Seuchenzeiten in Königsberg.

z.B. die Pest 1709 / 1710.

Seuchenzeiten in Königsberg.

Beitragvon -sd- » 28.05.2019, 10:40

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Seuchenzeiten in Königsberg.

"Die wilde Pest heert weit und breit
Mit Leichen ist die Welt bestreut.
Schon manchen Toten deckt kein Grab,
Der’s graben wollt‘, sank selbst hinab."


So lautet ein altes Pestlied. Der Osten ist, wie alle Länder Europas, immer
wieder "von der Pest heimgesucht" worden. Freilich war es nicht immer die
gleiche Krankheit, denn früher wurde jede ansteckende Krankheit, die plötz-
lich auftrat und rasch viele Todesopfer forderte, einfach 'Pest' genannt.
Jene Grippe, die nach dem ersten Weltkrieg mehr Opfer in der Welt forderte,
als der Krieg, und die Cholera im 19. Jahrhundert wären vordem auch als Pest
überliefert worden. Desgleichen das große Sterben nach dem Zweiten Welt-
krieg, wie es gerade in der ostpreußischen Metropole geschah.
Die Geschichte wiederholt sich oft.

Schlimm waren die Jahre 1708 bis 1710 in Königsberg. Aus einem Bericht des
Königsberger Sanitätskollegiums vom 19. November 1709 entnehmen wir: Die
Leute fallen dahin wie das Laub von Bäumen, wie Fliegen beim herannahenden
Froste vor Hunger und Schrecken. Es laufen fast täglich Nachrichten ein wegen
an noch säugender Kinder, daß dieselben in infizierten Häusern hilflos liegen,
daselbst verschmachten und umkommen. — Auch tun die Geistlichen diesen
Bericht, daß schon jetzt manchem der Strick oder das Messer nur mit Gewalt
den Händen entwunden werden kann. Und hierzu berichtet der Königsberger
Pestprediger Rausch: Heute und gestern war ich in der Bandschneidergasse,
in einer Stube, da sie alle ausgestorben, wo zwei Kinder tot auf der Erde
und eins in Agonie lag. Die Person, die da sollte berichtet werden, lag auf
einer Bank aus Mangel an Betten und mußte ich, um ihr das Abendmahl zu
reichen, die Toten mit dem Fuße aus dem Wege räumen.

Grausige Überfälle und Anschläge werden uns aus der Zeit nach 1945 von
Königsberg geschildert. Ähnlich ist es schon vor 2 ½ Jahrhunderten gewesen;
denn die Behörden sahen sich veranlaßt, folgende Verordnungen zu erlassen:
Weil es sich ausgewiesen, daß des Abends Handwerksleute in Mänteln ver-
mummt, die Vorbeigehenden häufig überfallen und ihnen die Almosen mit
Gewalt nahmen, sowie in die infizierten Häuser eindringen und vielfältige
Diebereien an infizierten Personen verüben, auch andere Gottlosigkeiten
desto freier verrichten, weil solche Delinquenten meinen, daß man sie nicht
bestrafen könnte, wo man nicht die Gefängnisse durch sie anstecken wollte,
so haben wir in Sonderheit für sehr nützlich befunden, solche Verbrecher in
das Pesthaus zu bringen und daselbst zur Verrichtung der unflätigen Arbeiten,
als Wegbringen der Exkremente, Zumachen der Gräber, Verpflegung der im
Pesthause befindlichen Kranken und sonsten pro qualitate ihres Verbrechens
bestrafen lassen, als wodurch wir nicht allein den bekannten Banditen Bluhm,
sondern auch insonderheit die Infamie, aus lauter Dieben bestehende
Hermannsche Bande gänzlich aufgehoben und unschädlich gemacht haben.

Aber Notzeiten erwecken auch gute Seiten, im Diarium des Königsberger Grube
steht folgende Aufzeichnung: Gott erweckte viele Wohltäter, daß, da das
Getreide so teuer gewesen, dennoch sich Leute gefunden, die zu ganzen oder
halben Lasten Korn, in gleichen Gerste, Bier, Brot und Gold geschenkt haben.
Im Kneiphof ist manchen Sonntag von den Kanzeln für so reiche Wohltaten
gedankt, die mehr als 500 Rthl. importiert. Arme Leute haben nach Vermögen
in den Klingelsäckel eingelegt, und die Umgänge mit den Schalen haben auch
reichlich getragen, daß davon für die Armen haben Särge gemacht werden
können. Auch ist in den Apotheken den Armen zugute die Arznei gegeben
worden.

