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Die Kuckelfrau.

BeitragVerfasst: 29.11.2019, 21:40
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Die Kuckelfrau.
Von Paul Grünau

Wer das ist ? Nun, unsere ostpreußischen Kinder kennen sie heute nicht mehr.
Sie hat es aber einmal gegeben, jene schwer an ihrer süßen Last tragende,
keinen Landweg und keine Hitze scheuende Kuchenfrau. An einer „Pede", die
sie in der gleichen Weise wie die berühmten Hamburger Wasserträger auf ihren
breiten Schultern trug, hingen zwei weiße große Weidenkörbe. Sie waren
angefüllt mit „Kuckels", wie wir als Kinder die zuckerglasierten Schnecken
und „Amerikaner" nannten, und mit „Miggen". Das waren lange, rundlich
unterteilte Brötchen, mit Salz, Mohn oder Kümmel bestreut. Die Bäcker der
ostpreußischen Kleinstädte schickten damals die Kuckelfrauen mit ihren
Erzeugnissen in bestimmten Abständen — etwa zweimal im Monat — von Dorf zu
Dorf. Das Kleinauto gab es ja noch nicht. — Im Winter, wenn die Landwege
verschneit waren, ruhte natürlich das Geschäft der Kuckelfrau.

Aber im Sommer — da kam sie, und jedes Mal gab es für die Kinder des Dorfes
ein Freudenfest. Sah man sie von ferne, liefen ihr die Kinder schon entgegen
und gaben ihr fragend und scherzend fröhliches Geleit bis zum Dorfeingang.

Schweißtriefend setzte dort die kräftige Frau ihre schwere Last ab, löste die
Ketten mit den Haken aus den Korbbügeln und legte dann auch die Holzpede
nieder. Nach kurzer Verschnaufpause, in der sie sich den Schweiß von der
Stirn wischte, setzte sie ihre kleine Glocke in Bewegung, und bald war sie von
einem Kinderschwarm umringt, zu dem sich auch die Mütter mit dem nötigen
Kleingeld eingefunden hatten. Schneeweiße Leinentücher, die die Ware zum
Schutz vor dem Staub der Landstraße bedeckten, zog nun die Kuckelfrau von
den Körben, von denen einer die Kuckels, der andere die Semmeln enthielt.
So war die ganze Pracht vor den großen staunenden Kinderaugen ausgebreitet.
Und die guten Mütter konnten ja nicht anders, als die vielen kleinen Hände
ihrer Lieblinge mit Kuckeln und Miggen zu füllen. Die schmeckten in der warmen
Sommerluft, in die sich manchmal noch der Duft frischen Wiesenheus und des
Honigs der Bienenvölker in einem nahen Garten mischte, viel besser als in der
dumpfen Stube oder in einer feinen Stadtkonditorei, die wir als Landkinder
überhaupt nicht kannten. Mit erleichterter Last, aber um viele Dittchen reicher
zog die Kuckelfrau weiter ins nächste Dorf.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 29.06.1957

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