Evelyn Dohnke 'Braunsberg – Pillau – Celle'.

Evelyn Dohnke 'Braunsberg – Pillau – Celle'.

Beitragvon -sd- » 05.04.2016, 15:48

-------------------------------------------------------------------------------------------------

Vor 10 JahrenBraunsbergPillauCelle.

Ja, 10 Jahre sind es her. Und doch steht uns noch alles deutlich vor Augen,
was wir damals erlebten im Jahre 1945, als wir unsere ostpreußische Heimat
verlassen mußten. Vater war Soldat; er befand sich in Königsberg und wir,
meine Mutter und ich lebten in Braunsberg, das bisher wenig vom Krieg mit-
bekommen hatte. Waren bei Kriegsanfang auch noch einige Luftalarme
gewesen, so verstummten diese dann für lange Zeit, um uns dann, beim
Kriegsende, umso mehr aufzurütteln und uns den Ernst des Krieges so recht
vor Augen zu führen.

Den schrecklichsten Tag erlebten wir am 5. Februar 1945, als russische Flieger
unsere Stadt bereits im Morgengrauen bombardierten und auch unser Haus
in Trümmer legten. Den ganzen Tag über dauerte der Bombenterror. Wir
hatten, nachdem unser Haus getroffen war, im Keller eines Nachbargebäudes
Zuflucht gefunden und saßen dort dicht nebeneinander zusammengekauert.
Aber das Haus blieb unversehrt und wir konnten es, als es am Abend ruhiger
wurde, verlassen und ein anderes Quartier suchen. Wie eine traurig lodernde
Fackel leuchteten die brennenden Überreste unseres Hauses durch die dunkle
Nacht.

Am nächsten Morgen ging ich, obwohl Tiefflieger ständig über dem Gestüt-
gelände kreisten, durch unseren Park, um mir die Folgen des Angriffs anzu-
sehen. Fürchterlich sah es dort aus. Die einst so sorgsam gepflegten Rasen-
flächen waren mit riesigen Bombenkratern übersät. Überall versperrten
die starren, aufgedunsenen Leiber toter Treckpferde die Wege. Es war ein
schauerlicher Anblick, und die gebrochenen Augen dieser armen unschuldigen
und so elend ums Leben gekommenen Kreaturen hafteten lange in meinem
Gedächtnis.

Wir verließen die Stadt des Grauens bald. Nur zehn Tage blieben wir noch
bei Bekannten in Braunsberg, um uns dann der großen Völkerwanderung
anzuschließen, die gen Westen zog. Stalinorgeln und Panzerabwehrgeschütze
donnerten dumpf in der Ferne. Treckwagen auf Treckwagen zog an uns vorbei.

Unser Gestüttreck war schon lange fort. Bei eisiger Kälte hatte er Ende
Januar das Frische Haff überquert. Wir waren zurückgeblieben, weil uns die
Strapazen des Trecks unüberwindlich erschienen und hatten auch später das
Glück, auf bequemere Art herauszukommen. Nach einigen Wochen, die wir
in Heiligenbeil verbrachten, gelang es uns, mit einer "Ju" zunächst nach Pillau
zu kommen. Unzählige Bauernpferde irrten herrenlos in den Straßen der alten
Hafenstadt herum, weil ihre Besitzer Pferd und Wagen zurücklassen mußten,
da ihnen nur noch der Seeweg zur Flucht offen war. Der Landweg nach Danzig
war längst durch russische Truppen abgeriegelt und daher unpassierbar.

Von Pillau aus hatten wir noch am Abend unseres Ankunftstages Gelegenheit,
mit einem kleinen Frachtdampfer vom Hafenbecken III aus abzufahren.
Abschied von Ostpreußen — wohl für immer! Ich war 15 Jahre alt und begriff
noch nicht alles, was reifere Menschen bei diesem Abschied empfanden, aber
ich wußte, daß jene Stunde immer zu den bedeutungsvollsten meines Lebens
gehören würde.

