Kreisgemeinschaft Treuburg (Ostpr.)

Teilweise mit Nennung zugehöriger Orte, Landkarten, Stadtpläne.

Kreisgemeinschaft Treuburg (Ostpr.)

Beitragvon -sd- » 20.02.2015, 10:12

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Kreisgemeinschaft Treuburg

Wo liegt Treuburg ?
http://www.treuburg.com/index.php?pid=2


Alle Ortsnamen im Kreis Treuburg:
http://www.treuburg.com/index.php?pid=20


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Auf der Seite
http://www.treuburg.com/index.php/kreis ... likationen
ist u. a. dieser Hinweis zu finden:

Treuburger Zeitung, Heimatblatt des Kreises Treuburg 1951-1969

Treuburger Heimatbrief:
http://olecko.info/treuburger_heimatbrief/index.htm


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Achim Tutlies 'Güter und Großbauernhöfe im Kreis Treuburg / Oletzko',
Hamburg 1997

Achim Tutlies 'Menschen aus dem Kreis Treuburg / Oletzko',
Hamburg 2010

Sie sind zu erreichen über die Homepage des VFFOW unter
'Medien_Nachgelassene Schätze: https://www.vffow.de

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Treuburg. Polnischer Alltag.
Das Schicksal einer von Warschau vergessenen Kleinstadt Ostpreußens.


Selbst Polen wohlgesinnte Besucher, die in der letzten Zeit die östlichen Land-
kreise Ostpreußens besuchten und auch in Treuburg waren, gaben hinterher
deprimierende Schilderungen über die dort herrschenden Verhältnisse ab. Als
wir in Berlin einen Journalisten der englischen Linkspresse sprachen, der 1920
bei der Volksabstimmung in Ostpreußen zugegen war und jetzt Ostpreußen
wiederum besuchte, sagte uns dieser: "Ich kann es immer noch nicht fassen,
warum und wieso solche Zustände in Ostpreußen herrschen, ich war vor mehr
als 35 Jahren in den Städten dieser Provinz und hatte sie in guter Erinnerung.
Als ich jetzt wieder dort war, packte mich das Entsetzen ... Nicht nur der
Krieg allein hat die dortigen Verhältnisse der Gegenwart bestimmt! Eine un-
vorstellbare Mißwirtschaft scheint mir viel verantwortlicher zu sein ..."

Dieser Besucher, der ob seiner politischen Einstellung ein guter Kronzeuge
für die wahrheitsgemäße Berichterstattung ist, hat auch die Kreisstadt Treu-
burg besucht. Was er von dort berichtete, deckte sich mit dem, was schon
seit einiger Zeit bei uns über die Zustände in dieser Stadt bekannt ist. Die
Stadt Treuburg — ehemals dadurch bekannt, daß sie den größten Marktplatz
aller europäischen Länder ihr Eigen nennen konnte — ist während der polni-
schen Verwaltung in ein Chaos ohnegleichen gestürzt worden.

Und dabei hätte es Kraft und Energie bedurft, um die schon durch den Krieg
schwer getroffene Stadt zu erhalten. Aber auch hier fand sich keine polni-
sche Hand, um die 420 zerstörten oder beschädigten Häuser wieder aufzu-
bauen. Nein, die polnische Verwaltung vermehrte durch sinnlose Abrisse wie
auch anderswo die Zahl der Ruinengrundstücke. Sprengkommandos und Ab-
bruchkolonnen stürzten sich auf die unzerstörten Gebäude und sohlachteten
sie aus. Auch aus Treuburg wurde viel Material zum Wiederaufbau Warschaus
abtransportiert.

Wer heute in diese Stadt kommt, sieht sich auf dem gewaltigen Marktplatz
einer weiten Einöde gegenüber. Der Verkehr ist völlig ausgestorben, und der
in weiten Abständen einmal abgehaltene Bauernmarkt vermag auch nur
einen kleinen Teil des Platzes zu beleben. Die den Markt umgebenden Ge-
schäftshäuser sind zumeist verschwunden. Entweder liegen sie in Trümmern
oder wurden gänzlich abgetragen. Nur noch wenige Fassaden stehen hier und
erinnern an die Zeiten geschäftigen Treibens der fleißigen und sauberen Stadt.
Einige der früheren Treppenaufgänge der Geschäftshäuser sind noch vorhanden.
Weit und breit aber sucht man vergebens nach irgendeinem Zeichen, daß die
Polen wenigstens an dieser Stelle den Versuch machen würden, einen Teil des
alten Treuburger Zentrums wieder erstehen zu lassen.

