Das Memelland 1920 nach dem Versailler Vertrag.

Wie der Versailler Vertrag vom 28.06.1919 die Welt veränderte.
Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Neuordnung Europas.

Das Memelland 1920 nach dem Versailler Vertrag.

Beitragvon -sd- » 10.12.2016, 14:58

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Das Memelland nach dem Inkrafttreten des Versailler Vertrags:
http://www.verfassungen.de/de/x/memelgebiet/memel19.htm


Das Memelland, das war nach dem Inkrafttreten des Versailler Vertrags am
10. Januar 1920 der Teil Ostpreußens, der nördlich des Flusses Memel (Njemen)
lag. Er war zwar hauptsächlich von Deutschen bewohnt, wurde jedoch von den
Alliierten praktisch als Pfand für eine Weitergabe an das, noch nicht anerkannte
(aber sich bildende) Litauen oder, falls sich Polen durchgesetzt hätte, an Polen
(mit Litauen, das Polen in der Zwischenkriegszeit als Teil Polens forderte; dies
war von den Polen geschichtlich begründet in der seit 1586 bestehenden Lubliner
Union als Union zwischen Polen und Litauen, die bis zur Dritten Teilung Polens im
Jahr 1795 bestand).

Litauen forderte den Anschluss des Memellandes seit 1920 (wegen des Hafens
in Memel), konnte sich jedoch bei den Alliierten, besonderes bei der französischen
Besatzungsmacht im Memelland nicht durchsetzen. Deshalb inszenierte Litauen
am 15. Januar 1923 einen Aufstand (formal von Memelländern ausgeführt, faktisch
aber durch litauisches Militär), der zu einem gewaltmäßigen Anschluss des Memel-
landes an Litauen führte. Am 19. Januar 1923 verließ der im Namen der Alliierten
regierende französische Verwalter das Land. Dieser Handstreich Litauens wurde
bereits am 16. Februar 1924 von der Botschafterkonferenz als Faktum unter Be-
dingungen anerkannt. Diese Bedingungen wurden am 8. Mai 1924 durch eine
Konvention zwischen den Alliierten und Litauen festgesetzt.

Die in der Konvention festgelegte Selbstverwaltung, die von Deutschen beherrscht
wurde, hat nie richtig funktioniert, da der litauische Gouverneur als ständiger Gegen-
pol zum Landesrat ein gedeihliches Zusammenarbeiten nicht ermöglichte. Insbeson-
dere in Zeiten von Staatsstreich und Diktatur in Litauen hat dies zu besonderen
Spannungen zwischen dem Memelland und Litauen und nach 1933 auch zwischen
Deutschland und Litauen geführt. Unmittelbar nach dem Einmarsch deutscher Trup-
pen in die Tschechoslowakei am 15. März 1939 wurde von Litauen angeregt, das
Memelland an Deutschland zurückzugliedern, was nach kurzen Verhandlungen be-
reits am 23. März 1939 erfolgt ist. Litauen sah sich in der Gefahr, wie die Tschecho-
slowakei auch, von Deutschland ganz besetzt zu werden.

Mit dem Rückzug der deutschen Truppen und dem Einmarsch der Roten Armee
wurde das Memelgebiet wieder von Ostpreußen getrennt und der Litauischen SSR
angegliedert. Es wird von den heutigen Bewohnern als "Kleinlitauen" bezeichnet.

Die Besonderheit des Memelgebiets in der Zwischenkriegszeit war, daß auch die
ansässige Minderheit der Litauer (Kleinlitauer genannt) gegen eine Angliederung
des Gebiets an Litauen war. Grund war das erhebliche Wohlstandsgefälle zwischen
dem Memelgebiet und Litauen sowie auch die kulturellen Gegensätze. Die Klein-
litauer des Memelgebiets waren evangelische Christen während die Litauer streng
katholisch waren. Mit der Vertreibung der Deutschen aus dem Memelgebiet sind
auch viele Kleinlitauer vor den Kommunisten in den Westen geflohen.

