietes zunächst die Gründung von Städten in
Angriff, die der wirtschaftliche Mittelpunkt des betreffenden Landstriches, der
Ausgangspunkt für deutsche Sitte und Kultur und die Zufluchtsstätte in Zeiten
der Gefahr sein sollten. So hatte Heinrich I. Fleming, der Lübecker Kaufmanns-
sohn, Braunsberg (1280) und Frauenburg (1287, Handfeste von 1310) angelegt;
sein Nachfolger, der aus Schlesien stammende Eberhard von Neiße, hatte
Heilsberg (1308) und Wormditt (1312) geschaffen, während das ermländische
Domkapitel in seinem weltlichen Herrschaftsgebiet die Stadt Mehlsack (Hand-
feste von 1312) begründete. Als man dann weiter südlich in dem altpreußischen
Bezirk Glottau, wo schon einige wenige Ortschaften bestanden, energisch an
die Besiedlung heranging, entstand hier im Tal der Alle, das damals noch mit
dichtem Urwald bestanden war, Guttstadt. Schon der Name der Stadt, dessen
erste Silbe bestimmt nichts mit den alten Goten und kaum etwas mit dem
deutschen Eigenschaftswort „gut“ zu tun hat, sondern wohl von dem altpreus-
sischen gudde, d. i. Busch abzuleiten ist, lehrt uns, daß diese neue Ortschaft
mitten in der buschreichen Wildnis begründet worden ist, dort, wo auf eine
Alle-Insel seit langer Zeit eine altpreußische Fliehburg bestand. Und das gleiche
versinnbildet uns das Wappen der Stadt, das seit alter Zeit im Gebrauch ist:
auf grünem Boden schreitet ein roter brauner Hirsch dahin, der im Maul einen
grünen Eichenzweig trägt.

Insgesamt umfaßte das Landgebiet Guttstadts ursprünglich 113 Hufen. Doch
sind im Laufe der Jahrhunderte mancherlei Änderungen eingetreten. Schon
sehr früh hatte der Rat der Stadt 29 Ackerhufen zu einem eigenen Stadtdorf
ausgetan, das den Namen 'Neuendorf' führte; die Bauern dieser Ortschaft
hatten den Grundzins an die Stadt zu zahlen. Bald aber, spätestens im Beginn
des 16. Jahrhunderts, kam dies Dorf aus unbekannten Gründen an die Landes-
herrschaft, während andere Stadtdörfer (wie z. B. Bürgerwalde bei Wormditt)
bis in die Neuzeit als solche bestehen geblieben sind. Andererseits erfuhr die
Feldmark der Stadt auf dem linken Alle-Ufer gegen Knopen hin eine Erweiterung
dadurch, daß hier ein kulmisches Zinsgut mit fast 9 Hufen, das 1336 am Quehl-
bach begründet, aber in den verheerenden Kriegen des 15. Jahrhunderts wüst
geworden war, ihr zugeschlagen wurde. Auch auf dem rechten Alle-Ufer kam
ungefähr zur gleichen Zeit, also gegen Ausgang des 15. Jahrhunderts, das kulmi-
sche Gut Nakistern mit 16 Hufen an die Stadtgemeinde. Und schließlich verlieh
1751 Bischof Stanislaus Grabowski der Stadt 1 ½ Waldhufen.