Bezüglich dieser Stadt stellt sich überhaupt die Frage, was den Polen eigent-
lich die Übernahme Treuburgs genützt hat oder was sie damit bezweckt haben.
Wird doch ihre Unfähigkeit, die Stadt wenigstens zum Minimum zu erhalten,
an jeder Straßenecke offenkundig. Das ist auch nicht allein damit zu erklären,
daß Treuburg mit den anderen beiden Kreisstädten Lyck und Goldap bei der
polnischen Nachkriegs-Verwaltungsreform aus dem Verband des Regierungs-
bezirks Allenstein herausgenommen und der Wojewodschaft Bialystok zuge-
schlagen wurde. Zwar ist bekannt, daß Bialystok sich um die drei neuen
Kreisstädte und ihre ländlichen Gebiete so gut wie gar nicht kümmert, aber
die lokalen Behörden Treuburgs haben auch nie den Versuch unternommen,
diesen Zustand zu beendigen oder in dem ihnen gegebenen Rahmen aktiv zu
werden. Man ließ bis auf den heutigen Tag hier alles schlurren. Ohne
Widerspruch wurde jede Anordnung aus Bialystok befolgt, noch mehr
Baumaterial für kongresspolnische Städte oder Warschau bereitzustellen.

Erst in der letzten Zeit hat sich in Allenstein eine Funktionärsgruppe gefun-
den, die sich dafür einsetzt, Treuburg und die beiden anderen Landkreise
wieder an Allenstein anzuschließen. Charakteristisch ist aber, daß diese
Bestrebungen von den Treuburger Behörden weder in zustimmender noch in
ablehnender Form unterstützt werden. Die Lethargie ist so in den Amtsstuben
zu Hause, daß Initiative in der einen oder anderen Richtung gar nicht mehr
möglich ist. Die Verwaltung kennt weder Verantwortung noch Tatkraft. Die
Behörden scheinen nur dazu da zu sein, um den Funktionären und Ange-
stellten die Existenz zu sichern. Im Übrigen wartet man auf Entscheidungen
von oben, die jedoch bisher nicht gekommen sind, soweit es einen sinnvollen
Aufbau betrifft.

Auch die Oktoberereignisse vom vergangenen Jahr haben keine Änderungen
gebracht. Ein paar provisorische Privatgeschäfte sind eröffnet worden — das
ist aber auch schon alles. Nach wie vor herrscht hier die phlegmatische Partei-
bürokratie, die keine Verantwortung kennt. Die Wiederaufbaupläne bestehen
zwar, aber an ihre Verwirklichung hat bisher niemand gedacht. Wie zum Beispiel
in der Lötzenerstraße. In dieser Straße, wo viele Gebäude die Kriegswirren über-
standen, wüteten in besonderem Maße die Abbruchkommandos. Teilweise aber
beschränkte man sich darauf, aus den Häusern nur die Inneneinrichtung sowie
Heizkörper, Rohre der Wasserleitung, hygienische Einrichtungen und elektro-
technische Installationen zu entnehmen. In einigen Fällen riß man auch nur die
Ziegel und die Dachkonstruktion heraus.

So ergab sich die Möglichkeit, trotz der Abbrucharbeiten eine ganze Anzahl
von Gebäuden doch noch wiederinstandzusetzen. Aber was geschah ? Die dafür
bereit gestellten Gelder flossen in andere Kanäle, so daß bis zum heutigen
Tag der weitere und endgültige Verfall dieser Straße nicht aufgehalten werden
konnte. Nicht einmal die Miliz hat es bisher für notwendig befunden, Dieben
auf die Finger zu sehen, die immer wieder noch etwas aus den Häusern abtrans-
portieren. Im Übrigen kann man sich anhand der ständigen Witterungseinflüsse
ausrechnen, wieviel Jahre es noch dauert, bis die leicht zu rettenden Gebäude
endgültig zusammenstürzen.

Auch der Treuburger Friedhof ist von den fortdauernden Zerstörungen nicht
ausgenommen. Erst kürzlich noch wurden mit Handwagen Grabsteine von dem
Gottesacker fortgebracht — man benötigte sie zur Ausbesserung großer Schlag-
löcher. Deutsche Soldatengräber auf dem Friedhof sind alle schon lange dem
Erdboden gleichgemacht worden. Ziegen weiden auf einigen Friedhofsteilen.
Deutschen-Verfolgungen allgemeiner Art gab es darüber hinaus bis in die
jüngste Gegenwart.

Initiative entwickelte bisher in der Stadt eigentlich nur das Militär. Die pol-
nische Luftwaffe richtete hier schon vor langer Zeit eine Außenstelle ein, in
der Mitglieder der vormilitärischen Ausbildungsorganisation 'Liga der Soldaten-
freunde' ausgebildet werden. Und zwar hat man eine technische Schule einge-
richtet, um spätere Luftwaffen-Mechaniker vorzubilden. In letzter Zeit ist es
allerdings etwas stiller um diese Einrichtung geworden, da nur noch wenige
Jugendliche freiwillig Interesse am Soldatenberuf und der Mitgliedschaft in
vormilitärischen Organisationen haben.

