Harich, Sprecher der intellektuellen Opposition, verhaftet.

Informationen im Zusammenhang mit der ehemaligen 'Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)' und späteren DDR.

Harich, Sprecher der intellektuellen Opposition, verhaftet.

Beitragvon -sd- » 11.09.2017, 20:22

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Wolfgang Harich verhaftet.
Er gilt als Sprecher der intellektuellen Opposition.


Die sowjetzonale Generalstaatsanwaltschaft gab bekannt, daß als angebliche
"staatsfeindliche Elemente" der 34-jährige Dozent der Ostberliner Humboldt-
Universität, Professor Dr. Wolfgang Harich, und drei Ostberliner Studierende
überraschend verhaftet worden sind. Der Beauftragte der berüchtigten Pan-
kower Justizministerin Hilde Benjamin bezeichnet in seiner Erklärung Harich,
der bislang ein besonders bekannter Intellektueller der sowjetzonalen Kom-
munistenpartei war, als Anführer einer "staatsfeindlichen Gruppe". Es sei das
Ziel Harichs und seiner Mitverhafteten gewesen, "die kapitalistische Ordnung
in der DDR zu restaurieren !" Selbstverständlich wird auch wieder behauptet,
der Kulturbolschewist Harich habe mit 'westlichen Geheimdienststellen' und
dem 'Ostbüro der SPD' zusammengearbeitet. Die Pankower Generalstaats-
anwaltschaft hielt aus diesem Anlaß sogar eine sogenannte Pressekonferenz
ab, auf der betont wurde, daß die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen
sind. Inzwischen sollen weitere Verhaftungen in Ostberlin und einigen Univer-
sitätsstädten der Sowjetzone stattgefunden haben. Auf der Ostberliner Presse-
konferenz sagten die Vertreter der SED von ihrem bisherigen Mitgenossen
Harich: "Harich und die anderen Beschuldigten stammen samt und sonders
aus Kreisen, die dem Sozialismus und der Arbeiterbewegung fremd gegenüber-
stehen". Man nimmt in Berlin allgemein an, daß es sich hier um eine Aktion
des Ulbricht-Grotewohl-Regims handelt, die sich gegen die sogenannte
"Intellektuelle Opposition" innerhalb der SED richtet.

Wolfgang Harich, der nun von den gleichen Leuten, denen er seit Jahr und Tag
in widerwärtigster Selbstentwürdigung und Unterwürfigkeit gedient hat, in
das Untersuchungsgefängnis des roten SSD verfrachtet wurde, ist den Lesern
des Ostpreußenblattes kein Unbekannter. Er ist der Sohn des einst recht
erfolgreichen Schriftstellers Dr. Walther Harich (1888 bis 1931) und ein
Enkel des langjährigen Verlegers und Hauptschriftleiters der Königsberger
Allgemeinen Zeitung, Dr. Alexander Wyneken. Der Familie Harich gehörte
die Allensteiner Zeitung. Der Vater von Wolfgang Harich war bis 1926 in
Königsberg als freier Schriftsteller tätig; er wurde vor allem durch eine be-
deutende Biographie E. T. A. Hoffmanns und durch mehrere Romane bekannt,
die sich zum Teil auch mit Stoffen der ostpreußischen Heimat befaßten.
Walther Harich starb 1931 in Wuthenow bei Neuruppin.

Der Sohn Wolfgang Harich erregte nach Kriegsende dadurch Aufsehen, daß er
von einer Westberliner Zeitung zur sowjetamtlichen 'Täglichen Rundschau'
herüberwechselte und wegen seiner roten Linientreue bald in den Kreis der
prominentesten kommunistischen Intellektuellen der Zone aufrückte. Vom
Ulbricht-Regime wurde er wenig später — noch im Alter von etwa 28 Jahren —
mit einer Professur an der Ostberliner Universität bedacht; gleichzeitig
erhielt er beim kommunistischen Aufbau-Verlag das Amt eines Cheflektors.
Als er als echter Renegat 1950 in der Zeitschrift 'Blick nach Polen' in der
widerwärtigsten Weise Haßgesänge gegen seine ostpreußische Heimat richtete
und die polnische Besetzung Ostpreußens feierte, haben ihn (in den Folgen 4
und 8 des Jahrgangs 1950) unsere Landsleute G. Kraft und Bruno Braun in
aller Deutlichkeit gesagt, was die Ostpreußen von solch einer Erbärmlichkeit
halten.

