Todeserklärung.

Todeserklärung.

Beitragvon -sd- » 13.04.2020, 09:45

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Sechs Jahre durfte sie nicht schreiben. Wieder kehrt eine Totgesagte heim,
und der Mann ist verheiratet.

„Nachdem ich Dich fünf Jahre erfolglos gesucht hatte, habe ich Deine Todes-
erklärung beantragt, und sie wurde ausgesprochen. Jetzt bin ich mit einer
anderen Frau verheiratet !“

Was tut eine Frau, wenn sie von ihrem Ehemann einen solchen Brief bekommt,
gerade in dem Augenblick, wo die Hoffnung besteht, daß sie in kurzer Frist zu
ihm zurückkehren kann ?

Man kann es sich schwer vorstellen, wenn man es nicht am eigenen Leibe, am
eigenen Herzen erlebt hat. Dieses Herz, das so wild schlägt vor Sehnsucht und
Schmerz und Zorn, hat nach einer nüchternen amtlichen Erklärung kein Recht
mehr zu schlagen. Sie sagt dir Schwarz auf Weiß: Du bist tot ! Der Mensch, den
du am meisten liebtest, hat gewollt, daß diese Erklärung geschieht. Er hat
keine Geduld gehabt, auf deine Rückkehr zu warten. Ihm war nichts anderes
mehr wichtig als sein eigenes Glück und Wohlergehen. Seine Liebe, die du
durch viele Jahre verspürt hast, die dir das Wichtigste war in deinem Leben,
die du mit allen Fasern deines Seins erwidert hast, mit der du durch Dick und
Dünn gegangen bist und alle Qualen für nichts geachtet hast, hat er einer
anderen Frau geschenkt, die nichts von eurem gemeinsamen Leben weiß. Du
stellst dir vor, in stillen einsamen Nächten, wie sie jetzt alles Vertrauen und
alle Liebe empfängt, nach denen du Sehnsucht hast. Deine Hoffnung, die dich
durch viele Jahre getragen hat, zerbricht wie ein Schiff auf sturmgepeitschtem
Meer, und du fühlst den Untergang. Und du mußt trotzdem weiterleben, denn
das Leben hat nichts mit amtlichen Erklärungen zu tun. „Das ist Schicksal !“,
wird mancher sagen, aber das, was wir Schicksal nennen, ist der Vollzug einer
höheren Macht. Untreue aber ist etwas Menschliches, Unzulängliches; es ist
Schuld.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, Februar 1955. Seite 9
- Auszug aus einem längeren Text.

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Die Todeserklärung wird widerrufen.
Eine ostpreußische Familie findet nach zwölf Jahren wieder zusammen.


Emil Dina geriet bei Kriegsende in sowjetische Gefangenschaft. Er war völlig
entkräftet, als endlich im Jahre 1947 die Tore des Lagers sich für ihn öffneten.
In Frankfurt an der Oder fand er Arbeit in der Forstwirtschaft und später im
Tiefbau. Gewiß, er hatte wieder ein Unterkommen und seinen Verdienst. Aber
der Gedanke an das Schicksal seiner Familie seiner Frau und der fünf Kinder
ließ ihn nicht los. Was mochte aus ihnen geworden sein ?
Voller Hoffnung im Herzen fuhr er zu einem Ostpreußentreffen nach West-
Berlin. Er suchte und forschte, fragte alle Landsleute nach seiner Familie, —
es war alles vergebens. Auch bei seinen Besuchen beim Deutschen Roten Kreuz
konnte man ihm keinen Anhaltspunkt geben. So gingen zwischen Hoffen, Ver-
zweiflung und ständigem Suchen die Jahre dahin. Nach allem, was er gehört
hatte, glaubte Emil Dina schließlich, daß seine Familie beim Untergang der
'Wilhelm Gustloff' den Tod gefunden habe.

Lange hat Emil Dina gezögert. Als die letzte Hoffnung auf ein Wiedersehen
endgültig in ihm erloschen war, beantragte er schließlich in diesem Jahr bei
den Behörden seines Wohnorts in der sowjetisch besetzten Zone, seine Frau
Anna und die fünf Kinder für tot zu erklären. Im Oktober hielt er ein Doku-
ment des Kreisgerichts Eberswalde mit den Namen seiner Lieben in der
Hand, da stand es schwarz auf weiß: Für tot erklärt.

Kurze Zeit später folgte ein zweites amtliches Schreiben. Emil Dina glaubte
seinen Augen nicht zu trauen, als er die wenigen Zeilen las: „Die Todeser-
klärung des Gerichts wird zurückgenommen, da die weiteren Ermittlungen
ergeben haben, daß Frau Anna Dina in Wardenburg, Kreis Oldenburg-Land,
Westdeutschland, lebt“. Dem einsamen Mann kamen die Tränen. Immer
wieder las er die nüchternen Worte; die Buchstaben tanzten vor seinen
Augen. Die Seinen lebten, er würde sie wiedersehen !

Der kurze erschütternde Brief ihres Mannes, der Frau Anna Dina im Olden-
burger Land dann erreichte, brachte auch ihr die Gewißheit, daß ihr langes
verzweifeltes Suchen doch einen Sinn gehabt hat. Frau Dina war im Jahre
1947 mit ihren Kindern aus der Heimatstadt Gerdauen nach dem Westen
ausgesiedelt worden. Von ihrem Mann wußte sie nur, daß er 1946 noch in
einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager in Mecklenburg gewesen war.
Sie stellte einen Suchantrag beim Deutschen Roten Kreuz und fragte und
forschte bei allen erreichbaren Stellen. Jedes Mal, wenn sie von einem
Heimkehrertransport hörte, glomm ein neues Fünkchen Hoffnung in ihrem
Herzen auf. Die Kinder heirateten und bauten sich selbst ein neues Leben
auf. Frau Dina aber wartete von einem Jahr zum anderen. Bis an jenem
Novembertag die gerichtliche Todeserklärung in der sowjetisch besetzten
Zone die Ermittlungen noch einmal verstärkte und die Gründlichkeit der
Behörden eine Brücke schlug von dem einsamen Mann drüben zu seiner
Familie.

Nun ist Emil Dina wieder bei seiner Frau; seine Kinder wohnen in der Nähe.
Zwölf Jahre des gemeinsamen Lebens haben die Eheleute dahingehen müssen,
aber nun sind sie endlich beisammen. Die Kinder, die sich inzwischen selbst
heraufgearbeitet haben, wollen alles tun, um ihren Eltern die kommenden
Jahre zu verschönen und sie die bittere, verzweifelte Zeit der Trennung
vergessen zu lassen.

Emil Dina, der heute 61 Jahre alt ist, ist trotz allem Schweren, das er durch-
machen mußte, kein alter, gebrochener Mann. Kaum war die erste Wieder-
sehensfreude verklungen, da fragte er schon: „Und wo kann ich morgen
anfangen zu arbeiten ?" Seine Kinder meinten, er solle sich doch erst einmal
ausruhen. „Ausruhen ? Das wäre ja noch schöner! Ich muß wieder was zu tun
haben. Jetzt erst recht !“ M. J.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 8. Dezember 1956

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