Die nach hier gekommenen Polen haben fast alle keine richtige Existenz.
Viele sind arbeitslos. Andere wiederum werden nur zeitweise in der Landwirt-
schaft beschäftigt. Die meisten polnischen Einwohner von Treuburg halten
Vieh, um die schmale Kost aufzubessern. Vieh aller Art kann man immer in
den Straßen, den Vorgärten oder den Höfen begegnen. Blühen tut natürlich
auch der illegale Handel. Meist werden knappe Waren aber nur angekauft, um
in größeren Städten gegen Gewinn weiter veräußert zu werden. Zum eigenen
Erwerb fehlt es den polnischen Bürgern zumeist an Geld. Sie sind mit dem
zufrieden, was sie am Zwischenhandel verdienen.

Kulturelle Einrichtungen gibt es keine mehr in Treuburg. Es sei denn, man
halte einige Gastspiele von Laien-Ensembles dafür. Oder den Nachtwächter,
der nachts auf dem Marktplatz das einzige polnische Denkmal bewacht — es ist
an der Stelle errichtet worden, wo früher das deutsche Abstimmungsdenkmal
stand, und stellt in kitschiger Form die "Heimkehr Treuburgs zum polnischen
Mutterland" dar. Daß 1920 in dieser Kreisstadt nicht eine einzige Stimme für
Polen abgegeben wurde, davon darf heute nicht mehr gesprochen werden.

An das frühere Treuburg erinnern nur noch einige erhaltene Gebäude am
Stadtrand, die Ruinen des ausgebrannten Postamts und das Wappen im
Treppenhaus des alten Rathauses. Sonst hat sich alles unheilvoll verändert
und ist nicht mehr wiederzuerkennen. Um einige Straßen nicht aufräumen zu
müssen, wurden neue Geh- und Fahrwege in provisorischer Form durch Hinter-
gärten usw. angelegt. Nach dem alten Stadtplan kann man sich jetzt nur noch
schwer in Treuburg orientieren. Die letzte Nachricht über die Neuapostolische
Kirche und die angrenzenden Gebäude besagt, daß hier von der polnischen
Landwirtschafts-Verwaltung eine Maschinen- und Traktorenstation eingerichtet
worden ist. Unter anderem soll sich hier auch eine Lehrwerkstatt befinden,
in der Jugendliche zu Fahrern und Mechanikern der POM-Traktoren-Betriebe
ausgebildet werden. Auch einige junge deutsche Mädchen und Jungen sollen
hier ihre Ausbildung erhalten haben.

Über alles andere, was den von hier Vertriebenen einstmals lieb und wert und
bekannt war, ist nichts mehr übriggeblieben beziehungsweise ist nichts mehr
bekannt. Der eingangs erwähnte englische Besucher teilte mit, daß seiner
Meinung nach etwa 65 vom Hundert der Stadt vernichtet oder unbewohnbar
geworden ist. Immer wieder sprach er davon, wie unsagbar schwer es überhaupt
gewesen sei, bis zu dieser Stadt vorzudringen. Zwar kann man bis Goldap von
Mittel-Ostpreußen mit der Bahn fahren. Treuburg aber war nur mit einem
Gelegenheitsomnibus zu erreichen. "Die Stadt lag wie abgeschlossen vom
Leben", sagte unser Gesprächspartner. Ausführlich unterhielten wir uns auch
über die polnischen Bevölkerungsangaben. Nach der polnischen Statistik leben
in Treuburg und dem dazu gehörigen Landkreisgebiet heute 27.000 Menschen.
Das entspräche einer Bevölkerungsdichte von 31 Menschen je Quadratkilometer.
Zu deutscher Zeit lebten hier 38.000 Menschen, was einer Bevölkerungsdichte
von 44,4 Einwohnern je Quadratkilometer bedeutet. Der englische Besucher
meinte dazu, daß die polnischen Angaben nur dann stimmen könnten, wenn sie
sich auf den Landkreis bezögen. In Treuburg lebten seiner Meinung heute im
Höchstfall 2.500 Menschen gegenüber 7.100 vor dem Kriege. Beruhten die
polnischen Angaben auf Wahrheit, so müßte der Bevölkerungsrückgang in der
Stadt selbst größer als auf dem Land sein. In den Landkreis sei er jedoch nicht
hineingekommen, "weil es einfach keine Möglichkeit dazu gab". Womit er
andeutete, daß keine geregelten Verkehrsverhältnisse mehr bestehen.

Wie dem auch sei, Treuburg hat sich gegenüber früher so verändert, daß man
keine Parallelen mehr zur Vorkriegszeit ziehen kann. Die Stadt, die wir in
diesem Teil Ostpreußens kannten, gibt es nicht mehr.

Quelle: OSTPREUSSEN-WARTE, Juni 1957

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