Wolfgang Harich hat sich bedenkenlos den roten Teufeln verschrieben. Sie
haben ihn für ihre Zwecke benutzt, und sie lassen ihn jetzt im Gefängnis
verschwinden, weil ihnen das zweckmäßig erscheint. Alle "klassentreuen"
Hymnen Harichs haben es nicht verhindern können, daß ihm Ulbricht heute
bescheinigt, er habe seit jeher "der Arbeiterbewegung fremd gegenüber-
gestanden". Auch hier heißt es: "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan ..."

Zu der Verhaftung Harichs durch die Pankower Staatssicherheitspolizei
weist der Berliner 'Tagesspiegel' darauf hin, daß Harich seit längerer Zeit
als Sprecher der intellektuellen Opposition unter den Kommunisten Pankows
gegolten habe. In den Kreisen von Ulbricht habe man es Harich vor allem
verübelt, daß er sich als Leiter des kommunistischen Aufbau-Verlags um die
Herausgabe von Werken ungarischer Schriftsteller bemüht habe, die in der
SED als Verfemte gelten. Man vermute, daß das kommunistische Regime
Harich in einem Schauprozeß hart bestrafen werde. Harich habe schon in
jungen Jahren erstaunlichste Wandlungen durchgemacht. Jahrelang habe er
bei den Leuten in Pankow als "intellektuelles Paradepferd" gegolten. Nach
dem 17. Juni hätten mehrere seiner Zeitungsartikel titoistische Tendenzen
erkennen lassen.

Harich habe sich, so heißt es in einem anderen Bericht, schon vor einigen
Wochen darüber beschwert, daß die für ihn bestimmten Briefe vom roten
Staatssicherheitsdienst geöffnet werden. Harich habe im letzten Jahr einige
Male Ungarn besucht. So sei er wohl in den Verdacht geraten, in Verbindung
zu dem dortigen 'Petöfi-Kreis', einer Gruppe von intellektuellen kommunis-
tischen jüngeren Leuten, gestanden zu haben. Harich sei kurz vor Kriegsende
als junger Soldat wegen Wehrkraftzersetzung ins Zuchthaus Torgau gewandert.
Er sei über den Katholizismus und den Buddhismus schließlich zum Leninismus
gekommen. Der Versuch, Harich als Mitarbeiter westlicher Geheimdienste
hinzustellen, sei eine allzu billige Methode der SED-Führung.

Harich sei früher als führender kommunistischer Intellektueller von der SED
gern herausgestellt worden. Nach dem 17. Juni habe er die Auflösung der
staatlichen Kunstkommission Pankows erreicht und später einen öffentlichen
Streit mit dem linientreuen kommunistischen Professor Havemann gehabt.

Quelle: OSPREUSSENBLATT, 8. Dezember 1956.

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Verzweifeltes Mitteldeutschland. Aufbegehrender Ostblock.

Beitragvon -sd- » 19.11.2018, 13:14

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Verzweifeltes Mitteldeutschland.
Von unserem Berliner M.Pf.-Korrespondenten.

Stalin ist in der Sowjetzone wieder auferstanden ! In einer Form, wie wir sie
doch nicht erwartet haben, auch nachdem am 4. November, dem Tag des
brutalen, verräterischen Überfalls der Sowjets auf Ungarn, die Hoffnungen
von siebzehn Millionen zwischen Elbe und Oder auf eine Wendung auch für
sie zusammenbrachen.

Die Zulassung von Arbeiterkomitees, von Ulbricht verkündet, hatte uns kleine
Konzessionen erwarten lassen, eine vorsichtige Innenpolitik, ein gewisses
Nachgeben, das notwendig erschien in der schwierigen Lage, in der sich die
Zonenmachthaber jetzt befinden – zwischen dem freien Westen und kämp-
fenden aufbegehrenden Ostblockstaaten. Aber die vergangenen vierzehn
Tage haben im Gegenteil die Rückkehr zum Terror zu totaler Zensur, zu Betrug
und Unterdrückung gebracht.

