Rückführungsaktion aus sowjetischen Straflagern.

Überwiegend ostpreußische Landsleute, die nach sowjetischer Gefangenschaft im Grenzdurchgangslager Friedland eintrafen. Quelle: Ostpreußenblatt 1954 und 1955.

Rückführungsaktion aus sowjetischen Straflagern.

Beitragvon -sd- » 15.12.2018, 21:41

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Wir können keine Auskunft geben“, Widersprechende Meldungen zu der
angekündigten Rückführung von 9.100 Deutschen aus der Sowjetunion
.


In vielen Zeitungen der Bundesrepublik erschien dieser Tage in großer Auf-
machung die Meldung, daß dem Deutschen Roten Kreuz von Seiten des
Russischen Roten Kreuzes die Rückführung von insgesamt 9.100 Strafgefan-
Genen und Zivilisten aus der Sowjetunion zugesagt worden sei. Unsere
Bonner Mitarbeiterin nahm mit dem Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes,
mit der sowjetischen Botschaft in Rolandseck und mit der für die Meldung
verantwortlichen Presseagentur Verbindung auf, um Einzelheiten über die
angekündigte Rückführungsaktion zu ermitteln. Die Informationen, die wir
erhalten konnten, waren völlig widersprechend; sie sind nur dazu angetan,
die vielen hoffenden Angehörigen der Verschleppten und Gefangenen in
größte Verwirrung zu bringen. Uns wurde aus Bonn folgendes berichtet:

Die Pressestelle des Präsidiums des Deutschen Roten Kreuzes bedauert, daß
Meldungen mit scheinbar exakten Zahlenangaben in der westdeutschen Presse
erschienen, die nicht zutreffend sind. In den Meldungen hieß es, daß der
Leiter der Suchdienstzentrale des Deutschen Roten Kreuzes, Dr. Wagner, auf
einer Arbeitstagung in Arnsberg folgende Ausführungen gemacht hat:

„Dem Deutschen Roten Kreuz ist es gelungen, bei den letzten Verhandlungen
mit dem Russischen Roten Kreuz die Zusage für die baldige Rückführung von
rund 9.100 Deutschen, die sich noch in der Sowjetunion befinden zu erhalten.
Bei dieser Zahl handelt es sich um zwei Gruppen von zurückgehaltenen
Deutschen, einmal um 2.100 Zivilisten, die sich in sowjetischen Straflagern
und Gefängnissen befinden, zum anderen um rund 7.000 deutsche Zivilisten,
die in sogenannten Zwangsaufenthaltsorten leben. Die Namen aller dieser
Deutschen seien dem Deutschen Roten Kreuz bekannt, ihre Repatriierung sei
bereits eingeleitet worden. Ferner soll Dr. Wagner erklärt haben, daß sich
noch weitere 84.000 Volksdeutsche und Reichsdeutsche, die dem Deutschen
Roten Kreuz nicht namentlich, sondern nur aus Beurkundungen zurückgekehrter
Kriegsgefangener bekannt seien, in Zwangsarbeitsdistrikten befänden. Das
Sowjetische Rote Kreuz habe bereits von sich aus mit der Registrierung dieser
Zwangsarbeiter begonnen. Die sowjetische Botschaft in Bonn habe ihre volle
Unterstützung zu dieser Aktion zugesagt. Außerdem seien die Sowjets neuer-
dings bereit, auch exakte Auskünfte über bisher als vermißt geltende Wehr-
machtsangehörige zu geben, die verwundet in russische Gefangenschaft
gerieten und dort verstarben“.

Soweit die Meldungen in der westdeutschen Presse.

Dem Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes in Bonn ist es, so wird uns dort
erklärt, unverständlich, wie diese durch ihre Zahlenangaben durchaus Ver-
trauen erweckenden Nachrichten zustande gekommen sind. Man ist dort der
Meinung, daß Dr. Wagner mißverstanden wurde, und man betont, daß die
Meldungen keineswegs amtlichen Charakter hätten. Leider ist es bisher zu
keiner offiziellen Richtigstellung vonseiten des Deutschen Kreuzes gekommen.
Wir bedauern das umso mehr, als es sich ja nicht hier um tote Zahlen, sondern
um Menschenschicksale handelt, die mit hunderttausenden anderen Schick-
salen der in der Bundesrepublik lebenden Angehörigen verknüpft sind.

Wir erfuhren weiter, daß die Bundesregierung ein Dementi zu den erwähnten
Meldungen herausgab, in welchem sie die in Straflagern zurückgehaltenen
Deutschen mit 100.000 beziffert. Hierzu wiederum erklärt das Deutsche Rote
Kreuz, daß es sich auch um keine exakten Angaben handele; die genannten
100.000 befänden sich nicht durchweg in Straflagern, sondern die weitaus
meisten von ihnen leben als Zwangsangesiedelte in den verschiedensten
sowjetischen Provinzen.

