Stettin-Szczecin 1945-1946. Dokumente-Erinnerungen, ...

Stettin-Szczecin 1945-1946. Dokumente-Erinnerungen, ...

Beitragvon -sd- » 21.09.2020, 10:22

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Mich beschäftigt z.Zt. eine Frage, welche die Ausweisung meiner Familie
(meine Mutter, meine Großeltern, mein Bruder und ich) von Rudwangen,
Kreis Sensburg in Ostpreußen nach Sachsen, Kreis Pirna, im Jahre 1947
betrifft. Die Umsiedlung erfolgte in Güterwagen, in denen je etwa 30
Personen untergebracht waren. Unser Transport wurde Mitte Oktober
1947 im Bahnhofsgebäude von Sensburg zusammengestellt.

Bei der Abfertigung wurden wir korrekt behandelt. Uns wurde nichts weg-
genommen. Im Gegensatz dazu stehen Schilderungen von Betroffenen
früherer Umsiedlertransporte, wonach ihnen fast alles abgenommen wurde,
was sie nicht auf dem Leibe trugen. Aufgrund dieser Vorkommnisse soll dem
Vernehmen nach eine neutrale (internationale ?) Beobachtergruppe einge-
setzt worden sein, die vor Ort präsent sein und Übergriffe verhindern sollte.

Ich erinnere mich, bei der Abfertigung unseres Transports im Oktober 1947
im Sensburger Bahnhof in einer Ecke der Halle eine Gruppe von Personen
in einheitlich dunkelblauer Kleidung gesehen zu haben. Diese Personen
beobachteten das Geschehen, ohne selbst tätig zu werden. Sie beobach-
teten nur, das war das Auffällige an ihrem Verhalten. Ihre Kleidung wich
zumindest in der Farbe deutlich von den Uniformen der polnischen Beamten
ab.

Aus Vorstehendem ergeben sich für mich folgende Fragen:

* Hat es in diesem Zusammenhang eine neutrale (internationale ?)
Beobachtergruppe gegeben?
* Welche Aufgaben hate sie ?
* War eine Abordnung dieser Gruppe Mitte Oktober 1947 auch im
Sensburger Bahnhof dabei ?

Meine diesbezüglichen Anfragen bei verschiedenen staatlichen Stellen und
beim Suchdienst des DRK sowie beim Internationalen Komitee des Roten
Kreuzes in Genf brachten keine Klärung, es war schlicht nichts bekannt.

Daher setze ich meine Hoffnung jetzt auf die große Runde der Familien-
forscher/innen. Ich bin für jeden Hinweis dankbar.

Ulrich Küßner, Wennigsen.

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Mit Wissen und telefonischem Einverständnis von Ulrich Küßner hier eingestellt.

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Es gibt ein Buch 'Stettin-Szczecin 1945-1946. Dokumente-Erinnerungen, Dokumenty-Wspomnienia'.
Über Fernleihe zu erhalten. Man erhält einen guten Überblick, wie sich die Situation der für die
zu bewältigen Mengen- und Zeitprobleme zuständigen Polen und Besatzungsmächte damals
offiziell darstellte.

Nach der damaligen Sprachweise handelte es sich um eine Aussiedlung der auf dem neuen polni-
schen Gebiet noch vorhandenen deutschen Bevölkerung. Die damit einhergehende "Behandlung"
der Auszusiedelnden führte insbesondere bei den Engländern zu der Einsicht, daß man nicht
tatenlos zusehen konnte. Die Briten engagierten sich ab 1946 zunehmend, was im Februar 1946
zu einem Abkommen zwischen der britischen Armee und der polnischen Regierung führte, indem
als allgemein gültige Bedingung betont wurde, daß die Aussiedlung und Überführung der Deutschen
in humaner und ordentlicher Weise durchgeführt werden sollte. Wenn die Tommys, nur neun
Monaten nach Kriegsende Skrupel hatten, die Aussiedlung der Deutschen in der bisherigen Form
weiter laufen zu lassen, muß wohl einiges passiert sein.

Meine Mutter und ich als 5-Jähriger haben uns aus Königsberg Ende 1944 auf die Flucht begeben,
in Danzig wurden wir von den Russen eingeholt. Dort blieben wir bis Mitte 1947, keine schöne Zeit.
Warum wir erst so spät zur Aussiedlung bestimmt wurden, weiß ich nicht. Jedenfalls hatte das zur
Folge, daß wir dadurch
1.) über die im o.a. Abkommen genannte neue Route D in die britische Besatzungszone über
Friedland nach Scharbeutz kamen und
2.) unsere Ausweisung in der humanitären und ordentlichen Weise erfolgte.

Der Transport von Danzig bis zum Sammellager "Etappenpunkt 3" in Stettin in Viehwagen war
kein Vergnügen, aber die Aussicht, bald "nach Deutschland" zu kommen, hat vieles erträglich
gemacht.

Vielleicht waren die Beobachter in blauen Uniformen Briten.

Martin Adloff

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Moin Herr Sommerfeld, kein Problem, Sie können den Text verwenden.
Was "Ahnen-Navi" betrifft werde ich wohl einige Zeit brauchen, aber die habe ich ja.
Martin Adloff
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Willenberg, Geschichte einer ostpreußischen Grenzregion.

Beitragvon -sd- » 22.09.2020, 11:47

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Meine Großeltern wurden 1948 im Oktober ausgewiesen. Die Abfahrt des Zuges
war in Bischofsburg auch in Güterwagons. Jede Person durfte mitnehmen, was
getragen werden konnte. Die Häuser durften beim Verlassen nicht abgeschlossen
werden. Der Abtransport war organisiert und ohne Zwischenfälle.