Die Arbeiterkomitees – ein Betrug, denn ihre Gründung wurde in die Hände
der SED und des FDGB gelegt. Verschärfte Zensur hat der Presse die bisher
errungenen bescheidenen Freiheiten einer gewissen Kritik wieder genommen.
Schlagartig wurde verboten, selbst im Rahmen des Systems dies und jenes zu
diskutieren. "Kleinste Abweichungen" werden wie in den schlimmsten stali-
nistischen Zeiten mit Kerker bestraft.

Fall Harich.

Die Verhaftung des kommunistischen Professors Wolfgang Harich und dreier
seiner Freunde dürfte nur ein Auftakt sein. Und dabei war Harich durchaus
nicht das Haupt einer Verschwörergruppe, wie es die Anklage ihm vorwirft.
Er hatte sich lediglich im Bereich seiner Arbeit, der Philosophie, eine kleine
idealistische Abweichung von der stur materialistischen Parteilinie geleistet
und zwar seit längerer Zeit, und niemand hatte ihm das übel genommen. Und
er war mit führenden ungarischen Literaten befreundet, mit Männern, die von
fast allen Vertretern der "Sowjetzonenintelligenz" geschätzt und geachtet waren
— bis zum 4. November, bis zu jenem Tag, da diese Ungarn sich endgültig für
ihr Vaterland und gegen die sowjetische Unterdrückung bekannten. Seitdem
dürfen so bekannte Namen wie Julius Hay und Georg Lukacs nicht mehr ge-
nannt werden. Briefe von ihnen zu besitzen, ist plötzlich ein Verbrechen. In
der Wohnung eines gleichfalls verhafteten Mitarbeiters Harichs wurde ein
solcher Brief von Georg Lukacs gefunden, in dem dieser der Hoffnung Ausdruck
gibt, daß auch in der 'DDR' der Stalinismus liquidiert werden möge.

Aber Stalin wurde bereits im 'Neuen Deutschland' wieder achtungsvoll erwähnt,
und das Wort "Titoist" hat bereits wieder einen unheilvollen Klang bekommen.
Alle anderen Anklagen gegen Harich und seine Freunde sind läppisch und an
den Haaren herbeigezogen. Das Schicksal des kommunistischen Professors muß
als Alarmsignal gewertet werden.

Brodelnde Unruhe.

Ulbricht hat Angst, ohne Zweifel. Aus Angst schlägt er sinnlos zu, wie im Fall
Harich. Es gibt jedoch noch ernstere Gefahrenzonen. Unruhe unter der aber-
mals betrogenen Arbeiterschaft. Unter den Hausfrauen, die in weiten Teilen
der Zone kaum noch ihre Karten beliefert bekommen. Unter der Armee von
Funktionären, die nicht mehr wissen, was sie sagen sollen. Ulbricht rief ihnen
auf jüngsten Konferenzen beschwörend zu, die Lage sei äußerst ernst, jetzt gelte
es nicht mehr, zu diskutieren, jetzt müsse man den Massen die Politik von Partei
und Regierung offensiv erläutern und allen feindlichen Auffassungen und Ver-
leumdungen sofort energisch entgegentreten.

Unruhe an den Universitäten, die deutlich in einer Entschließung Leipziger
Studentenfunktionäre zum Ausdruck kommt, in der es heißt: "Wir verurteilen
die Tätigkeit des sogenannten Petöfi-Kreises, der Teile, der ungarischen Intel-
ligenz, besonders auch der studentischen Jugend, durch die Verbreitung einer
dem Sozialismus feindlichen Ideologie und durch zersetzende Kritik, die ideo-
logisch die Konterrevolution vorbereitete und organisierte. Wir wenden uns
entschieden gegen solche, die unter gleichen und ähnlichen Losungen bei uns
versuchen, die Einheit der fortschrittlichen Kräfte zu zersetzen".

Unruhe auch unter den Redakteuren der SED-Presse. Sie waren gewohnt, zu
lügen, doch was ihnen jetzt zugemutet wird, das wird manchem zu viel. Bereits
jetzt sind aufsässige Redakteure ihrer Posten enthoben worden oder - wie
Franz Xaver Philipp, der Wiener Korrespondent des 'Neuen Deutschland' von
selbst abgesprungen.

Wochenpost-Informationen.

