75.000 Heimatvertriebene kamen ins Bundesgebiet.

Informationen im Zusammenhang mit der ehemaligen 'Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)' und späteren DDR.

75.000 Heimatvertriebene kamen ins Bundesgebiet.

Beitragvon -sd- » 15.08.2017, 10:16

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75.000 Heimatvertriebene kamen ins Bundesgebiet.

Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres sind aus der sowjeti-
schen Besatzungszone 55.614 Heimatvertriebene nach Westdeutschland
oder West-Berlin gekommen. Als Spätaussiedler trafen im gleichen Zeit-
raum 15.256 Heimatvertriebene ein, und aus den Ländern der freien
Welt siedelten 3.909 Heimatvertriebene in die Bundesrepublik oder in
die Westsektoren Berlins um. Davon kamen allein 3.581 aus Österreich.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 3. November 1956

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150 Transporte mit 71.823 "Aussiedlern" sind seit dem 1. Januar dieses Jahres
bis zum letzten Wochenende aus den unter polnischer Verwaltung stehenden
deutschen Ostgebieten in Friedland eingetroffen.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 26. Oktober 1957

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Der hunderttausendste 'Ausgesiedelte'.
Zehn bis elf Prozent kamen aus Ostpreußen.


Am Dienstag ist mit einem Transport der 100.000. 'Ausgesiedelte' — seit
Beginn der Familienzusammenführung — aus Polen und den polnisch
verwalteten deutschen Ostgebieten in der Bundesrepublik eingetroffen.
In diesem Jahr wurden bisher 84.000 Deutsche "ausgesiedelt". Der Such-
dienst des Deutschen Roten Kreuzes rechnet damit, daß noch 160.000
bis 170.000 Deutsche auf die "Aussiedlung" warten.

Von den "Ausgesiedelten" kamen 1956 48,8 Prozent aus Oberschlesien,
20 Prozent aus Niederschlesien, 10,2 Prozent aus Ostpreußen, 10 Prozent
aus Pommern, 3,2 Prozent aus Westpreußen, 4,4 Prozent aus Danzig,
2 Prozent aus dem Wartheland und 1,4 Prozent aus Zentralpolen.

Im Jahre 1957 sieht die Statistik über die Herkunftsgebiete wesentlich
anders aus. Aus Oberschlesien kamen 35,2 Prozent aus Niederschlesien
19,4 Prozent, aus Ostpreußen 11 Prozent, aus Pommern 19 Prozent,
aus Westpreußen 5,3 Prozent, aus Danzig ein Prozent, aus Zentralpolen
3,7 Prozent.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 2. November 1957.

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Die "Spätaussiedlung", ihre Gründe und Hintergründe.

Auf der Station Büchen an der Grenze zur Sowjetzone laufen nunmehr fast täglich
Transporte mit jeweils Hunderten von "Spätaussiedlern" aus den polnisch verwalteten
deutschen Ostgebieten ein, und diese plötzliche Zunahme der Aussiedlung hat bereits
dazu geführt, daß sich die Bundesregierung mit der Frage befaßt hat, was wohl die
Gründe dafür sein mögen, daß die polnischen Behörden im Gegensatz zu der bis vor
kurzem von ihnen eingenommenen Haltung nunmehr geradezu die Abfertigung der
Transporte forcieren. Im gleichen Zusammenhange haben sich die zuständigen Stel-
len auch mit den Folgerungen befaßt, die sich sowohl in sozialer wie in politischer
Hinsicht aus dieser Entwicklung ergeben und es ist hierzu die Vermutung geäußert
worden, ob hier nicht eine "Fortsetzung der Vertreibung mit anderen Mitteln" vorliege.

Eine nähere Untersuchung der Gründe und Hintergründe der "Spätaussiedlung" kann
nur in der Form vorgenommen werden, dass zunächst einmal scharf zwischen den
Gründen unterschieden wird, welche Zehntausende von Deutschen veranlassen, bei
den polnischen Behörden Anträge auf Aussiedlung nach West- und Mitteldeutschland
einzureichen, und den politischen Hintergründen, aus denen heraus die veränderte
Einstellung der polnischen Behörden zum Aussiedlungsproblem erwuchs.