Die Geschichte Guttstadts weist gegenüber den anderen Städten des Fürstbistums
kaum etwas Besonderes auf; die Stadt teilte eben die wechselvollen Geschicke
des ganzen Ermlandes, das oft von Krieg und Pest, von Feuer und Hungersnot
heimgesucht wurde, aber immer wieder zu neuem Leben, zu neuer Blüte empor-
stieg, dank der warmherzigen Fürsorge seiner Landesherren, der ermländischen
Bischöfe, bis dieser mittelalterliche Kleinstaat 1772 seine Selbständigkeit verlor
und in das große Staatsgebilde der Hohenzollern aufging. Eins aber hat Guttstadt
gegenüber allen anderen Städten des Ermlandes, ja ganz Ostpreußen voraus:
hier hatte seit der Mitte des 14. Jahrhunderts das einzige Kollegiatstift des Ordens-
landes seinen Sitz. Hier residierte nämlich von 1347 bis 1811 ein zweites Kapitel
von Weltgeistlichen neben dem Domkapitel der Kathedrale in Frauenburg. Es
nannte sich „Kollegiatstift zum Heiligen Erlöser und allen Heiligen“. Es war aber
keine autonome Korporation, mithin bedurften alle wichtigeren Entscheidungen
der Bestätigung des Bischofs. Nähere Umstände der Gründung waren nie ganz
aufzuhellen, da die Gründungsurkunde nicht erhalten ist. Einen wertvollen Schatz
barg das Kollegiatstift in der Bibliothek, die in einem schönen gewölbten Raum an
der Vorhalle zur Kirche untergebracht war. Nach Aufzeichnungen aus alter Zeit
wußte man, daß auch Napoleon in den schweren Kriegsjahren 1807 und 1808
in dem mit einem reichen Sternengewölbe versehenen Festsaal gespeist hatte.
Die Gründungsurkunde „Im Namen des Herrn. Amen. Kund sei allen, die diese
Urkunde einsehen, folgendes: Wir Heinrich, von Gottes und des Apostolischen
Stuhles Gnaden, Bischof von Ermland, halten es gemäß unserer Hirtensorge für
unsere Pflicht, die verdienstvollen Arbeiten unserer Kirche zu fördern. Immer sind
wir von dem Wunsche beseelt, jenen durch reichliche Hulderweise entgegenzu-
kommen, von denen wir erkannt haben und wissen, daß sie sich in ihren verdienst-
vollen Arbeiten fördern lassen. Was nun den Nutzen unserer Kirche anbetrifft, so
haben ihn schon die ehrwürdigen Väter, die Herren Bischöfe Eberhard und Jordan,
hochseligen Angedenkens, unsere Vorgänger, im Auge gehabt, und zwar Herr
Jordan, da er als Propst während der Krankheit des eben erwähnten ehrwürdigen
Vaters Eberhard in unserem bischöflichen Lande das Amt eines Statthalters in
zeitlichen Dingen inne hatte. Durch die Bemühungen dieser erwähnten Herren
und mit Wunsch und Willen unseres Ermländischen Kapitels war in dem Gebiete
unserer Kirche die Ansetzung (Lokation) und Gründung unserer Stadt Guthinstat,
die sich schon eines guten Rufes erfreut, in Angriff genommen und unserem
getreuen Wilhelm, dem Schulzen von Wormedythin und seinem wahren Erben
und Nachfolgern übertragen worden. Da er aber bis auf unsere Zeiten die landes-
herrliche Bestätigung über die Ansetzung der genannten Stadt nicht hatte, so
haben wir geglaubt, ihm, dem verdienstvollen Manne, das Ansetzungsrecht
(Lokationsrecht) über unsere Stadt Guthinstat zu kulmischem Rechte ewig und
erblich verleihen zu sollen, wie es schon früher endgültig bestimmt und ausge-
macht war. Wir weisen dieser Stadt Guthinstat und ihren Einwohnern 70 Hufen zu,
von denen der genannte Schulz Wilhelm und seine Nachfolger die zehnte Hufe
unter dem Titel der Ansetzung zu ewig freiem Besitz erhalten sollen. Der dortigen
Pfarrkirche und dem jeweiligen Pfarrer gewähren und schenken wir vier, von jeder
Dienstleistung freie Hufen. Indessen haben die Einwohner und Bürger unserer
genannten Stadt schon mehrere zinsfreie Jahre gehabt, und zwar in der Weise,
daß sie in einigen Jahren überhaupt frei von der Zinszahlung waren, in andern nur
die Hälfte des Zinses zahlten. Da nun die zinsfreien Jahre schon ganz abgelaufen
sind, so haben die Bürger von jeder Hufe, ausgenommen die Hufen des Schulzen
und des Pfarrers, alljährlich an dem Feste des Heiligen Bischofs Martinus eine
halbe Mark gangbarer Münze uns und unsern Nachfolgern im Voraus ohne Wider-
rede zu zahlen. Insbesondere weisen wir noch den Einwohnern unserer Stadt,
welche als Hufenbesitzer angesehen werden, für Gärten und Scheunen eine Frei-
hufe zu. Aus besonderer Gunst, die wir dem genannten Wilhelm entgegenbringen,
gewähren wir ihm selbst und seinen rechtmäßigen Nachfolgern zwei weitere Frei-
hufen. Diese begrenzen wir, wie folgt: Sie fangen an außerhalb unseres Roßgartens
bei einem festgesetzten Grenzmal neben einer Erle am Allefluss. Von hier geht die
Grenze gradlinig zu einer gekennzeichneten Eiche und von dieser zu einem aufge-
worfenen Grenzmal neben dem Wege, der nach Warthberg (d. i. Wartenburg)
führt. Ausgeschlossen sind die Wiesen an der Alle stromaufwärts. So bleibt ein
Acker an jener Stelle der Grenzen gegen die Stadt zu, wo Gärten angelegt werden
dürfen. Dem genannten Wilhelm und seinen Nachkommen geben wir ferner eine
