10. April 1945. Die letzten Tage Königsbergs.

10. April 1945. Die letzten Tage Königsbergs.

Beitragvon -sd- » 26.02.2020, 20:59

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10. April 1945. Die letzten Tage Königsbergs.

Man schreibt den 30. Januar 1945. Das erst unmöglich Erscheinende und
später dann unvermeidlich gewordene war eingetreten: Der stählerne Ring
um Königsberg war geschlossen. Zur Festung erklärt, sollte Ostpreußens
Hauptstadt ohne Rücksicht auf seine Einwohner und die Tausenden von
Flüchtlingen, die in ihren Mauern Zuflucht gesucht hatten, laut Führerbefehl
bis zum letzten Mann und zur letzten Patrone verteidigt werden.

Als der nächste Tag heraufdämmerte, grau und unlustig, jagt die sowjetische
Artillerie ihre ersten Granatsalven als Morgengruß in die Stadt. Bald darauf
dröhnten Flugzeugmotoren, und die Häuser Königsberg erbebten unter den
Detonationen der Fliegerbomben. Welle auf Welle folgt; der anglo-amerika-
nische Fliegerangriff hat noch zahlreiche lohnende Ziele übrig gelassen. Es
gibt viele Tote unter den Soldaten und Zivilisten. Die Straßen sind leer gefegt
von Menschen und das, was man in einer belagerten Festung als Leben bezeich-
net, spielt sich unter bombensicheren Kellergewölben ab.

Eine tiefe Niedergeschlagenheit hat sich der Bevölkerung bemächtigt, man
hofft auf eine Entsetzung der Stadt und glaubt doch andererseits nicht daran,
weiß oder ahnt, daß es sich um ausgestreute Gerüchte handelt, um die
Bevölkerung so lange wie möglich zu beruhigen. Die Moral der Truppen läßt
zu wünschen übrig, bei jeder Einheit gibt es Drückeberger, die sich von
ihrem „Haufen“ abgesetzt haben und in versteckten Häuserruinen und Kellern
mit leichtfertigen Mädchen Exzesse begehen.

Noch einmal wird der eiserne Ring gesprengt. Die Situation ändert sich, als
General Lasch zum Festungskommandanten ernannt wird. Der General war
zu Beginn des Ostfeldzugs noch Regimentskommandeur bei einer vielfach
bewährten ostpreußischen Infanteriedivision, hatte an der Eroberung von
Riga hervorragenden Anteil und war dafür mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet
worden.

General Lasch griff schnell und energisch durch. In kurzer Zeit entstand an
der Peripherie der Stadt ein gut gegliedertes Verteidigungssystem mit
Schützen- und Panzergräben, Verhauen und Barrikaden. Waffen und Munition
wurde herbeigeschafft und die gelockerte Disziplin in kurzer Zeit durch
drakonische Maßnahmen wieder hergestellt. Soldaten, Volkssturm und Zivil
haben in kurzer Zeit ausgezeichnete Arbeit geleistet.

Ein Aufatmen geht durch die Bevölkerung und die Herzen der Verzagten er-
füllen sich mit neuem Mut, als am 5. Februar ein Ausfall aus der Festung
zum Erfolg führte. In den frühen Morgenstunden dieses Tages waren Kampf-
einheiten der 1. ostpreußischen Infanteriedivision und der fünften Panzer
division ohne Artillerievorbereitung aus dem Raum Juditten zum Angriff an-
getreten, hatten mit kühnem Angriffschwung Metgethen, die idyllisch am
Waldsaum gelegene Gartenstadt Königsberg genommen und die Straße nach
Pillau freigekämpft, über die sich im Februar noch ungezählte von Flüchtlingen
retten konnten. Unter den Angreifern befanden sich zahlreiche ostpreußische
Jungen, sechzehn- und siebzehnjährige aus Königsberg und Flüchtlinge aus der
Provinz, die kurzfristig ausgebildet, mit Gewehr und Handgranate von Deckung
zu Deckung vorwärtsstürmen und selbst die alten Kameraden durch ihren
Angriffsgeist mitreißen. Viele dieser Jungen fielen in diesem Kampf um die
Befreiung der Heimat und fanden ihr Grab in heimatlicher Erde auf dem
Luisenfriedhof in den Hufen.

Die Freude über den erfolgreichen Vorstoß wird aber auch nach einer anderen
Richtung hin getrübt. Nur wenige Tage war Metgethen von den Soldaten der
Roten Armee besetzt, aber lange genug um jedes weibliche Wesen viele Male
zu schänden und unter den Männern ein grauenvolles Blutbad zu verrichten.
Ein bestialisches Inferno, das zu schildern die Rücksicht auf unsere Landsleute
verbietet, die sich in einer ähnlichen Lage befunden haben.