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Quelle: Reichsgesetzblatt 1919 S. 689ff.
'Der Vertrag von Versailles' aus der Reihe 'Zeitgeschichte',
Verlag Ullstein (Nr. 33090)


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Was wissen wir vom Deutschen Orden ? Das Memelland.

In einer unserer früheren Ausgaben hatten wir bereits auf den sehr begrüßens-
werten Wettbewerb des DHV hingewiesen. Er stand unter dem Leitwort
'Was wissen wir vom Deutschen Osten ?' Das Ergebnis dieses Wettbewerbs liegt
nun in einer stattlichen Reihe von Aufsätzen vor, aus der wir hier den Beitrag
von Brigitte Jaetzel veröffentlichen.


Im August 1952 feierten die jetzt in der Bundesrepublik lebenden Memelländer
die 700-Jahr-Feier ihrer Vaterstadt, der See- und Hansestadt Memel, der
ältesten Stadt Ostpreußens und der nördlichsten Stadt Deutschlands.

Im Jahre 1252 gründete der Livländische Schwertbrüderorden, ein Bruderorden
des Deutschen Ritterordens, der in Kurland das Christentum verbreitete, an
der Mündung des Kurischen Haffs in die Ostsee und dem Ausfluß der Dange,
die Memelburg. Diese Stelle schien als Handelsplatz besonders geeignet und
wurde zum Grundstein der heutigen Stadt Memel. 1328 wurde die Stadt von den
Schwertbürgern dem Deutschen Ritterorden übergeben. In ihrer 700jährigen
Geschichte hat die Stadt als Vorposten des Deutschtums viele schwere Zeiten
durchmachen müssen. Litauer, Polen, Russen und Schweden berannten öfter
die Stadt und brandschatzten und plünderten. Aber immer wieder wurde sie
aufgebaut. Die Grenze des Memellandes, diese charakteristische Spitze
Ostpreußens, wurde im Jahre 1422 zwischen Polen und Litauen und dem
Deutschen Ritterorden nach der verlorenen Schlacht von Tannenberg gezogen
und bestand also 500 Jahre unverändert, bevor der Versailler Vertrag 1919
dieses Land nördlich des Memelstroms vom deutschen Mutterland trennte.

Die Stadt, die in den letzten Jahren fast 50.000 Einwohner zählte, besaß
eine recht ansehnliche Industrie. Bis zum Ersten Weltkrieg nahm der Holz-
handel die erste Stelle ein; jedoch durch den Konflikt Polen-Litauen über
Wilna, erlag die Holzflößerei auf dem Memelstrom völlig und damit auch
das Holzgeschäft. Der Hafen hatte einen lebhaften Schiffsverkehr nach allen
Richtungen. Schiffe Memeler Reedereien fuhren auf allen europäischen Meeren.

Das eigentliche Memelland hatte mit seinen größten Orten, Heydekrug und
Pogegen, außer der Stadt Memel, eine Einwohnerzahl von ca. 100.000, eine
blühende Landwirtschaft aufzuweisen. Große Wälder gab es im südlichen Teil.
An der Haffküste und in den Nehrungsorten wurde Fischerei betrieben. Die
Kurorte der Nehrung waren bis nach Westdeutschland bekannt. Nidden mit den
Wanderdünen als Paradies der Maler und Schwarzort das Klein-Thüringen mit
seinem herrlichen Kiefernwald. Die Elche lebten in freier Wildbahn und waren
den Kurgästen eine besondere Freude.

Auch bedeutende Männer entstammen dem Memelland. Der 1605 in Memel
geborene Dichter Simon Dach, dem wir das Volkslied 'Ännchen von Tharau'
verdanken, der Astronom Friedrich Wilhelm Argelander, der 1799 als Sohn
eines Memeler Kaufmanns geboren und als Leiter der Bonner Sternwarte
berühmt wurde. Auch der sehr bekannte Schriftsteller Hermann Sudermann,
in Matzicken bei Heydekrug geboren, war ein Sohn des Memellandes. Die Eltern
des großen Philosophen Immanuel Kant stammten ebenfalls aus dem Kreise Memel.

