Eine unvergessene Provinz im deutschen Osten.

Eine unvergessene Provinz im deutschen Osten.

Beitragvon -sd- » 06.04.2019, 10:57

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PommernDas 'Land am Meer'.
Eine unvergessene Provinz im deutschen Osten.


Wenn man von Pommern spricht, so denkt man unwillkürlich an das Meer
an die Ostsee, die uns Ostdeutschen so sehr vertraut und heute in schier
unerreichbare Ferne gerückt ist. Lutz Mackensen beschreibt Pommern, das
'Land am Meer', wie die Übersetzung des slawischen Namens Pomorze lautet,
als "ein langes schmales Haus; die Fensterseite nach Norden, vielgegliedert
und wohlverschlossen, die Hofseite nach Süden, Westen und Osten unverzäunt
und jedermann offen". Und man kann in der Tat keine bessere und schönere
Beschreibung für die Provinz Pommern finden. Auf 500 km wirft die Ostsee
von den wildzerzausten Wäldern der Halbinsel Darß im Westen bis zu den
langgestreckten Dünenketten im Osten ihre Wellen an den Strand des pom-
merschen Landes. Dies ist die einzige feste Grenze dieses Raumes. An seiner
breitesten Stelle nach Süden mißt Pommern 120 km. 'Land am Meer“ ist
der einzig treffende Name für dieses Land.

Und das Meer ist auch mitbestimmend für das Wesen dieses Landes und
seiner Menschen. Fischer und Seeleute bevölkerten die Dörfer und Städte
an der Küste. Bauern prägten das Gesicht dieser Landschaft. In den Städten
Stralsund und Greifswald im Westen, Swinemünde im Oderdelta, Kolberg,
Köslin und Rügenwalde im Osten, entwickelte sich neben der Schiffahrt eine
Industrie, die dem Lande mit seiner Landwirtschaft diente. Die pommerschen
Ostseebäder lockten jährlich Zehntausende Menschen an und schenkten
ihnen Erholung. Ob wir die Bäder auf der größten Insel Deutschlands, Rügen,
nennen: Binz, Sellin, Saßnitz, oder der beiden Schwesterinseln Usedom-Wollin,
wie Swinemünde, Ahlbek, Heringsdorf, Misdroy, oder die großen und bekannten
Bäder Hinterpommerns, Kolberg, Stolpmünde, Leba — sie alle dienten dem
Menschen. Hier fand er ein Land vor, das noch Oasen der Einsamkeit besaß:
Die weißen Sandwälle der Lonzke-Düne, verträumte rostrote, sich weit
dehnende Kiefernwälder.

Pommern ist ein Land, das eine bewegte Geschichte aufweist. Schwer hat
dieses Land um seine politische Einheit ringen müssen. Der mächtige Städte-
bund der Hanse, die Ritter des deutschen Ritterordens, Bischöfe und Mönche,
Herzöge und Grafen, Schweden und Polen haben um das Ganze oder um Teile
dieses Landes gerungen. Die Kriegsfackel hinterließ ihre Spuren. Immer aber
war es der deutsche Mensch, der diesem Landstrich das Gesicht gab. Und
stets war es die Klammer des Meeres, mit den Winden im Wechsel der Jahres-
zeiten, die den Menschen zu sich selbst zurückfinden ließ, seine Leistungen
bestimmte — und es waren große Leistungen, die vollbracht wurden
– und den Maßstab für jegliches Handeln gab.

In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts trat Pommern in das Licht der
Geschichte. Es war die Zeit, als Heinrich I. und Otto der Große begonnen
hatten, die Herrschaft des Deutschen Reiches über die Elbslawen auszudehnen.
Wo standen die Pomoranen, ein slawischer Stamm, der damals Pommern be-
wohnte ? Sie standen nicht auf Seiten der Polen. Herzog Boleslaw von Polen
nahm um das Jahr 1120, nachdem er viele Jahre mit den Pomoranen gekämpft
hatte, Stettin ein. Sein Ziel war es, Pommern, das ohne Gewaltanwendung inner-
lich für das Christentum gewonnen werden sollte, fest an Polen zu binden. So rief
er Bischof Otto von Bamberg in das Land an der Oder. Dieser wurde zum wahren
"Pommernapostel".