Was das erstere — also die Gründe, welche die bisher in den Oder-Neiße-Gebieten
verbliebenen bzw. festgehaltenen Deutschen zur Aussiedlung bewegen — anlangt,
so hat die polnische Presse hierüber einige Auskunft gegeben, anderes geht aus
den Ausführungen der hier eintreffenden Spätaussiedler hervor. Es ergibt sich da-
raus, daß an erster Stelle der Wunsch nach Familienzusammenführung zu nennen
ist. Für dieses humanitäre Anliegen der Zusammenführung von Familien, deren
Angehörige durch die Kriegsereignisse oder durch die Vertreibung voneinander
getrennt wurden, hat sich die Bundesregierung seit geraumer Zeit eingesetzt, und
es wurde allgemein lebhaft begrüßt, daß es zu einer diesbezüglichen Übereinkunft
zwischen dem Deutschen und dem Polnischen Roten Kreuz kam. Aber die Familien-
zusammenführung erstreckt sich allein auf etwa 50.000 "Fälle", und so stellt sich
die Frage, aus welchen Gründen es dazu gekommen ist, daß weitere Zehntausende
— man schätzt die Gesamtzahl der bei den polnischen Behörden eingereichten
Aussiedlungsanträge auf über 160.000 — ebenfalls mit allem Nachdruck nach einer
Umsiedlung nach Westdeutschland streben.

Es ist dies, wie immer deutlicher hervortritt, vornehmlich darauf zurückzuführen,
daß die in den Oder-Neiße-Gebieten verbliebenen Deutschen in den letzten elf
Jahren auf sozialem, wirtschaftlichem, kulturellem und politischem Gebiet als
minderwertige Menschen behandelt wurden und zwar in einem Ausmaße, daß sie
sich in einer äußersten materiellen und seelischen Notlage befinden. Selbst die
polnische Presse gibt zu, daß man diese Deutschen weithin als "Menschen zweiter
Klasse" behandelte, wobei Ausnahmen nur die Regel bestätigten. Man enteignete
sie nicht nur, sondern man verwandte sie als Zwangsarbeiter, vor allem auf den
Staatsgütern. Die Härten, die sich aus der Praktizierung des kommunistischen
Wirtschaftssystems ergaben, fielen ihnen voll zur Last; denn während die polnische
Bevölkerung Auswege suchen konnte, wurden die "Autochthonen" — wie man die
Deutschen nannte — aufs schärfste überwacht und schwersten Repressalien aus-
gesetzt, wenn sie die oftmals völlig unsinnigen Anordnungen nicht befolgten. Für
die Jugend gab es keine Fachausbildung, die Alten und Kranken wurden buchstäb-
lich dem Verhungern preisgegeben. Aber neben die sich aus dem kommunistischen
Wirtschaftssystem ergebenden schweren Belastungen traten noch zusätzlich die
Bedrückungen, die aus dem polnischen Chauvinismus kamen. Lange Jahre war selbst
der Gebrauch der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit verboten. Noch heute gibt
es im südlichen Ostpreußen keine Schulen mit deutschsprachigem Unterricht. Und
nicht nur das: Da die polnischen Behörden davon ausgingen, daß es sich bei den
"Autochthonen" um "germanisierte Polen2 handele, wurden die "Maßnahmen zur
Repolonisierung" mit aller Schärfe durchgeführt. Halb- und Vollwaisen wurden in
polnische Jugendheime oder Erziehungsanstalten verschleppt, unter unvorstellba-
rem Terror wurden Unterschriften unter Versicherungen erpreßt, mit denen sich
die Betroffenen zum "Polentum bekennen" sollten, und zu alledem trat die oftmals
geradezu schändliche Behandlung, die den "Autochthonen" im Behördenverkehr
oder bei allen sich ergebenden Rechtsstreitigkeiten zuteil wurde. Diese Deutschen
stellten in Wahrheit eine Gruppe von Menschen dar, die — wie ebenfalls in der
polnischen Presse festgestellt wurde — "außerhalb des Rechts standen".

Zieht man alles dieses in Betracht, so wird zweierlei verständlich: Zunächst, daß
der Anteil der "Umsiedlungswilligen" an der Gesamtzahl der "autochthonen"
Bevölkerung weit höher ist als der der Sowjetzonenflüchtlinge an der Gesamtzahl
der Bevölkerung Mitteldeutschlands, und zum anderen, daß die Versicherung der
polnischen Nationalkommunisten, es werde nunmehr eine "neue Politik" gegen-
über den "Autochthonen" eingeschlagen werden, keinen Glauben findet. Denn
zahlreiche Deutsche mußten gerade in letzter Zeit die bittere Erfahrung machen,
daß der polnische Nationalkommunismus weithin nichts anderes als eine Verschmel-
zung des Kommunismus mit dem polnischen Chauvinismus darstellt und sich so eine
Verbindung — nicht etwa eine Minderung — der Diskriminierungen ergab, unter
denen die Deutschen zu leiden haben.

