Auf der Ostbahn nach Königsberg.

Unter anderem: Das Eisenbahnnetz in Mitteleuropa.

Auf der Ostbahn nach Königsberg.

Beitragvon -sd- » 01.06.2019, 20:59

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Auf der Ostbahn nach Königsberg.
Vom Oberland durch das Ermland und Natangen.


In Ostpreußen behauptete die als erste Strecke vor rund hundert Jahren gebaute
Ostbahn ihren Rang als wichtigste Bahnverbindung der Provinz, obwohl sich im
Laufe der Jahre das Verkehrsnetz erheblich verdichtet hatte. Einige Zahlen mögen
dies bezeugen: Ostpreußen besaß 3.350 Kilometer Schienenweg in Normalspur und
1.003 Kilometer Schmalspurbahnen. Große wirtschaftliche Bedeutung gewannen
die einen großen Teil der Provinz durchlaufenden Strecken Osterode-Allenstein-
Insterburg-Tilsit-Memel und die "Südbahn" Königsberg-Rastenburg-Lötzen-Lyck;
auch die Linie Allenstein-Wormditt-Mehlsack-Zinten-Königsberg wurde viel befah-
ren. Hinzu kamen die gitterartig gelegten vielen Querverbindungen.

Infolge der Abschnürung Ostpreußens vom Reich durch den polnischen Korridor
blieb der einheimischen Bevölkerung nach 1918, nur der alte Schienenweg von
Königsberg über Marienburg-Dirschau nach Berlin. Jeder, der in die Reichshaupt-
stadt fahren wollte — es sei denn, er zog eine Seereise auf einem der Schiffe des
'Seedienstes Ostpreußen' vor — mußte diese Strecke benutzen. Kehrten wir von
Berlin aus zurück, so standen wir im Gang des D-Zugs in freudiger Erwartung am
Fenster, um ja nicht den ersten Anblick der Marienburg zu versäumen. —
Die Fenster durfte man ja wieder öffnen, sobald der "Korridor" hinter uns lag.

Am Rande der Trunzer Berge.

Von Elbing über Güldenboden, wo sich die Strecke nach Pr.-Holland abzweigte,
beschrieb der Schienenstrang bis Schlobitten einen Bogen nach Westen. Zur
Rechten lagen dort auf einer Anhöhe der Park und das Schloß des Fürsten zu
Dohna. In einem anmutigen, welligen Gelände, an saftigen Weiden und braunem
Ackerland vorbei, fuhr der Zug nun in der Nordrichtung nach Mühlhausen weiter.
Dieses freundliche Städtchen an der Südostseite der schluchtenreichen Trunzer
Berge hatte eine schöne Umgebung. Nur zu gern wäre man hier ausgestiegen,
um vom 'Gerichtsberg' den großartigen Rundblick zu genießen. Man schaute von
diesem Hügel weit ins Land, und neun Kirchtürme, in der Ferne sogar der Frauen-
burger Dom, waren von dieser Erhebung aus zu sehen. Da wir aber im Abteil
blieben, mußten wir uns mit dem Ausschnitt begnügen, den die schmalen Fenster
während der Fahrt gestatteten. Bald sperrten die Bäume der dichten Schlodiener,
und hinter Kurau, der Födersdorfer Forst die Sicht. Am nördlichen Waldesrand
lag das 1296 gegründete Tiedmannsdorf. Man hörte, dass die Bauern in dieser
Gegend auf ihren fruchtbaren Feldern mehr Hagelschläge hinnehmen mußten,
als es anderswo der Fall war; von Rautenberg bis Mehlsack reichte der Unwetter-
strich.

Der Turm von St. Katharinen.

Kurz vor Böhmenhöfen überquerte die Eisenbahn die Passarge, die ohne sonder-
liche Eile Braunsberg zufloß. Der Turm von St. Katharinen zog den Blick auf sich.
Er war das stattlichste Bauwerk aus der Ordenszeit zwischen Marienburg und
Königsberg. Auf dem blitzsauberen Bahnhof, den gepflegten Rasenflächen und
Blumenrondells umgaben, hielt der Zug eine Weile, um die Zusteigenden von der
Haffuferbahn aufzunehmen. Man konnte in Ruhe den Durst mit einem Glas guten
'Braunsberger Bergschlößchen' löschen. — In den Jahren vor dem Kriege verkehrte
von Königsberg bis Braunsberg ein sogenannter "Theaterzug", um auch den Land-
bewohnern die Teilnahme an dem Kulturleben der Großstadt zu ermöglichen.
Der Zug fuhr kurz vor Mitternacht von Königsberg ab, und er hielt auf allen Stati-
onen. Wunderbar war die Fahrt in den Sommernächten; ein würziger Duft von
frischem Heu drang in das Abteil; weiße Nebel breiteten sich wie leichte Schleier
über den Wiesen aus, und am Waldessaum äste das herausgetretene Wild. Im Ohr
klangen noch die Melodien, die man im Königsberger Opernhaus gehört hatte,
und der magische Zauber der mondhellen Landschaft regte die Phantasie weiter
an.

