Wie Niedersachsen nach Ostpreußen kamen.

Woher stammt mein Name ?

Wie Niedersachsen nach Ostpreußen kamen.

Beitragvon -sd- » 12.05.2021, 15:10

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Wie Niedersachsen nach Ostpreußen kamen.
Von Dr. Erwin Nadolny, Museumsdirektor z. Wv.

Der Bauer in der Lüneburger Heide, der Viehzüchter in Friesland, der Bürger des Städtchens
Moringen unfern der Leine — sie werden mit dem Kopf schütteln und nicht glauben, daß
Niedersachsen einst nach Ostpreußen auswanderten. Und doch ist es wahr! Vor fünf, sechs
Jahrhunderten sind die Jungbauern Niedersachsens mit ihren Frauen und Kindern, mit
Gerät und Vieh nach Ostpreußen gezogen, um dort eine neue Heimat zu gewinnen. Aus
den Bürgerbüchern ost- und westpreußischer Städte läßt sich nachweisen, wie stark der
Zuwachs an Handwerkern und Kaufleuten aus Niedersachsens Städten war. Familiennamen
hier einheimischer Bauern, Bürger und Adliger sind auch jenseits der Weichsel heimisch
geworden. Es mag wohl manches Mal ein zutrauliches Gefühl aufgetaucht sein, wenn
sich Heimatvertriebene und Niedersachsen als „Schaumann" und „Tegtmeier" oder als
„Bödeker" und „Körner" bekannt machten.

Der Raum „Niederdeutschland" umschließt mundartlich das Flachlandgebiet vor der
Nordsee- und Ostseeküste. Die Südzone der niederdeutschen Mundart wird ungefähr
von einer Linie begrenzt, die sich von Brügge in Flandern über Köln, Frankfurt/Oder
bis Thorn an der Weichsel hinzieht. Hier schließt die fünfhundertjährige Friedensgrenze
Ostpreußens das Niederdeutsche gegen Litauen und Polen ab. Allein diese sprachliche
Verwandtschaft zwischen Nordwestraum und Nordostraum verweist auf die engen
geschichtlichen Beziehungen vergangener Zeiten.

Das 13. und 14. Jahrhundert waren die hohe Zeit der Ostwanderung. Damals kamen
aus dem niederdeutschen Kernlande westlich der Elbe nicht nur Niedersachsen und
Westfalen und Ostfalen nach Ostpreußen, sondern auch Friesen, Flamen und Holländer.
Die Gründung von Preußisch-Holland (1297) erinnert an die ersten großen Holländerzüge.
Hauerhorst in Holland tritt als Haberhorst unfern der Weichsel im Preußenlande auf.
Mohrungen in Ostpreußen führt seinen Namen auf Moringen in Niedersachsen zurück,
hier liegt nur eine Lautumwandlung vor.

Die Siedler nahmen oft den Namen ihres Heimatortes in den Ostraum mit. Allerdings
ist das ostpreußische Osterode nicht von Siedlern aus Osterode am Harz gegründet
worden, sondern zu Ehren eines Hochmeisters, der dieser Landschaft am Harz ent-
stammt, benannt worden. Aber wir finden im Weichseldelta den Ortsnamen Ladekop,
der als „Ladecop" nicht weit von Stade an der Unterelbe auftritt. Auf Siedler aus dem
Gebiet der unteren Elbe läßt das Auftreten von „Werder" im Osten schließen. Finken-
werder (geschrieben steht Finkenwärder), südlich von Hamburg, und das Große Werder
bei Danzig stehen in enger Beziehung zueinander. „Werder" nannten die niederdeutschen
Siedler die entwässerte und von ihnen eingedeichte Niederung. Auch der Name Marien-
werder ist hierfür ein Beispiel.

Schon die Gründung der Burg Balga am Frischen Haff im Jahre 1239 zeigt die Verbindung
zum niederdeutschen Raum in den ersten Jahren der Ordenszeit. Die „Balje" ist eine
hölzerne Wanne, wie sie die Küstenbewohner und Seeleute an der Nordsee täglich in
Gebrauch haben. Im nördlichen Zipfel des Landes Kehdingen liegt eine kleine Ortschaft
dieses Namens „Balje". Nicht dieser Ort oder Siedler aus diesem Ort, wohl aber das
flache, wannenartige Haff mag der Ordensburg Balga, die die Ausfahrt zur Ostsee durch
das Tief bei Lochstädt im Osten flankiert, den Namen gegeben haben.

Der Deutsche Ritterorden, der sich aus den nachgeborenen Söhnen des Adels, die im
Erbgang nicht mehr berücksichtigt werden konnten, ergänzte, hat unter seinen Brüdern
auch viele Niedersachsen gehabt. Aber auch freie, dem Orden nicht angehörende Adlige
wurden im Ordenslande angesetzt. So hatte Dietrich von Depenow von der Burg Heeßel
im Kreise Burgdorf das Angebot des Landmeisters Hermann Balk angenommen, im
Ordensland zu siedeln. Er übernahm im Jahre 1236 die Burg Klein-Queden auf dem
Unterberge bei Marienwerder. Dreihundert flämische Hufen standen ihm zur Verfügung.
Auf diesem Lande hat er später niedersächsische Bauern angesetzt. Die Siedlung
„Tiefenau" (= Depenow) geht auf ihn zurück. In der Gegend von Dirschau sind Adlige
zu finden gewesen, deren Name „Stormarn", „Ratzeburg", „Wittenburg" und „Boitzen-
burg" auf die Herkunft aus Holstein schließen lassen.

Man könnte noch viele Beispiele für das Eindringen der niedersächsischen Wesens-
und Stammesart in Ostpreußen nennen. Hier sei nur noch auf eine bedeutende Tat-
sache verwiesen, nämlich das Lüder von Braunschweig 1331 - 1335 Amt und Würde
des Hochmeisters des Ritterordens trug. Er war ein von Gott begnadeter Dichter,
allen kulturellen und künstlerischen Fragen im Ordenslande sehr zugeneigt. So setzt
es uns nicht in Erstaunen, daß unter seiner Führung die Dichtkunst des Ordenslandes
ihre erste Blüte erlebte. Daß der Orden zu gleicher Zeit auch einen politischen Höhe-
punkt erreichte, sei ebenfalls erwähnt, denn die Aufsiedlung des Preußenlandes durch
die fortschrittliche Technik niederdeutscher Siedler konnte voran getrieben werden.

Auf drei Zufahrtsstraßen erfolgte der Nachschub an Siedlern. Aus dem Raum von
Magdeburg stießen die Auswanderer nach Osten vor, überquerten bei Küstrin die
Oder, zogen an Warthe und Netze dahin, um bei Thorn das Preußenland zu erreichen.
Die zweite Siedlerstraße führte an der Küste der Ostsee entlang, galt aber mehr der
Aufschließung Pommerns und des Weichseldeltals. Der wichtige Seeweg von Lübeck,
dem großen Auswandererhafen nach dem Osten, versorgte vor allem die Hansestädte
Preußens, also Danzig, Elbing, Frauenburg und Königsberg mit Neubürgern aus dem
niederdeutschen Gebiet.

Diese wenigen Beispiele zeigen, daß der Niedersachse in der Aufsiedlung des Preußen-
landes unter allen niederdeutschen Stämmen eine führende Stelle innehatte.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 19. Juni 1954

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