Schulunterricht in Königsberg 1946.

Schulunterricht in Königsberg 1946.

Beitragvon -sd- » 06.01.2019, 11:01

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Schulunterricht in Königsberg 1946.

Über ihre Tätigkeit als Lehrerin an der 'Nichtrussischen Mittelschule für
deutsche Kinder' in Königsberg von 1946 bis 1948 berichtet Frau Lucy Falk,
die vor kurzem das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Unendlich viele Schwierigkeiten galt es zu überwinden, bis der Schulbetrieb
1946 einsetzen konnte. Die Johanna-Ambrosius-Schule in der Luisenallee war
renoviert worden und wartete auf Lehrer und Schulkinder. Doch die wenigen
Lehrkräfte, die noch in der Stadt verblieben waren und deren Anzahl man an
den Fingern abzählen konnte, hatten Hemmungen aus ganz erklärlichen Gründen,
denn es handelte sich um Schulen für deutsche Kinder, die von Russen geleitet
wurden.

Das Problem des Heranholens der Schulkinder war auch schwierig zu meistern.
Sie sollten vom 7. Lebensjahre an am Unterricht teilnehmen, doch einen
Schulzwang gab es nicht. Es blieb Sache der Lehrkräfte, für den Schulbesuch
zu werben. Gewiß, die Liste über die Kinder besaß der Bürgermeister, doch
damit fing die Arbeit erst an. Wo wohnten damals die Deutschen ? Nur auf dem
Boden oder im Keller, allenfalls in kaum auffindbaren Trümmerhäusern ohne
Treppe im ersten Stockwerk, zu dem man durch eine Leiter kam, die nach
Bedarf heruntergelassen wurde. Da konnte ich lange warten und rufen. Die
Mütter wollten auch sehr oft ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Sie
fürchteten, daß ihren Jungen oder Mädeln dort Ideen eingeimpft würden,
deren Gegner sie waren, sehr überzeugte Gegner durch das Leben, das sie alle
führten.

Die weitaus meisten Mütter lehnten die Schule aus wirtschaftlichen Gründen
ab. Sie brauchten die Kinder zum Geldverdienen. Kinder verdienten durch den
Verkauf von Zigaretten, Streichhölzern und Bonbons auf der Straße weitaus
mehr, als ein Erwachsener für seine ehrliche Arbeit. Gewiß wünschte manche
Mutter, daß ihr Kind etwas lerne, und hielt es dann oftmals so, daß sie es
einige Tage zur Schule schickte, dann wieder auf die Straße.

Ein Mittel allerdings gab es, das für den Schulbesuch warb: es war die Lebens-
mittelkarte, die jeder Schüler bekam. Der darauf gewährte billigere Einkauf
von Brot und Zucker wie der in Aussicht gestellte Bezugschein für Kleider und
Schuhe lockten.

Dann war es soweit. Die 'Nichtrussische Mittelschule' öffnete ihre Tore den
330 deutschen Jungen und Mädeln und führte sie in einen geordneten
Pflichtenkreis. Der Deutsch-, Rechen- und Fremdsprachenunterricht füllte in
der Hauptsache den Stundenplan aus und stellte an die Schüler beträchtliche
Anforderungen. Russisch lernten die Kinder schon im vierten Schuljahr. Es
war der einzige Unterricht, der von russischen Lehrkräften gegeben wurde.

Um die Kinder, die täglich aus dem Waisenhaus zu unserer Schule geführt
wurden, war es ein eigen Ding. Sie unterschieden sich von allen andern. Ihr
Äußeres war gepflegt, der Ausdruck ihrer Gesichter starr. Jeden Morgen
dasselbe Bild: Voran ging ein junges Mädchen, die Waisenkinder zu zweit
folgten im langen Trupp. Kein Kind lief aus der Reihe. In ihren dunklen
Flauschmänteln wirkte die wohlgeordnete Kinderschar wie ein Trauerzug.
Und es war auch so, obwohl für sie im Waisenhaus, das natürlich auch unter
russischer Leitung stand, verhältnismäßig gut gesorgt wurde. Man warb um
ihre Seele, doch vergebens, sie war noch erstarrt. Die Kinder hatten zu viel
erlebt, gesehen und auch verloren.

Viel Anerkennung ihrer Leistungen fanden die Schüler der oberen Klassen bei
Revisionen im englischen Sprachunterricht, der im fünften Schuljahr begann.
Kein Wunder — man vergaß, daß man deutsche Kinder vor sich hatte, denen
die Aussprache der englischen Laute kaum Schwierigkeiten machte.

Es trat allmählich immer deutlicher hervor, daß Jungen und Mädel Freude am
Schulunterricht zeigten, mehr lernten und weniger fortblieben. Mag sein,
daß die hellen warmen Schulzimmer sie anlockten mit ihren klaren Fenster-
scheiben, die im freundlichen Gegensatz zu den dunklen Wohnkellern standen.
Doch dann fand sich auch der Lerneifer.

Man muß es miterlebt haben, um den Wert der Einrichtung einer deutschen
Schule in Königsberg zu ermessen. Kleine Strolche und Abenteurer von Straßen
und Marktplätzen hatte sie eingefangen und gab ihnen sittlichen Halt und
Wissen.

Für mich war es beglückend, deutsche Kinder zu unterrichten, doch lebte ich
in ständiger Sorge, was der Tag bringen würde. Und solche Sorgen waren
berechtigt.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 9. Juni 1956

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