Kaum zehn Minuten dauerte die Fahrt von Braunsberg nach der benachbarten
Kreisstadt Heiligenbeil. Jenseits einer Wiese erstreckten sich ihre Häuser.
Durch die von dem Schmiedemeister Wermke gegründete Ostdeutsche Maschinen-
fabrik, durch unternehmende Handwerksmeister — von vorzüglicher Qualität
waren die hier verarbeiteten Fleischwaren — und zuletzt durch den Flugzeugbau
nahm die Stadt einen sehr schnellen Aufschwung.

Gr.-Hoppenbruch war die nächste Station. Von hier aus führte die Chaussee
nach der alten Ordensfeste Balga, dem ersten Komtursitz am Frischen Haff.

Staunen über die Weite des Haffs.

Mitreisende aus dem "Reich", die Ostpreußen zum ersten Mal besuchten,
starrten immer erstaunt auf die große Wasserfläche bei Wolittnick, wo die
Eisenbahngleise nahe am Haffufer entlang liefen. "Was ist denn dies für ein
See ...?" fragten sie verwundert — so großartig hatten sie sich das Frische
Haff doch nicht vorgestellt. Es erreicht hier seine breiteste Ausdehnung;
etwa vierzehn Kilometer in der Luftlinie beträgt die Entfernung vom Ostufer
bis Pillau, und bei nächtlicher Fahrt sah man das Feuer des Leuchtturms
blinken.

Der von Wald umgebene Luftkurort Ludwigsort mit dem schönen Gutspark und
dem sich anschließenden Mummelteich war ein beliebtes Ausflugsziel. Rechts
lugte der im graziösen Rokoko gebaute Turm des früheren Jagdschlößchens
Charlottental über die Baumwipfel eines kleinen Parks. Erhalten hatte sich
noch das große Waldrevier der Brandenburger Heide, durch das die äußerste
Nordostgrenze der Rotbuche verlief. Leider war die Fahrt durch diesen
herrlichen Mischwald nur kurz; das Gelände fiel auf Berghängen zum grünen
Frischingstal ab. Vom hohen Bahndamm aus sah man Pörschken unten liegen.

Die ebene Wiesenfläche am Frisching war von Dämmen und Vorflutgräben durch-
zogen, dennoch wurde sie im Herbst weithin überschwemmt. Scharen von Wild-
gänsen rasteten hier während ihres herbstlichen Zuges nach südlicheren
Gegenden. Wie aus einer Spielzeugschachtel entnommen wirkten die Kirche von
Brandenburg am Horizont, und die Baumreihe längs der "Berliner Chaussee" am
Haffrand erschien als kleine, gepunktete Schnur.

Vor Kobbelbude mündeten die Gleise der über Zinten nach Allenstein laufenden
Strecke in die Ostbahn ein. Nahe dem Bahnhof Kobbelbude horsteten Störche
auf Telegraphenstangen; das Geratter der Züge störte sie nicht. Frösche
fanden sie zu Haufen auf den feuchten Wiesen ringsum, und daher nahmen sie
das Gepruste der Lokomotiven in Kauf. Um ihnen diese sonderbaren Nistplätze
zu erhalten, stockte die Deutsche Reichspost einige Telegraphenmaste auf;
diese tierfreundliche Tat ehrte die frühere Reichsbehörde. Von ihrer luftigen
Höhe schauten Meister Adebar und seine Jungen gelassen auf die rauchenden,
stählernen Ungeheuer herab, die auf den Schienen so eilig davonpufften.

Visitenkarte des Hafens.

Seepothen und Wiedrinnen waren noch ganz ländlich anmutende Stationen. Je
weiter man fuhr, um so zahlreicher mehrten sich die Vorboten der Großstadt:
Siedlungshäuser, kleine Industrieanlagen, Schuttplätze, die Ringchaussee ...
Auf einem Schild an einer ausgebaggerten Kuhle, die durch Regen- und Grund-
wasser in einem Badeteich verwandelt war, las man vergnüglich die Aufschrift
"Klein-Rauschen".

Bei Ponarth zeigte sich zur Linken das hohe weiße Gebäude des Turm- und
Gruppenspeichers als Visitenkarte des modernen Hafens. Der große Lokomo-
tivschuppen am Nassen Garten und das Labyrinth der Gleise auf dem Verschie-
bebahnhof mit den rangierenden Güterzügen konnte das Auge nicht lange
fesseln, denn nach wenigen Minuten nahm die Halle des neuen Hauptbahnhofs
den Zug auf. Die Wagentüren öffneten sich, und beim Aussteigen vernahm man
wohltuende, heimatliche und sehr herzliche Laute. Verwandte und Freunde
begrüßten sich und schlossen sich in die Arme, denn es war Brauch, lieben
Besuch vom Bahnhof abzuholen.

Sechs Bahnsteige überspannte die mächtige, dreischiffige Halle, von der aus
sieben verschiedene Strecken abbogen. — Wir schritten die Treppe hinunter
und kamen mit dem Strom der Ankommenden durch den langen Tunnel in die
geräumige Schalterhalle. Vor ihrem Tor standen Straßenbahnen und Taxis
bereit. Wir waren in Königsberg ... Adelheid Thiel

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 30. Juni 1956

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