Aber noch ein weiteres trug dazu bei, daß die Zahl der Anträge auf Aussiedlung
nach West- und Mitteldeutschland immer mehr anwuchs: Die "Verzichterklärungen",
die seitens bestimmter westdeutscher Politiker verlautbart worden sind. Diesen
Erklärungen, in denen entweder geradezu von "Verzichten" oder von einer "Aus-
Klammerung" der Oder-Neiße-Frage die Rede war, verlieh die polnische Presse
große Verbreitung, und es führte dieses dazu, daß die Deutschen in den Oder-
Neiße-Gebieten weithin die Überzeugung gewannen, daß "Deutschland uns sowieso
abschreiben will". Es ist besonders die Erklärung des Bundesratspräsidenten Dr. Sie-
veking gewesen, die ein außerordentliches Ansteigen der Zahl der Aussiedlungsan-
träge bewirkt hat. Nach polnischen Meldungen stieg allein in Oppeln die Zahl der
Umsiedlungsanträge auf dreizehntausend !

Dieses aber führt zur Erörterung der Frage, was die polnische Regierung dazu ver-
anlaßt haben dürfte, die "Spätaussiedlung" plötzlich zu beschleunigen, nachdem
noch bis zum Oktober 1956 geradezu um jeden "Härtefall" bei der Familienzu-
sammenführung gerungen werden mußte. Es läßt sich genau ermitteln, zu welchem
Zeitpunkt die polnische Regierung von der bis dahin in der Regel hinhaltenden
Behandlung der Aussiedlungsanträge Abstand nahm: Die "Wende" erfolgte faktisch
unmittelbar nach den polnisch-sowjetischen Verhandlungen über den "Truppen-
vertrag", in deren Rahmen — wie sich nachträglich herausgestellt hat — von sow-
jetischer Seite die Oder-Neiße-Frage angeschnitten worden ist. Nimmt man hinzu,
daß die Sowjetzonenregierung im Vorjahre ein plötzliches Interesse an der "deut-
schen Minderheit in Polen" an den Tag legte, so wird deutlich, welche Beweggründe
hier für das Gomulka-Regime eine Rolle spielten, zumal Gomulka selbst bekanntlich
in den ersten Nachkriegsjahren als "Minister für die wiedererrungenen Westgebiete"
die oberste Instanz für die Durchführung der Austreibungen gewesen ist.

So ergibt sich, daß mehrere Umstände die außerordentliche Zunahme der "Spätaus-
siedlung2 bewirkt haben. Zunächst treten hier zu den Beweggründen, welche denen
etwa entsprechen, die für die Zuwanderung aus der Sowjetzone maßgeblich sind,
noch diejenigen weiteren Gründe hinzu, die sich aus der Tatsache ergeben, daß die
deutschen Ostgebiete polnischer Verwaltung übergeben wurden. Es handelt sich in
dieser Hinsicht bei der "Spätaussiedlung" tatsächlich teils um eine weitere Auswirkung,
teils um die Fortsetzung der Vertreibung, die sich von den Geschehnissen in den Jah-
ren 1945 - 1947 allerdings insofern unterscheidet als sie nunmehr auf "eine humane
und ordentliche Weise" erfolgt. Zugleich finden hier — was die Einstellung der polni-
schen Behörden anlangt — politische Entwicklungen ihren Ausdruck, die sich infolge
der Errichtung des Gomulka-Regimes ergeben haben, und zwar sowohl auf innen -
wie auch vor allem auf außenpolitischem Gebiete. Die Frage, wie die Spätaussiedlung
zu beurteilen ist und welche Folgerungen sich aus diesem Vorgang ergeben, läßt sich
also klar beantworten: Die Familienzusammenführung ist zu begrüßen, ebenso wie
es eine Selbstverständlichkeit ist, daß auch einige weitere Zehntausende von
"Härtefällen" bei den Genehmigungsverfahren alsbaldige Berücksichtigung finden
müssen.

Zugleich aber gilt es, mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die "Spätaus-
Siedlung" durchgeführt wird, um Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu er-
möglichen, um sie von Furcht und Not zu befreien. Dieses ist ein Gebot der
Menschlichkeit. Die Rechtsansprüche auf die gegenwärtig polnischer Verwaltung
unterstehenden deutschen Ostgebiete werden dadurch keineswegs beeinträchtigt,
ebenso wenig wie durch die in den ersten Nachkriegsjahren erfolgte Vertreibung.
Vielmehr bedeutet das Eintreffen eines jeden Transports von "Spätaussiedlern"
in Büchen oder Friedland nichts anderes als eine Mahnung, daß der provisorische
Zustand, der hinsichtlich der Oder-Neiße-Gebiete immer noch besteht, durch
Wiederherstellung des Rechts — und das heißt durch Rückgabe der polnisch besetz-
ten deutschen Gebiete in deutsche Verwaltung — beseitigt werden muß, sobald die
Wiedervereinigung West- und Mitteldeutschlands in Frieden und Freiheit erfolgt ist.
Dr. Eduard Jennicke

Quelle: OSPREUSSENBLATT, 16. März 1957

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