Wer findet sich durch diese Angaben noch hindurch ? Eine Anfrage bei der für
die Meldungen verantwortlichen Presseagentur blieb erfolglos. Der Agentur
war noch nicht einmal bekanntgeworden, daß das Deutsche Rote Kreuz ihre
Meldung als unzutreffend bezeichnet.

Die letzte Rückfrage schließlich richtete sich an die sowjetische Botschaft
in Rolandseck bei Bonn. War es schon sehr schwierig, zu ermitteln, welche
Stelle der Botschaft für eine Auskunft zuständig war, - die Auskunft selbst
wurde natürlich nicht gegeben. Auf unsere Anfrage stellte eine Stimme die
Gegenfrage: „Und was habe ich persönlich mit dieser Sache zu tun ?“
Und dann: „Njet, wir können zu dieser Frage keine Informationen geben,
bedaure !“

Auch wir bedauern. Wir bedauern, daß solche Pannen passieren können,
Pannen, die unabsehbare Folgen haben. Denn durch solche unkontrollierten
Meldungen werden nicht nur die Angehörigen der noch verschleppten,
vermißten und gefangenen Deutschen von Hoffnungen in Verzweiflung
gestürzt, es werden auch die Bemühungen des Deutschen Roten Kreuzes
erschwert, das seit Jahren in mühevoller Arbeit Verhandlungen mit den
Sowjets führt. Es werden die zuständigen sowjetischen Stellen verärgert,
und endlich wird etwas getan, was unter allen Umständen vermieden werden
müßte: das Schicksal vieler tausender Menschen, die in den Weiten der
Sowjetunion täglich auf Heimkehr hoffen, um Heimkehr beten, hängt an
einem seidenen Faden. Dieser Faden kann leicht durchschnitten werden,
durchschnitten durch Unvorsichtigkeit und unangebrachte Sensations-
meldungen. Wir hoffen im Interesse der vielen Menschen, auf deren Heim-
kehr wir noch warten, daß durch diesen unerfreulichen Zwischenfall ihr
Schicksal nicht wieder in die Ungewißheit geschleudert wird. Wir hoffen,
daß sie bald zu uns heimkehren, gleichgültig, wie viele es sind und welchen
Status sie im sowjetischen Straflager oder im "Zivilleben" dort haben, wenn
sie nur zurückkehren.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 31. März 1956

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In Moskau gemeldet. Nach der Überreichung der Namensliste
durch den Botschafter. Ein Ostpreuße kehrt als erster heim.


Als erster der in die Sowjetunion verschleppten Landsleute nach der Über-
gabe einer Namensliste durch den Botschafter der Bundesrepublik in Moskau,
Dr. Haas, hat der in Eisenberg (Kreis Heiligenbeil) beheimatete Bauer und
Bürgermeister Franz Thurau am 23. März die Reise aus Moskau nach West-
deutschland angetreten. Thurau war selbst aus Krasnogarsk nach Moskau
gereist und hatte sich in der deutschen Botschaft gemeldet. Er erhielt einen
deutschen Paß, die sowjetische Ausreiseerlaubnis und von der Botschaft die
nötigen Mittel für die Heimfahrt.

Thurau war in Eisenberg verhaftet und 1946 in Memel zu drei Jahren Arbeits-
lager verurteilt worden. Nach seiner Entlassung 1949 arbeitete er in Krasno-
garsk als Bauarbeiter.

In der Sowjetunion befinden sich bekanntlich noch zahlreiche Deutsche —
unter ihnen viele Ostpreußen — die nach Verbüßung der zudiktierten Strafen
weder die Dokumente noch das Fahrgeld haben, um nach Hause zurückzu-
kehren. Es ist zu hoffen, daß sie sich nun bei der Botschaft der Bundesre-
publik in Moskau melden werden. Wie Thurau selbst mitteilt, befinden sich
in Krasnogarsk zwei weitere deutsche Familien.