Es war Nacht. Am Hafen blinkten vereinzelte Lichter. Immer mehr Menschen
kamen an Bord. Greise und Frauen mit weinenden, müden, hungrigen Kindern
suchten sich im Laderaum unserer 'Erna' ein bescheidenes Plätzchen. Trübe
blinkte die kleine Lampe an der Balkendecke. Drei Tage lang schaukelten wir
auf der Ostsee, ständig in Gefahr, von Minen oder Tieffliegern gesprengt oder
getroffen zu werden. Ich schlief schlecht, nährte mich fast nur von trockenem
Brot, ein wenig Speck und abgekochtem Wasser und hoffte, daß wir bald an
Land gehen könnten.

Endlich kam die Insel Rügen in Sicht. Es war uns möglich, in Sassnitz in einen
bereitstehenden Eisenbahnzug zu steigen. Rasch rollte unser Flüchtlingszug
nun von dannen — über den Rügendamm nach Stralsund und weiter in's
Mecklenburger Land hinein. Hier atmeten wir auf, denn wir wußten, daß
unser Braunsberger Gestüttreck nach Mecklenburg in Marsch gegangen war
und diese Gewißheit, dort mit ihm zusammenzutreffen, gab uns neuen Mut.

Dann fuhren wir nach Redefin, wo wir sogleich ein Quartier fanden.

Unser Braunsberger Gestüttreck war, entgegen unseren Erwartungen, noch
nicht eingetroffen. Erst einige Tage später erlebten wir seine Ankunft. Müde
von der langen, beschwerlichen Reise, schleppten die Hengste sich mit den
Planwagen vorwärts. Mensch und Tier hatten während der sechs Wochen,
die sie für den Treck gebraucht hatten, viel durchmachen müssen. Redefin
sollte aber auch nicht ihr letztes Quartier bleiben. Denn als Mecklenburg
später durch die Russen besetzt wurde, mußte abermals auf den Treck
gegangen werden.

Als der Krieg dann schließlich sein Ende fand, und Vater aus der Gefangen-
schaft zurückkam, siedelten wir nach Celle über, wohin die Reste der
ostpreußischen Gestüte gekommen waren. Die Eisenhahnfahrt war aben-
teuerlich; sie geschah zum Teil mit Kohlenzügen, Pferdefuhrwerken und
Lastkraftwagen, und wir waren froh, dann endlich wieder ein Quartier und
somit ein Dach über unseren Köpfen zu haben. Im Mai verzogen wir nach
Warendorf, wo selbst mein Vater wieder seine Anstellung fand. Hier erleb-
ten wir die Freude, auch ostpreußische Hengste wiederzusehen, zu welchen
auch der Fuchshengst 'Julmond' gehörte, der den Treck von Braunsberg bis
nach Celle unter dem Sattel zurückgelegt hatte. Jetzt steht 'Julmond' hier
im benachbarten Velsen, wo ein westfälischer Pferdeliebhaber ostpreußische
Pferde züchtet, und so oft meine Zeit es erlaubt, fahre ich dorthin, um das
edle Tier zu besuchen. Dann stehe ich vor seiner Box und streichle den
schönen Kopf des Hengstes, der mich mit seinen großen dunklen Augen
anblickt und auf die Leckerbissen wartet, die ich ihm bringe. Dann halten
wir beiden Ostpreußen still Zwiesprache und gedenken unserer verlorenen
Heimat jetzt nach 10 Jahren ... ! Ich erinnere mich dann des Augenblicks,
als der Braunsberger Landstallmeister auf diesem Hengst an unserem Hause
vorbeiritt, als er mit dem Gestüttreck den Gestüthof für immer verließ und
in Schnee und Eis der Ungewißheit entgegen zog. Der helle Schweif des
Hengstes wehte wie eine Fahne hinterher.

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, März 1955

-------------------------------------------------------------------------------------------------
In Erinnerung gerufen und via Ost-West-Preußen-Mailingliste veröffentlicht
durch Inge Barfels.
Benutzeravatar
-sd-
Site Admin
 
Beiträge: 6347
Registriert: 05.01.2007, 16:50

Zurück zu Zeugnisse von Flucht und Vertreibung der Deutschen.

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste

cron