1138 starb Boleslaw. Die Kirche in Pommern aber arbeitete nicht mit Polen zu-
sammen, sondern mit den Dänen, die auch die ersten Klöster im Pommernlande
gründeten. Das Land hatte politisch unter den Erbteilungen der Nachkommen
Boleslaws schwer zu leiden. Die Deutschwerdung Pommerns aber hatte im 12.
Jahrhundert mit dem Aufbau der Kirche begonnen. Ein Jahrhundert später
begannen die pommerschen Herzöge Barnim I. und Wartislaw III. den Zuzug
deutscher Ritter bewußt zu organisieren. Eine zweite, intensivere Welle deutscher
Kolonisation setzte ein. Städte wurden gegründet. Ritter und Adel begannen ihr
großes Werk der Siedlung, das bis in unsere heutigen Tage seinen festen Bestand
gehabt hat. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts war Pommern zwar noch kein völkisch
einheitliches Land. Verstreut waren die deutschen Dörfergruppen und Städte.
Aber im Laufe der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte wuchs das Siedlungs-
werk, das einst wenige deutsche Menschen begonnen hatten: Bauern aus vielen
Teilen Deutschlands, die mit den knarrenden Treckwagen einst in die dunklen
Wälder zwischen Oder und Weichsel aufgebrochen waren. Pommern wurde
deutsch, nachdem es den Polen nicht gelungen war, es polnisch zu machen.
Und so deutsch blieb es, bis die slawische Flutwelle des letzten Krieges die
Deutschen, die aus Pommern ein blühendes Agrarland mit Deutschlands dritt-
größter See- und Hafenstadt Stettin gemacht hatten, aus einem 700-jährigen
deutschen Land vertrieb.

Von den Leistungen, die 700 Jahre altes Deutschtum in Pommern vollbrachte,
sollen hier einige Zahlen zeugen. Pommern hatte 1939 etwa 2,4 Millionen
Einwohner. Dieses Land, das zur Hauptsache landwirtschaftlich genutzt wurde,
hatte in der Periode der Jahre 1935 / 1939 folgende Durchschnittsernten:

Doppelzentner je ha
Getreide, insgesamt: Pommern 17,9; Altreich 20,3
Kartoffeln: Pommern 173,2; Altreich 173,2
Zuckerrüben: Pommern 319,2; Altreich 318,2
Futterrüben: Pommern 471; Altreich 454,6
Heu, insgesamt: 44,6; Altreich 49,4

Ostdeutschland ernährte eine eigene Bevölkerung von 9,5 Millionen und
lieferte weiterhin den Nahrungsmittelbedarf für etwa 6 Millionen Menschen.

Pommern hatte folgende Anteile an dieser Überschußlieferung:

Brotgetreide: Ostdeutschland (in 1000 to) 1 398; Pommern 654;
Pommern 1 v. H. Ostdeutschlands 47

Kartoffeln: Ostdeutschland (in 1000 to) 1 532; Pommern 853;
Pommern 1 v. H. Ostdeutschlands 54

Fleisch i. to.: Ostdeutschland (in 1000 to) 20 244; Pommern 106 739;
Pommern 1 v. H. Ostdeutschlands 50

Reinfett: Ostdeutschland (in 1000 to) 25 361; Pommern 18 592;
Pommern 1 v. H. Ostdeutschlands 74

Aber nicht nur die Landwirtschaft, Handel, Industrie und Handwerk zeugen
durch ihre Leistungen für die Wirtschaft Pommerns, des deutschen Ostens und
damit der Volkswirtschaft des ganzen deutschen Reiches. Ebenso zeugte dies
Land der Seen und Wälder, der stillen Dörfer und anheimelnden Städte für die
geistige Welt des deutschen Ostens. Nicht wenige der Großen unserer Nation
hatten ihre Wiege im Pommernlande. Menschen, deren Namen jeder im deutschen
Land kennt, von denen aber wohl wenige wissen, daß ihre Wiegen in dem Land
an der Oder gestanden haben. Heinrich von Stephan, der Reformer der deutschen
Post und Schöpfer des Weltpostvereins, wurde 1831 in Stolp geboren. Otto Lilien-
thal, der Flugpionier, erblickte in der vorpommerschen Stadt Anklam das Licht der
Welt. Drei berühmte Ärzte, Forscher von Weltruf, waren pommersche Söhne:
Rudolf Virchow, Theodor Billroth und Carl Ludwig Schleich. Carl Loewe, Schöpfer
unvergänglicher Balladen, wirkte lange Jahre als Musikdirektor, Kantor und Orga-
nist an der Hauptkirche St. Jakobi in Stettin. Die Maler Philipp Otto Runge (1777
in Wolgast geboren) und Caspar David Friedrich (1774 in Greifswald geboren)
setzten in ihren Werken der romantischen Landschaft Pommern ein ewiges Denk-
mal.