Während die Verteidigungsvorbereitungen zielbewußt fortgesetzt werden,
nimmt das Leben in den Stadtbezirken, die außerhalb der Reichweite der
sowjetischen Geschütze liegen, wieder beinahe normale Formen an. Geschäfts-
leute öffnen ihre Ladentüren und auch die Gaststätten werden wieder besucht.
Inzwischen ist es Ostern geworden, das erste Grün lugt zaghaft in den Vorgärten
zwischen Trümmergestein hervor, viele Königsberger lockt das milde Wetter zu
einem österlichen Spaziergang und auf dem Schloßteich schaukeln sogar ein
paar Kähne, besetzt mit Soldaten und ihren Mädchen. Es sollten die letzten
friedsamen Tage für die Königsberger Bevölkerung bleiben. Denn auch der
Feind war nicht untätig gewesen, hatte ungeheure Massen an Verstärkungen
und Material herangezogen.

Der Sturm bricht los. Schon wenige Tage nach dem Fest beginnt eine gewaltige
Kanonade. Die Luft ist erfüllt vom Zischen und Bersten der Granaten. Die Ver-
luste, die aus den einzelnen Abschnitten gemeldet werden, wachsen stündlich
und bei der erdrückenden Übermacht ist es nicht verwunderlich, daß der Feind
immer tiefer in das Verteidigungssystem eindringen kann. Stehen doch den
schwachen Verteidigern dreißig Divisionen, zwei Panzerkorps und eine Luft-
flotte gegenüber. Das ist ein Verhältnis von 1 zu 8. Tiefe Einbrüche können die
Sowjets bei Ponarth und Juditten erzwingen. Dadurch fällt die einzige Ausfall-
straße wieder in die Hand des Feindes, und Königsberg ist erneut von der Außen-
welt abgeschnitten. Auch die Straßen innerhalb der Stadt bieten einen trost-
losen Eindruck, Granaten haben die Straßendecke aufgerissen, Schuttmassen
liegen darüber, umgestürzte Fahrzeuge, dazwischen tote und verwundete
Zivilisten und Soldaten.

Der Tragödie zweiter Teil. Hoffnungs- und ausweglos erscheint den geängstig-
ten Menschen das Dasein, eine Katastrophenstimmung hat sich aller bemächtigt,
auf die der Einzelne recht unterschiedlich reagiert ... Während die einen in
ernster innerer Sammlung und im Gebet die Kraft zu finden hoffen, für das,
was ihnen bevorsteht, suchen andere im Alkohol Betäubung und Vergessen.
Wieder andere geben sich einem zügellosen, hysterischen Lebenshunger hin,
der sie angesichts des bevorstehenden Untergangs, gleichsam im Anblick des
Todes ergriffen hatte. Man will zum Schluß noch einmal in vollen Zügen, bis
zur letzten Nagelprobe das Leben genießen, bevor alles zu Ende ist. Viele
Menschen aus allen Gesellschaftsschichten wählten den Freitod. Wer will hier
Richter sein !

Weltuntergangsstimmung herrscht auch im "Blutgericht", dem Quartier der
Parteileitung. Der Parteigewaltige selbst, der Gauleiter Erich Koch, hatte
schon Ende Januar seine Hauptstadt verlassen und seine neue Residenz in
Neutief aufgeschlagen, weil er dort, wie er sich ausdrückte, einen besseren
Überblick über die Geschehnisse im Samland hatte, das noch allein von ganz
Ostpreußen übrig geblieben war. Und während hier der Stab der zurückgeblie-
benen Parteiführung bei reichlichen Mengen von Alkohol drakonische Maß-
nahmen gegen Drückeberger beriet und über einen Ausfall auf eigene Faust
beratschlagte, kämpfte in seinem Gefechtsstand im Keller der zerstörten
Universität am Paradeplatz General Lasch einen schweren inneren Kampf
zwischen militärischen Pflicht- und Ehrgefühl und reiner Menschlichkeit.
Indessen nimmt die Zerstörung der Stadt stündlich zu, muß Stellung auf
Stellung geräumt werden. Soll der Kommandant, den aussichtslosen Kampf
fortsetzen, der schließlich nichts anderes ist, als sinnloses Blutvergießen, soll
er die Kapitulation anbieten, um dadurch wenigstens für die Zivilbevölkerung
eine mildere Behandlung zu erreichen. Nach langen Gewissenskämpfen ent-
scheidet er sich für die Kapitulation. Doch die politische Führung erkennt die
Kapitulation nicht an, SS und Partei setzten den aussichtslosen Kampf fort
und auch die Hoffnung, die General Lasch auf die Ritterlichkeit und Großmut
der Sieger setzte, erwies sich als trügerisch.

Die Königsberger Bevölkerung entging nicht dem ihr im Voraus zugedachten
Schicksal, der Plünderung, Mißhandlung, Schändung und vielfach dem Tod. Die
Kämpfe um die Stadt Königsberg haben ungefähr der Hälfte der Ende Januar
noch in Königsberg befindlichen Zivilbevölkerung das Leben gekostet. Militär
und Volkssturm haben rund zwei Drittel ihres Bestandes verloren.

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Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, April 1945
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