Memel spielt auch in der preußischen Geschichte eine Rolle. 1802 trafen sich
hier Zar Alexander von Rußland mit König Friedrich Wilhelm III. und Königin
Luise. Als im unglücklichen Krieg 1806 - 1807 Napoleon I. mit seinen Heeren
Preußen besiegte, war Memel für das preußische Königshaus die letzte Zuflucht
und wurde für ein Jahr Residenz. Von hier aus begann die Erneuerung Preußens
unter dem Freiherrn von Stein. Zur Erinnerung an diese Zeit wurde 100 Jahre
später 1907 von Kaiser Wilhelm II. das Borussia-Denkmal in Memel eingeweiht.

Die Abtrennung des Memellands durch den Versailler Friedensvertrag war für
die Bevölkerung ein furchtbarer Schlag. 1920 trafen französische Besatzungs-
truppen ein. Alle Proteste und Bitten um eine Volksabstimmung, wie sie den
deutschen Volksteilen Südostpreußen und Oberschlesien gewährt wurden,
blieben ungehört. Doch es sollte noch weit schlimmer kommen. Die Litauer
erhoben Ansprüche auf dieses Gebiet, aber die Westmächte schienen nicht
geneigt zu sein, ihnen dies abzutreten, sondern eher einen Freistaat daraus
zu machen. Zu Anfang des Jahres 1923 fielen litauische Truppen in Zivil in das
Memelgebiet ein und besetzten es. Die französischen Besatzungstruppen kapi-
tulierten nach Verlust einiger Soldaten, gingen auf ihre Schiffe und verließen
Memel. Die nun folgenden sechzehn Jahre unter litauischer Oberhoheit waren
Terror und Unterdrückung. Auf die mehrfachen Beschwerden beim Völkerbund
besichtigte eine Kommission das Memelland und stellte den einwandfrei deut-
schen Charakter fest. 1934 wurde darauf das Memelstatut unterzeichnet,
welches den Memelländern kulturelle und politische Autonomie gewährte.
Der 1. Memelländische Landtag, der von der Bevölkerung gewählt wurde,
erbrachte 27 deutsche und zwei litauische Abgeordnete. Jedoch wurde die
Arbeit der Regierung durch die Litauer dauernd gestört und oft unmöglich
gemacht.

1926 wurde über ganz Litauen und das Memelland der Kriegszustand verhängt,
der dann die üblichen Beschränkungen für Presse und Versammlungsfreiheit
etc. mit sich brachte. Aber die Memelländer ließen sich nicht unterkriegen;
trotz Terror und Wahlschikanen schlossen sich alle Parteien zu einer Einheits-
front zusammen und zeigten den Litauern bei der Wahl 1935, die auch vom
Ausland als Volksabstimmung gewertet wurde, die Stirn. Im November 1938
wurde dann auf Druck der deutschen Regierung der Kriegszustand beendet. Die
darauffolgende Landtagswahl und das Verhalten der Bevölkerung rechtfertigen
die Wiedervereinigung mit dem Reich im März 1939, die durch einen Vertrag
zwischen Litauen und Deutschland erreicht wurde und auf ganz friedlichem
Wege von statten ging.

Der Zweite Weltkrieg brachte den Memelländern den Verlust der Heimat und
die Flucht nach dem Westen. Memel wurde Brückenkopf der militärischen
Verteidigung Ostpreußens und im Januar 1945 aufgegeben. Heute gehört das
Memelland zu dem von den Russen besetzten Teil Nordostpreußens und ist
wieder der Sowjet-Republik Litauen unterstellt.

Brigitte Jaetzel

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Mit Wissen und Einverständnis von Frau Brigitte Eckert-Jaetzel übernommen.
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