Marienwerder - Ordensstadt an der Weichsel.

Marienwerder - Ordensstadt an der Weichsel.

Beitragvon -sd- » 27.01.2017, 09:41

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Marienwerder - Ordensstadt an der Weichsel.
Eindrücke von einer Reise in die westpreußische Heimat.


Es gibt kaum eine abwechslungsreichere und in der Vielfalt ihrer natürlichen
Schönheiten anziehendere Landschaft als die westpreußische. Die Verkehrswege
durchschneiden sanfte Erhebungen, hier von hohen alten Föhren und Tannen
bestanden, dort von Buchen, Birken und Eichen, die immer wieder den Blick
freigeben auf Heide und Moor, auf das strahlende Blau der vielen Seen und
das üppige Grün fruchtbarer Bodensenken. Der Weg führt den Reisenden aber
auch durch die vielen sauberen westpreußischen Städte, die eigentlich immer
dort entstanden und sich zu besonderer Blüte und bürgerlicher Wohlhabenheit
entwickelten, wo der Deutsche Ritterorden seine Stammburgen errichtete,
einst von slawischen Fürsten hierher ins Land gerufen.

1233 entstand die Ordensfeste Marienwerder, wehrhaft und dem Kreuz dienend
zugleich, in der großen Reihe der bedeutendsten Burganlagen Europas, inmitten
des alten Weichsellandes. Mit seinen Wehrmauern und dem weither vom
flachen Land sichtbaren Dansker ist diese Feste dem Weichselstrom im Westen
zugewandt. Ein gutes Stück deutsche und abendländische Geschichte ist diese
Burg geblieben. Und auch heute noch, von der Kriegsfurie unberührt, einem
Wellenbrecher gleich, grüßt sie den von Norden, Westen und Süden ins Weichsel-
land Kommenden.

Die Stadt, die 1945 Regierungsbezirk war, und deren Bewohner schon einmal
ausdrücklich ihre Zugehörigkeit zu Deutschland zu bekunden gezwungen waren,
ist heute von den Polen in Kwidzyn umbenannt worden. Dem heutigen Besucher
vermag sie nur noch wenig von dem zu vermitteln, was ihr einmal den schmük-
kenden Beinamen einer Blumenstadt eintrug.

Vor kurzer Zeit besuchte ich Marienwerder, und da ich von Danzig kam und die
vielen kleinen westpreußischen Städte gesehen hatte, die nicht viel mehr waren
als erschreckend große Schutthalden, war ich dankbar, hier noch ein kleines
Stück des Bildes einer Stadt im Ordensland vorzufinden. Die gewaltige gotische
Burganlage in enger baulicher Verbindung mit der Domkirche der früheren Bischöfe
von Pomesanien steht heute ganz unvermittelt da, wo sich einst die Giebel der
Bürgerhäuser um sie drängten. Von der ganzen Altstadt findet sich heute kein
Haus mehr, das erhalten geblieben wäre. Vom Marktplatz ist nun der Blick frei
in die fruchtbare Ebene der Weichsel, die 1920 für den Landkreis Marienwerder
zur Grenze wurde, als nach dem Versailler Vertrag fast ganz Westpreußen ent-
gegen den Abstimmungsergebnissen der deutschen Bevölkerung an Polen fiel.

Die Marienwerder Altstadt, die nur ganz geringe Beschädigungen durch die
Kampfhandlungen im Februar 1945 erlitt, wurde ein Opfer der Flammen, die
Russen und Polen entfachten, nachdem der Krieg schon fast seit einem Jahr
beendet war. Ich fragte die heutigen Einwohner der Stadt, warum dies gesche-
hen sei, und ich habe immer wieder hören müssen, dass die Flammen beseitigen
sollten, was grauenhafte Plünderungen und willkürliche Zerstörungen allzu leicht
den rückkehrenden Deutschen und fremden Besuchern hätte offenbaren können.
Daß man heute auch in der Altstadt irgendwelche Ruinen vermißt, die der Brand
zurückgelassen haben müßte, hat eine zweite Ursache. Nach der "Wiederer-
oberung der polnischen Westgebiete" (so nennen staatliche polnische Stellen
heute die widerrechtliche Inbesitznahme der deutschen Ostgebiete) wurde
den ostdeutschen Städten von der Warschauer Regierung zur Auflage gemacht,
zum Wiederaufbau der Hauptstadt des Landes ein hohes Soll an Bau-
materialien zu liefern. Empfohlen wurde dabei, dieses Material aus Ruinen und
dem Abriß solcher Gebäude zu gewinnen, die auch künftighin den deutschen
Charakter dieser Städte dokumentieren könnten. So geschah es denn, daß die
Marienwerder Altstadt dem Boden gleichgemacht wurde. Ihr letzter
Überrest, ein völlig unversehrtes Kaufhaus, wurde noch 1957 niedergerissen,
so daß nur die von Unkraut überwucherten Bürgersteige und die Straßen,
denen man zum größten Teil auch noch die Pflasterung nahm, davon zeugen,
daß sich hier einmal ein bewohnter Stadtteil befand.

In der Domkirche findet heute wieder der katholische Gottesdienst statt.
Obwohl ein großer Teil der künstlerisch wertvollen Ausstattung geraubt
worden ist, sind das Hauptschiff mit dem Gestühl, der Altar und einige
Nebenaltäre durch die Spenden der Gläubigen wieder hergerichtet worden.
Staatliche Beihilfen zur Instandsetzung des Domes wurden bisher nicht
gewährt. Wie in den vielen kleinen westpreußischen Kirchen, die heute den
katholischen Gemeindemitgliedern als Gotteshaus dienen, fehlt auch hier in
diesem Dom bei der Ausschmückung des Hauptaltars nicht die Standuhr, die
eigentümlicherweise von den Polen als eine besonders ehrwürdige Zierde in
den Kirchen empfunden wird. Ich hatte Gelegenheit, mit einem polnischen
Kaplan zu sprechen, der vor dem Hauptportal des Domes den Kindern
kirchlichen Unterricht erteilte. Er sprach ein verständliches Deutsch und
berichtete mir, dass er aus Lublin hierhergekommen sei und hier so lange
bleiben würde, bis die Deutschen zurückkommen würden.

"Die Deutschen", fragte ich erstaunt, "sind Sie hier so sicher, daß die Deutschen
zurückkehren werden ?" — "Ja", antwortete er mir völlig unbefangen, "wir
glauben hier eigentlich alle, daß die Deutschen zurückkommen werden, die
man 1945 und danach aus ihrer Heimat vertrieben hat, und ich würde es
nicht einmal bedauern, wenn sie bald kämen, denn ich bin, wie viele Polen
mit mir, gezwungen worden, hier zu sein, obwohl meine Heimatstadt Lublin
ist. Wir sind nur sehr ungern Gäste hier in Ihrem Land."

Er machte mir Mut, auch nach den Deutschen zu fragen, die hier noch in der
Stadt verblieben waren. So erfuhr ich, daß es sogar eine kleine deutsche
evangelische Gemeinde in der Stadt gäbe. Aber nur noch wenige deutsche
Familien leben in Marienwerder, in einer deutschen Stadt. Auch sie sind
gezwungen, ihr Land an der Weichsel aufzugeben, weil sie zu Fremdlingen
wurden, in ihrer Heimat.

Hans-Georg Schneege

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, Oktober 1960

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