Zu einer kleinen Rebellion war es innerhalb der Redaktion der 'Wochenpost'
gekommen. Das ist ein geschickt aufgemachtes Blättchen, das viel scheinbar
unpolitische Unterhaltung bringt und die auch ihm befohlene bolschewistische
Propaganda ein wenig versteckt. Chefredakteur ist Rudi Wetzel (SED), zugleich
Vorsitzender des Sowjetzonen-Presseverbands. Ihm und seinen ausschließlich
der SED angehörenden Kollegen hatte seit Beginn der Ereignisse in Polen das
journalistische Gewissen geschlagen. Und so hatten einige Redakteure des
Blattes begonnen, Auszüge aus polnischen Zeitungen und Zeitschriften über-
setzen und vervielfältigen zu lassen. Diese Auszüge wurden als 'Wochenpost-
lnformationen' verbreitet. Auf einer Anfang Dezember von Ulbricht einberu-
fenen Konferenz der Chefredakteure wurde dies Unternehmen liquidiert. Alle
Beteiligten erhielten zunächst scharfe Rügen. Weitere Maßnahmen gegen sie
sind im Gange. Politbüro-Mitglied Schirdewan erklärte, die Partei denke nicht
daran, sich durch einige Journalisten in eine Situation hineinmanövrieren zu
lassen, aus der, wie Polen und Ungarn gezeigt haben, nur für den Aufbau des
Sozialismus schädliche Ergebnisse erwachsen.

Nach Polen blicken.

Das ist Stalinismus in Reinkultur. Kulturminister Becher schweigt dazu, die
führenden Intelligenzler des Systems wagen nicht, für das winzige bißchen
Freiheit, das errungen schien und ihnen nun wieder genommen ist, einzu-
treten. Im Gegenteil, die Anna Seghers, Arnold Zweig, die Renn, Bredel,
Hermlin haben wie Becher selbst, dem Mord an Ungarn öffentlich Beifall
gespendet und sich nun, nach der Verhaftung ihres Kollegen Harich zu ausge-
sprochenen widerwärtigen Treuekundgebungen für Ulbricht hergegeben.

Heute ist es nur noch die evangelische Kirche, die durch den Mund einiger
mutiger Geistlicher unbeirrt — wenn auch in den ihnen gesetzten Grenzen —
aussprechen, was gut und was böse ist. Soeben kommen wir von einem Besuch
bei einem ihrer Unerschrockensten, dem Generalsuperintendenten Jacob in
Cottbus. Dieser Besuch gab Hoffnung. Aber die Kirche will kein politisches
Widerstandszentrum sein und muß unsere Brüder und Schwestern in Mittel-
deutschland, auch wenn sie sie aufrichtet und stärkt, im politischen Kampf
allein lassen.

Tausende von SED-Funktionären gibt es, die heute nach Polen und Ungarn
blicken und in denen jetzt etwas zerbricht. Deutsche Kommunisten sind es,
die bisher stets das bolschewistische System über das Wohlergehen ihres
Vaterlands und seiner Bürger stellten und die in blindem Gehorsam selbst
noch die Ächtung ihres Idols Stalin hinnahmen. Sie erzittern jetzt angesichts
der Worte und Taten ihrer polnischen und ungarischen Genossen.

Wie sehr das Politbüro diese Gefahr spürt, zeigen die wütenden, undiszipli-
nierten Schimpfkanonaden des Chefredakteurs des 'Neuen Deutschland',
Axen, gegen die scharfen und doch ironisch überlegenen Angriffe der polni-
schen Anti-Stalinisten gegen die SED.

Einst Linientreue sind es, aus deren Mund wir in Berlin hörten, daß Ulbricht
und der Stalinismus für sie "erledigt" sind. Man sucht Nachfolger, die die
Sache des Sozialismus noch retten könnten, und der Eindruck entsteht, daß
sich gerade unter dem verschärften stalinistischen Druck jetzt auch in der
Sowjetzone Männer zusammenfinden könnten, die entschlossen sind, einen
dem polnischen ähnlichen Weg zu gehen.

Es läge nicht in unserem Interesse und im Interesse der Wiedervereinigung
Deutschlands, eine solche Entwicklung zu stören.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 15. Dezember 1956

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