Daß die Ausreisenden später nicht mehr belästigt wurden, hängt mit der Anord-
nung der Sowjets zusammen, wonach es 1947 verboten war die Deutschen zu
mißhandeln. Spätestens als die Zusammenarbeit mit den Deutschen in der
SBZ intensiver wurden, sollte es keine störenden und vertrauensmindernden
Aktionen gegen die Flüchtlinge geben. Die Flüchlinge waren jetzt auch keine
Flüchtlinge mehr, sondern Umsiedler.

Tatsächlich waren Alliierte Beobachter bei den Transporten dabei, auch
Schweden ! Die grauenhaften Transporte von 1945 und 1946 hatten in den
USA, England, Kanada, wo viele Deutsche lebten, für Entsetzen gesorgt.
Der Krieg war vorbei und deutsche Zivilsten starben wie Eintagsfliegen.
Kein Wasser, keine Lebensmittel ! Die Überlebenden warfen die Leichen
aus dem Zug. Dazu kamen Vergewaltigungen und Raub. Wer sich wehrte,
wurde ermordet. So wurde es mir von Verwandten berichtet.

Olaf Göbeler

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Lieber Herr Sommerfeld, es ist nett von Ihnen sich zu meiner Aussage so positiv
zu äußern. Wenn Sie möchten können Sie meine Angaben verwenden aber es gibt
so viele, bessere Aussagen der Vertriebenen in den Heimatboten oder Schriften
der Kreisgemeinschaften.
Ich stelle Ihnen nachfolgend einen Ausschnitt aus meinem Buch zur Verfügung:


'Willenberg, Geschichte einer ostpreußischen Grenzregion'.

"Die Ausweisungspolitik der Polen war für uns damals unverständlich. Vermutlich
waren sie aus heutiger Sicht überfordert, denn sie waren plötzlich die großen
Gewinner des Krieges und haben Verantwortung für das neue Land übernehmen
müssen. Gleichzeitig mußten sie alle stalinistischen Vorgaben erfüllen und die
Umsiedlung durchführen. Das Land wollten sie wohl dabei nicht entvölkern. So
durften nur Bürger mit einwandfrei deutsch klingenden Namen ausreisen, alle
anderen wurden durch Zwang zu Polen. Wer dies nicht wollte, konnte sich bei den
eingesetzten polnischen Bürgermeistern einen deutschen Namen gegen hohe Geld-
summen oder gegen Sachwerte kaufen. Wir reisten fast alle mit falschem Namen
aus: Sokolis wurde zu Hoffmann (4 Personen); Symanski wurde zu Herrmann
(6 Personen); Bonk unverändert (2 Personen). Mit dem Handwagen ging es nach
Ortelsburg. Dort waren wir im Auffanglager, bis alle Reiseformalitäten mit den
polnischen Behörden erledigt waren.

Es war Anfang Dezember 1945, an das Tagesdatum kann ich mich nicht mehr erin-
nern. Es war kalt, die Bäume waren mit Reif überzogen. Der Omulef hatte eine
dünne Eisdecke. Später zeigte sich auch die Sonne, ein schöner Tag und doch traurig,
weil wir ziehen mußten. Es war einfach nicht mehr zu ertragen. Im Auffanglager
wurden wir von den Polen total ausgeplündert. Wir wurden in Viehwagen der Reichs-
bahn verladen, ohne Stroh. Die Türen wurden von außen verriegelt. Die vielen
Menschen auf sehr enger Grundfläche, ohne Sitzgelegenheit, es gab keine Ver-
pflegung und Getränke. Es war brutaler als in Glauch. Etwa drei Wochen dauerte
der Transport. In diesem Viehwagen wurde gegessen, getrunken - soweit etwas
vorhanden war - die Notdurft verrichtet und auch gestorben. Wenn gelegentlich
angehalten wurde, um junge Männer und Frauen als Zwangsarbeiter für die UdSSR
zu beschaffen, konnten die Toten neben den Bahngleisen abgelegt werden. Eine
Bestattung der Toten war nicht möglich, wurde auch nicht erlaubt. Diese Aufent-
halte nutzten die Russen und Polen, um zu plündern und zu vergewaltigen. Zwei
Russen wollten eine Mutter und ihre Tochter vergewaltigen. Die beiden Söhne,
etwa 13 bis 16 Jahre alt, wehrten die Russen heftig ab. Der ältere Junge wurde
dabei mit dem Kampfmesser an der Brust verletzt und blutete. Er ließ die Verge-
waltigung durch seine Gegenwehr nicht zu. Daraufhin sollten alle erschossen
werden. Sie sollten dazu niederknien. Der mutige junge Mann zwang seine
Schwester, Mutter und den Bruder immer wieder aufzustehen. Unser Schreien,
auch unterstützt von den Menschen in den Nachbarwagen links und rechts,
bewirkte endlich, daß die Russen abzogen."

Es gibt hunderte von ähnlichen Berichten und Beschreibungen, was die "Befreier"
gemacht haben. Es ärgert mich immer mehr, wenn ich über diese Ereignisse
schreibe, daß sofort die Einwände kommen "aber die Deutschen haben doch
damit angefangen". "Das ist auch falsch", antworte ich darauf, "angefangen haben
die Polen 1920." Die Leute kennen die Wahrheit nicht und tun das als rechtes
Gedankengut ab.

Verwenden Sie die Aufzeichnung; meinen Segen haben Sie. Ich habe diese Auf-
zeichnungen 2004 in mein Buch eingefügt. Meine Quelle war der Ortelsburger
Heimatbote. Es genügt mein Buch als Quelle anzugeben, aber es wird auch so
niemand Schwierigkeiten machen. Sollten Sie weitere Fragen haben helfe ich
gerne. Herzliche Grüße, Olaf Göbeler
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