Ein Albrecht von Roon, ein Joachim Nettelbek, ein 'Papa Wrangel' dienten als
Soldaten dem König von Preußen. Sie waren Männer, die die Geschichte
Preußens und damit Deutschlands verantwortlich mitgestalteten. Sie waren
Männer eines Staates und einer Idee, deren oberster Leitsatz das Dienen war,
das Dienen in Verantwortung. Wie überhaupt der pommersche Adel den
Königen von Preußen viele Männer stellte. Soldaten und Beamte, die das
Wirken in Freiheit und Verantwortung zu ihrem Lieblingsprinzip erhoben
hatten. Der größte Sohn Pommerns aber, der sein Leben der Freiheit ver-
schrieb, war der in Schoritz auf Rügen geborene Ernst Moritz Arndt. Sein
Wirken hat weit in den deutschen Raum hinaus gestrahlt. Sein Leben und
sein Werk sind nicht zu trennen. Er lehrte an der pommerschen Universität
Greifswald als Professor, später in Bonn. Mit wachsender Empörung wandte er
sich gegen die Gewalttaten Napoleons, wurde zum Streiter der deutschen
Befreiung von 1813. Die deutsche Einigung war sein Lebensziel. Er stritt um
Deutschlands geistige Erneuerung und für eine neue gesellschaftliche
Ordnung. Verfolgt von den ewig Gestrigen, denen die Freiheit ein Dorn im
Auge war, hatte er bittere Jahre zu erleiden. Seine Schriften aber haben
auch heute vieles zu sagen. Wie zeitnah und richtungweisend sind jene Worte
seiner Rede vom 30. Juli 1807:

"Unser Zeitalter ist schwer, unser Unglück groß .... aber für den, der nicht
an sich zweifelt, ist nichts verloren !

Wie haben wir gelebt in Sorgen und Ängsten, und in törichten und vergeb-
lichen ! Die Welt wird sich halten ! Sie wird sich aufrichten, wenn wir
fest und aufrecht bleiben. Die Meteore und Ungeheuer der Zeit werden,
angebetet oder verflucht, zu ihrer Zeit auch nur als Erinnerungen über
Gräber schweben. Wir wollen nicht verzagt sein, daß wir Stunden und
Tage verzagt gewesen sind. Unsere ganze Liebe, alle unsere Hoffnung,
alle unsere Kraft wollen wir in die Zeit legen und glauben sie sei zu
retten ! Und sie wird gerettet werden !

Fremde Fäuste können nicht helfen, wenn die eigenen schlaff sind. Aber
die Entscheidung des Zeitalters ruht mehr auf dem Wort und der Meinung,
als auf dem Befehl und auf dem Schwerte.

Klagt nicht um das Verlorene, seht nur aufs Künftige ! Herrschaft, die
von Schlechten verloren ward, wird durch Tüchtige wiedergewonnen.
Die zerschlagenen Städte, die verödeten Fluren bauen deutscher Fleiß
und Sparsamkeit schön wieder auf.

Darum klaget nicht, noch trauert um das Kleine, sondern sorget, daß das
Große erstehe und das Schlechte untergehe !

Wahrheit und Recht, Mäßigkeit und Freiheit seien die Halter unseres
künftigen Lebens. Darin wollen wir eins sein in Unglück und Schmach, so
werden unsere Enkel eins werden durch Glück und Glorie ! Dies ist mein
letztes Wort, dies unser höchster Glaube."

Einen Mann mit edler Gesinnung wie Ernst Moritz Arndt wurde in Pommern
geboren. Er ist Pommerns größter Sohn. Ihn prägte ein Land, das weltoffen
war. In das die Winde aus Ost und West hineinwehten, Menschen aus Ost und
West hineinströmten, in dem sich alles verband, neue Form bekam und Gestalt
wurde. Ein Land, das Menschen mit einem deftigen Humor, voller Gradheit,
manchmal etwas schroffe und mißtrauisches Gestalten schuf, die aber ein
goldiges Herz und eine treue Seele haben. Ein Land mit einem eigenen Herz-
schlag, schwingend im Rhythmus der Herzen jener Bauern, Fischer, Handwerker,
Beamten, Kaufleute, Soldaten, Adligen, die es formten zu dem, was es war und
trotz fremder Besetzung seiner einen Hälfte noch ist: ein deutsches Land im
Osten. Hans-Gerd Warmann

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