freie zehn Morgen große Wiese in der Heide am Bache Kyrsin, der, wie bekannt,
die Wiese selbst durchfließt. Damit die Einwohner unserer genannten Stadt umso
besser vorwärtskommen und die Stadt durch das wirtschaftliche Fortkommen der
Bürger wachse, verleihen wir ihnen in den Wäldern auf jener Seite der Alle gegen
die Wildnis hin 40 Hufen zu gemeinsamen Nutzen, frei von jeder Verpflichtung,
die uns und den bischöflichen Stuhl betrifft. Die Grenzen sind folgende: Sie fangen
an bei den Grenzen des Feldes Prolithin (Prolitten, d. i. Schmolainen und Kossen)
gehen die Alle aufwärts bis zu den sprudelnden Quellen, welche in die Alle fließen;
von dort geht es zu den Grenzen der Preußen Curncthin, Santhop und Akistyr,
endend in der Mitte der erwähnten Felder. Ausgenommen bleiben die Äcker und
Wiesen, wenn solche als geeignet für eine neue Siedlung gefunden werden. Das
sollen die Grenzen der genannten Siedlung sein. Außerdem soll der oft genannte
Wilhelm und seine Nachfolger in dieser unserer Stadt die Gerichtsbarkeit oder das
Schulzenamt besitzen in folgender Weise und zu folgenden Bedingungen: Mit den
Ausschreitungen oder Gesetzesübertretungen der Einwohner unserer genannten
Stadt und auch der andern auswärtigen Gesetzesübertreter, seien es Deutsche
oder Preußen, verhält es sich so: Wenn als solche Gesetzesübertreter auswärtige
Preußen bei den Ausschreitungen selbst oder auf der Flucht durch den Schulzen
der Stadt ergriffen und festgehalten werden, so sollen von derartigen Ausschrei-
tungen, wie auch immer sie waren, uns und unsere Kirche zwei Teile der Straf-
gelder, dem Wilhelm und seinen Nachfolgern der dritte Teil zufallen. Wenn aber
deutsche Einzöglinge nach begangenen Ausschreitungen entfliehen, so soll von
ihrer Bestrafung der genannte Richter den dritten Pfennig erhalten, falls die Sache
zur Erledigung kommt. Von den Ausschreitungen, die die Preußen unseres Gebietes
untereinander begehen, wo auch immer sie bleiben soll, der oft genannte Wilhelm
und seine Nachfolger nicht das geringste Strafgeld bekommen. Wenn aber im
Bereiche unseres Gebietes Preußen mit Deutschen oder Deutsche mit Preußen
sich verfehlt haben und sie durch den erwähnten Schulzen belangt werden, so soll
er hiervon den dritten Teil erhalten; wenn sie aber entflohen sind, soll der Erb-
richter keinen Anteil an den Strafgeldern haben. Die Strafen der kleinen Gerichte
aber, die sich auf vier Schilling und darunter belaufen soll, der nämliche Wilhelm
und seine Nachfolger aus besonderer Gunst unsererseits ganz für sich behalten.
Wir fügen noch hinzu, daß von jedem Zins, welcher in der Folgezeit in unserer
genannten Stadt einkommen wird, wie von den Schlachtungen, den Brotbänken,
den Bänken der Schuster und der Krämer, dem Kaufhause, der Badestube und von
allem anderen uns und unserer Kirche ein Teil, dem Wilhelm und seinen Nachfolgern
der zweite Teil, den Bürgern aber der genannten Stadt der dritte Teil zufließen soll.
Wir bestimmen, daß die Einwohner unserer genannten Stadt zum Zeichen der ober-
herrlichen Anerkennung uns und unsern Nachfolgern an jedem Feste des heiligen
Martinus von jedem ganzen Hause sechs Pfennige zahlen soll. Überdies erlauben wir,
daß der vorgenannte Wilhelm und seine Nachfolger innerhalb der Stadtgrenzen den
Vogelfang und die Jagd auf das kleine Wild wie Hase und Wolf ausüben dürfen. Aus
besonderer Gnade gestatten wir, daß der Schutz und seine Nachfolger sowie die
Einwohner der Stadt im Alle-Fluss fischen dürfen, jedoch nur für eigenen Bedarf
und mit kleinem Gezeuge. Endlich behalten wir uns und unserer Kirche innerhalb
der Stadtgrenzen vor: die Mühlen und deren Gelände, die Erträgnisse der Erde, z. B.
Erz, oder wie immer sie heißen mögen, mit Ausnahme der Früchte des Ackerbaus
oder was sonst dem gemeinen Nutzen dient. Und damit, daß oben gesagte im
Ganzen, wie in den einzelnen Teilen immerwährende Rechtskraft habe, bestätigen
wir es nunmehr kraft unserer ordentlichen Amtsgewalt. Zum Zeichen dessen sind
unser und unseres Kapitels Siegel angehängt worden. Anwesend sind hierbei gewesen:
die ehrbaren und frommen Männer und Brüder Friedrich von Liebenzelle und sein
Gehilfe Johannes von Rynkenburg, unsere Vasallen Konrad Wendepfaffe, Nikolaus
und Alexander, die Söhne des Ritters Alexander, Johannes Dobrin, unser Wormditter
Bürger, Konrad von Welin, unser Notar Johannes und viele andere. Gegeben in
unserer Frauen Burg bei unserer Kathedralkirche am Tage des hl. Erzmartyrers
Stephanus im tausenddreihundertdreißigsten Jahre des Herrn (d. i. 26. Dez. 132?
(letzte Zahl unlesbar, daher ?)

Das Original, fein säuberlich auf Pergament geschrieben, war bis zur Flucht im Stadt-
archiv aufbewahrt worden.

Quelle: Ostpreußen-Warte, Folge 07 vom Juli 1953

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