Das Gefühl, gerettet zu sein.

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Das Gefühl, gerettet zu sein.

Beitragvon -sd- » 08.12.2016, 17:13

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Als ein großer Teil der Bewohner des Dorfes Altröhrsdorf / Kreis Jauer, Niederschlesien, im Herbst 1946
ausgewiesen wurde, mußten wir zum Bahnhof in Jauer laufen. Die polnischen Übernehmer der Höfe
spannten die Pferde ein und es wurde soviel wie möglich aufgepackt. Andere, die keine Fuhrwerke
zur Verfügung hatten, zogen kleine Handwagen vollgepackt und warfen nach und nach, die schwersten
Dinge zuerst, z.B. das Geschirr, in den Straßengraben. Als wir in Jauer angekommen waren, packte man
alles mit in die bereitgestellten leeren Wohnungen am Bahnhof, in denen wir eine Nacht verbrachten.
Am nächsten Morgen wurde der Güterzug mit uns beladen. Wir mußten durch zwei eng gestellte in die
Erde eingesetzte Baumstämme hindurch gehen und alles, was da nicht durch ging, wurde von den
polnischen Soldaten, freundlich, aber energisch, links und rechts auf riesige Haufen geworfen.
Keiner hatte die Chance sein Hab und Gut noch etwas nach Wichtigkeit zu sortieren.

Weil ich, damals 11 Jahre alt, schon die Ausweisung aus Böhmen mitgemacht hatte, hatte ich
die wenigen Schriftstücke, das war alles was ich noch besaß, in einer Handtasche fest an mich
gedrückt und konnte sie so meiner Mutter aushändigen, als wir uns später wieder trafen.

Es war kein böser Wille und keine Gehässigkeit bei den Veranstaltern des Transports, sondern die
beschränkte Transportkapazität (1946), die die Polen zwang, soviele Menschen, wie möglich in einen
Transport zu zwängen. Natürlich hätte man sich mehr Zeit lassen können - aber das wollte keiner.

Auch wir sangen auf der Fahrt fröhliche Lieder, weil wir endlich befreit von den Rivalitäten zwischen
Russen und Polen, unter denen wir immer zu leiden hatten, hofften in ein vor allem sicheres Leben
zu kommen.

In Magdeburg trafen wir die ersten Engländer, die uns mit DDT entlausten. Wir hatten das Gefühl
gerettet zu sein. Und bei allen Anfangsschwierigkeiten, kamen die meisten der Aussiedler doch
ganz gut im Westen zurecht.

Daß allen die eigene Heimat immer fehlen wird, sollten wir nie vergessen. Bei allem Verständnis
für die Lage der Polen, muß auch deren Verständnis für diesen bleibenden Schmerz gefordert
werden. Und sie bemühen sich ja im privaten Gespräch darum. Nur Politiker kennen keine Rücksicht.

Gustaf Eichbaum

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Anmerkung:
Dieser Bericht durfte dankenswerterweise mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Verfassers
Gustaf Eichbaum auch hier im Forum veröffentlicht werden.
Gustaf Eichbaum ist Vorsitzender der Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck.
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