Sieben Jahre Ural für zwei Salzfische.

Sieben Jahre Ural für zwei Salzfische.

Beitragvon -sd- » 25.02.2017, 09:42

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Sieben Jahre Ural für zwei Salzfische.
Bitteres Schicksal einer ostpreußischen Familie.


Kurz bevor der Krieg zu Ende ging, wurde noch mancher eingezogen. So auch
Robert Sagemann, Inhaber eines Baugeschäfts und eines Fuhrunternehmens in
Rossitten. Und damit begann der zwölfjährige Leidensweg einer Familie. Der
Vater zog mit dem Zollgrenzschutz Richtung Westen, wurde an der Elbe von den
Amerikanern gefangengenommen und schließlich an die Franzosen ausgeliefert.
Währenddessen erlebten Frau Sagemann und die sechs Kinder das Vordringen
der Russen. Entkommen konnten sie nicht, sie wurden überrollt. Siegfried, der
Älteste, wurde gleich verschleppt und verstarb in einem russischen Lager an
Hungertyphus — sechzehn Jahre war er alt.

Nicht nur die fünf Kinder, sondern auch ihre alten Eltern hatte Frau Sagermann
nun zu ernähren. Eine einzige Lebensmittelkarte erhielt sie für sich, acht Menschen
mußten damit satt werden. Eines Tages bekam sie von einem Aufseher zwei Salz-
fische, fiel bei der Kontrolle auf und wurde wegen Diebstahls zu sieben Jahren
Straflager verurteilt, nachdem sie ein halbes Jahr lang eingekerkert war und miß-
handelt wurde. Im Herbst 1945 brachte man sie in den Ural zur Schwerarbeit in
Steinbrüchen und im Walde. Schreiben aber durfte sie erst, nachdem sie ihre
Strafe verbüßt hatte. So erhielt ihr Bruder in Sachsen ein Lebenszeichen, das er
sofort weiterleiten konnte, denn ihm waren Schicksal und Aufenthalt von Herrn
Sagermann und den Kindern bekannt. Als nämlich Robert Sagemann im Oktober
1945 aus französischer Gefangenschaft kam, ging er zu seinem Schwager in
Großenhain / Sachsen, bei dem sich tags zuvor eine Nachricht eingefunden hatte,
der zufolge die fünf Kinder in einem mecklenburgischen Flüchtlingslager lebten.
Bekannte hatten sie dorthin mitgenommen. Nun holte sie ihr Vater und zog mit
ihnen nach Schönbeck an der Elbe. Aber dort konnte er nicht genug verdienen,
um alle satt zu machen. In Hannover fand er Arbeit in einem Steinbarackenlager
und mühte sich abends ab, die Unterkunft zu verbessern. Seine Kinder hat er
selbst aufgezogen und rechtschaffene Menschen aus ihnen gemacht.

Vor drei Jahren nun — Robert Sagermann hatte nie die Hoffnung aufgegeben,
von seiner Frau zu hören — kam auf dem Umwege über den Schwager das so
langersehnte Lebenszeichen. Frau Minna — die Russen nannten sie Minka —
hatte in einer ukrainischen Sowjose 2.500 Hühner zu versorgen. Der Briefwechsel,
der nun wenigstens in Gang kam, war alles andere als regelmäßig, es kam auch
nicht alles an, aber zuweilen erhielt sie über das Deutsche Rote Kreuz Geld, das
sie für die Rückreise sparte. Vor zwei Jahren leiteten ihre Angehörigen ihr wieder-
holt Bescheinigungen zu, daß sie die deutsche Staatszugehörigkeit besitzt, aber
auch diese Urkunden bekam sie nicht. Erst als das DRK ihr persönlich das Schrift-
stück zuleitete, fand es seinen Bestimmungsort.

Noch immer lag der Tag des Wiedersehens mit Mann und Kindern in der Ferne.
Schließlich, eine Woche vor Weihnachten, konnte sie die Reise von Winiza aus
antreten. 415 Rubel betrug der Fahrpreis. In die Bundesrepublik zu ihrer Familie
zu reisen, wurde ihr nicht gestattet. In Fürstenwalde mußte sie ihre eigene
Wattejacke und die Stiefel gegen Rock, Strickjacke, Mantel und Schuhe um-
tauschen und konnte dann nach Berlin weiterreisen. Nun wollte sie wenigstens
zu ihrem Bruder nach Sachsen fahren, wenn sie schon nicht nach Westdeutsch-
land durfte. In Ostberlin fand sie aber eine junge Frau, die sie in die S-Bahn setzte,
mit der Frau Sagermann unbehelligt in den Westen kam.

Aber noch immer mußte sie sich gedulden, denn das Lager Marienfelde nahm
sie zwar auf, aber die zuständigen Leute machten Weihnachtsferien und
konnten den Abflug nicht genehmigen. Weitere zwei Wochen hieß es warten —
aber dann konnte sie endlich, endlich im geschmückten Heim Einzug halten, in
dem Roswitha, Helmut und Joachim vor zwei Jahren schon ein Schild anfertigten
"Herzlich willkommen !" 14, 15 und 16 Jahre sind die Kinder alt. Die beiden
ältesten waren bei dem Wiedersehen nicht dabei, denn die Tochter hatte einen
Monat zuvor die Reise nach Amerika angetreten und der Sohn arbeitet in
Süddeutschland und konnte nicht fort.

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, Februar 1957

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