Als sich die furchtbare Seuche dem Ende zuneigte, dichtete im Frühjahr 1710
der Königsberger Pestchirurgus Dr. Emmerich nachfolgende Verse:

"Gottlob, das Pesthaus ist von allen Kranken frei.
In unserm Sprengel stirbet kaum einer oder zwei.
Der Kantor klaget schon: „Es gibet keine Leichen“.
Der Arme gibet nichts und nichts sterbt von den Reichen.
Ich halte sonsten viel von einem Gläschen Bier,
Doch wenn kein Toter ist, so reichet man nichts mir.
Der Priester gleichfalls hat nicht sonderlich zu danken.
Es fangen sich vielmehr zu paaren an die Kranken.
Marcoly ist verliebt in Nuckel, seine Braut.
Der Pestgroßvater ist mit seiner Busch getraut.
Der Schreiber Fabian mit Morgens seiner Grethen,
Die wollen männlich sich, doch ohne Blut ertöten.
Es suchen alle schon die Scharte auszuwetzen
Und der Verstorbenen ihr Anzahl zu ersetzen."


Soweit die historischen Tatsachen. Henneberger berichtet eine Begebenheit:
„Der Erstgeborene an der Pest frißt den andern“, die man in das Gebiet der
Sage verweisen muß. Er erzählt: Anno 1564 war ein Landsterben und es starben
damals in zwei zu dem Königsberger Löbenicht gehörigen Dörfern viele Leute,
da kamen drei Bauern zu dem dortigen Pfarrer Henneberger und baten um
ein Begräbnis, aber an einem von ihnen bestimmten Orte. Das Begräbnis ließ
er ihnen zu, den Ort aber schlug er ihnen ab, denn der Schulmeister hatte
ihm geklagt, daß sie ihm die Hintertüre mit Todten also vergruben, daß er
nicht wohl auf den Kirchhof zum Läuten kommen könne, da sie doch sonst
Raum genug hätten. Da sagten sie dem Prediger die Ursache, wie man ihnen
berichtet, daß die erste Person, die in einem Orte in der Pestilenzzeit stürbe,
im Grabe aufsitze und den Laken fresse, und so lange sie zu fressen habe,
solle es an dem Orte nicht aufhören zu sterben, solches wäre da und da
auch geschehen, sie hätten den und den also sitzend und fressend gefunden,
da hätten sie ihm mit dem Spaten den Hals abgestochen und da habe es
aufgehört. Henneberger aber redete ihnen zu, daß die Pestilenz eine Strafe
Gottes um ihrer Sünden willen sei, und belehrte sie, daß sie ihre Todten an
einer andern Stelle des Kirchhofs begruben, und der Herrgott half, daß dies
die letzte Person war, so in dem Sprengel an der Krankheit starb.

In einem anderen Sprengel war der Erstgeborene auf einem Acker begraben
worden, denn er hatte sich nie zu Gottes Tische begeben. Diesen hatten
Etliche heimlich ausgegraben und ihn sitzend gefunden, das Laken fressend,
dem hatten sie den Hals abgestochen, daß sein Blut die Aufgräber besprengte,
wie sie denn vom leidigen Teufel verblendet nichts anderes sehen konnten.
Aber es bekam ihnen übel, denn sie fanden zu Hause überall kranke Leute
und es starben hernach viel mehr denn zuvor, weil in dem Reviere nur sechs
Ackerbürger und etliche Gärtner wohnten, und gleichwohl 49 Personen
daraus starben, ohne die, welche sie aufs Feld begraben hatten.

Dieselbe Historie hat Noverius, ein Magister, gen Wittenberg an Dr. Martin
Luther geschrieben, daß ein Weib aus seinem Orte gestorben, fresse sie sich
selbst im Grabe auf und darum wären bald alle daselbst gestorben.
Hermann Bink

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, Mai 1955

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