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Die deutliche Sprache der Zahlen.
Eingliederung der Vertriebenen eine wichtige Aufgabe des Bundestages.
Von unserem Bonner O. B. - Mitarbeiter
Am 6. September 1953 wählte das deutsche Volk Westdeutschlands seinen neuen
Bundestag. Ihm wird — nachdem der alte Bundestag das nicht vermocht hatte —
die Aufgabe zufallen, die Eingliederung der Vertriebenen zu vollenden. Es ist aus
diesem Grunde angebracht, darzutun, welche große Aufgabe für die kommenden
vier Jahre noch bevorsteht.
Unter den Vertriebenen waren am 1. Januar 1953 noch fast doppelt so viele arbeits-
los wie bei den Einheimischen. Obwohl der Anteil der Vertriebenen an der Gesamt-
bevölkerung nur 17 Prozent ausmacht, betrug der Anteil der Vertriebenen an den
Arbeitslosen 29,5 Prozent. In den einzelnen Ländern waren die Verhältnisse wie folgt:
Schleswig-Holstein Vertriebenenanteil an der Gesamtbevölkerung 30 Prozent,
Vertriebenenanteil an den Arbeitslosen 48 Prozent, Hamburg 9 Prozent bzw.
8 Prozent, Niedersachsen 26 Prozent bzw. 40 Prozent, Bremen 11 Prozent bzw.
12 Prozent, Nordrhein-Westfalen 12 Prozent bzw. 15 Prozent, Hessen 17 Prozent
bzw. 27 Prozent, Rheinland-Pfalz 8 Prozent bzw. 10 Prozent, Baden-Württemberg
15 Prozent bzw. 36 Prozent, Bayern 21 Prozent bzw. 33 Prozent.
Hinsichtlich der Dauer der Arbeitslosigkeit liegen für den 1. Januar 1953 keine
Zahlen vor. Nach etwas älterem Material waren von den 127.000 Erwerbslosen, die
länger als achtzehn Monate ohne Arbeit waren, 66.000, also 52 Prozent, Vertriebene.
Die Vertriebenen sind also die strukturellen Arbeitslosen, während die Einheimischen
fast nur noch saisonbedingte Arbeitslosigkeit kennen.
Die gewerblichen Unternehmen von Vertriebenen machen 6,4 Prozent aller Unter-
nehmungen Westdeutschlands aus; bei einem Anteil der Vertriebenen an der Gesamt-
bevölkerung in Höhe von 17 Prozent ein wesentlich zu geringer Prozentsatz. Die
Beschäftigten in Vertriebenenbetrieben bezifferten sich sogar nur mit 4,9 Prozent
aller in gewerblichen Betrieben Westdeutschlands tätigen Personen; es ist ein Beweis
dafür, daß die wenigen Vertriebenenbetriebe auch noch wesentlich zu klein sind.
Unter den selbständigen Landwirten des Bundesgebietes machten am 1. Juni 1952
die Vertriebenen 1,5 Prozent aus. Im Verhältnis zu dem Anteil, den die Vertriebenen
an der Gesamtbevölkerung innehaben (17 Prozent), ist dies ein erschütterndes Ergeb-
nis. Bisher sind seit 1945 etwa 40.000 ostdeutsche Bauern wieder als Selbständige
in der Landwirtschaft angesetzt (wenn auch vielfach nur auf Pachtbetrieben und auf
Zwergbetrieben). Ein Vielfaches dieser 40.000 wartet noch auf einen Hof.
Von hundert Unterstützungsempfängern (außer Arbeitslosenunterstützungsempfänger
waren in Westdeutschland nicht weniger als 53 Vertriebene.
Von hundert Wohnparteien wohnten bei den Vertriebenen 22 Prozent als Wohnungs-
inhaber in Normalwohnungen, 10 Prozent als Wohnungsinhaber in Notwohnungen
und 68 Prozent als Untermieter. Bei den Einheimischen sahen die gleichen Ziffern
wie folgt aus: Wohnungsinhaber in Normalwohnungen 61 Prozent, Wohnungsinhaber
in Notwohnungen 4 Prozent, Untermieter 35 Prozent. Diese Angaben beziehen sich
zwar nicht auf das Jahr 1953, sondern auf die letzte Wohnungszählung; die Verhält-
nisse haben sich jedoch inzwischen nicht wesentlich geändert.
Eindeutiger als viele Worte und lange Abhandlungen beweisen diese Zahlen, wie
außerordentlich groß noch die Aufgabe ist, die der neue Bundestag im Hinblick auf
die Lösung des Vertriebenenproblems wird zu erfüllen haben.
Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 15. September 1953
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