Im Sommer 1945 war Thurau in dem berüchtigten NKWD-Lager Preußisch-Eylau,
in dem nur dreitausend von zehntausend gefangengehaltenen Deutschen am
Leben blieben, mit dem Landwirt Paul Romanowski aus Morren (Kreis Heili-
genbeil) — einem Sohn des bekannten Mehlsacker Pferdezüchters — zusammen.
Beide wurden Weg- und Leidensgenossen. Landsmann Paul Romanowski, der
heute bei Lüdenscheid lebt, berichtet jetzt dem Ostpreußenblatt über das
in schwerer Zeit gemeinsam ertragene Schicksal:

„Mit als die ersten wurden wir am Himmelfahrtstag 1946 entlassen; unsere
Unschuld hatte sich herausgestellt. Wir waren der frohen Meinung, das
Schlimmste nun hinter uns zu haben, und wir hofften, nun bald unsere
Angehörigen wiederzusehen. Eisenberg, der Wohnort Thuraus, liegt jetzt
im polnisch besetzten Gebiet Ostpreußens. Dort durften wir nicht hingehen.
Mein Gutshof befindet sich im sowjetisch besetzten Bezirk. Wir beide blieben
zusammen, wurden nach vielen Zwischenfällen aber einige Tage später in
meiner näheren Heimat von russischen Offizieren angehalten und nach
Patersort am Frischen Haff gebracht … Wir beschlossen, in das von den
Polen besetzte Gebiet über das Haff zu entfliehen, um dann nach dem
Westen zu wandern.

In einer Septembernacht 1946 wagten wir uns in einem Boot aufs Haff; wir
waren vier Männer und eine Frau aus Düsseldorf mit ihrem Kind, die ein
Jahr vorher wegen der häufigen Fliegerangriffe nach Ostpreußen gekom-
men war. Am nächsten Tage wurden wir bei Kahlholz von russischer
Wasserpolizei aufgegriffen und in einem Polizeikeller geschleppt. Von
dort aus kamen wir nach Memel; wieder in einen Keller. Im Dezember
wurden wir wegen „des Versuchs, die Sowjetgrenzen zu überschreiten“
zu drei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Die ganze Zeit über erhielten wir
sehr wenig Essen, damit wir nicht die Kraft hätten, einen neuen Flucht-
versuch zu unternehmen. Wir waren zu Skeletten abgemagert.

In Viehwagen begann unsere Fahrt nach dem Osten. Die letzten Sachen,
Decken und andere notwendige Gegenstände, wurden uns von den rus-
sischen Verbrechern geraubt. Durch die erlittenen Mihandlungen, durch
Hunger, Läuseplage und durch die Einwirkung der großen Kälte verfiel
ich in Wahnsinn. Ich wäre ohne Zweifel elend umgekommen oder auf
irgendeiner Station aus dem Zuge geworfen worden, wenn sich Franz
Thurau nicht aufopferungsvoll meiner angenommen hätte. Er bewährte
sich hier als ein wahrhaft guter Kamerad.

Am 30. Januar 1947 kamen wir in der Gegend von Karaganda an, und wir
wurden sogleich in ein Krankenhaus eingewiesen. Im Mai, jenen Jahres
wurde ich in das Straflager Alabas gebracht. Dies bedeutete die Trennung
von Thurau, von dem ich dann bis zum Jahre 1955 nichts mehr hören sollte.

Nach neun Jahren erreichte mich wieder ein Brief meiner Frau und ich
konnte fortan mit ihr Briefe wechseln. Sie teilte mir mit, daß Thurau sich
gemeldet habe, und in einem Walde bei Krasnogarsk lebe. Wir schrieben
nun einander und berichteten uns gegenseitig unsere Erlebnisse.

Ich bin 63 Jahre alt; Franz Thurau ist aber zehn Jahre älter als ich. Es wird
ihm daher noch weit schwerer als mir gefallen sein, nach der Entlassung
aus dem Straflager sein Leben zu fristen. Er half sich vornehmlich durch das
Schnitzen von Löffeln, und er scheute auch die harte Bauarbeit nicht, doch
hat er – wie er mir schrieb – es eigentlich nur einer Familie aus dem
Memelkreise zu verdanken, daß er in den Jahren nach 1949, die er „in
der Freiheit“ in der Sowjetunion zubringen mußte, nicht verhungerte.

Ich wurde Ende September des vorigen Jahres nach Westdeutschland ent-
lassen; mein Gefährte Franz Thurau hat ein halbes Jahr länger warten
müssen. Die Freude für ihn und seine in Leverkusen lebende Frau, die neun
Jahre lang keine Nachricht von ihm erhalten hatte, und dennoch nie die
Hoffnung auf ein Wiedersehen aufgab, wird groß sein. Ich wünsche ihm
alles nur erdenklich Gute, denn ich werde nie vergessen, was er für mich
getan hat“.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 31. März 1956

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Die Zahl der deutschen Rückkehrer aus der Sowjetunion steigt langsam.
Im April trafen 147 Rückkehrer in der Bundesrepublik ein, im März waren
es nur 87 gewesen. In der ersten Maihälfte wurden etwa 70 Rückkehrer
gezählt.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 31. Mai 1958

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