Der Friede zu Tilsit.

Deutschland unter französischem Einfluß.

Der Friede zu Tilsit.

Beitragvon -sd- » 27.01.2018, 08:03

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Blätter ostpreußischer Geschichte.

Der Friede zu Tilsit.

Am 14. Juni 1807 hatte Napoleon die Russen unter Bennigsen bei Friedland
derart geschlagen, daß dieser sich hinter die Memel zurückzog und den Zaren
dringend empfahl, einen Waffenstillstand abzuschließen. Alexander, ebenso
leicht entmutigt wie entflammt, gab den Krieg verloren, obgleich noch kein
französischer Soldat russischen Boden betreten hatte. Er bat tatsächlich
Napoleon um einen Waffenstillstand, und dieser ging gern darauf ein, da er
nicht gerüstet war, den Krieg nach Rußland hinein fortzusetzen. Am 21. Juni
trat der Waffenstillstand in Kraft. Die Memel wurde Demarkationslinie. Schon
am 25. trafen sich die beiden Kaiser auf neutralem Boden, einem Floß im
Strom, und da sie beide liebenswürdig sein konnten, wenn sie sich etwas
davon versprachen, verständigten sie sich bald — auf Kosten Preußens. Zwar
zogen sie zu ihrer nächsten Begegnung am folgenden Tage auch den König
Friedrich Wilhelm III. hinzu, aber weder dieser noch sein Staatskanzler
Hardenberg hatten einen Einfluß auf die Verhandlungen, und auch die Königin
Luise, die ihren Abscheu vor Napoleon überwand und mit ihm am 6. Juli eine
Unterredung in Tilsit hatte, erreichte keine Zugeständnisse. Schon am
nächsten Tage unterzeichnete der französische Außenminister Talleyrand im
Auftrage seines Herrn den Frieden mit Rußland, und am 9. Juli wurden die
preußischen Unterhändler, die Grafen Kalckreuth und von der Goltz, gezwun-
gen, für Preußen diesem Frieden beizutreten. Hardenberg war ausgeschaltet,
da Napoleon sich weigerte, ihn als Vertreter Preußens anzuerkennen.

Alexander hatte zwar seinen Verbündeten, dem er wenige Monate vorher,
am 26. April in Bartenstein, feierlich versprochen hatte, keinen Sonderfrieden
mit Frankreich zu schließen, preisgegeben, aber sein Ehrgefühl ließ doch nicht
zu, Preußens Vernichtung zu besiegeln. Napoleon hätte zweifellos am liebsten
die Hohenzollern entthront und Preußen ausgelöscht, aber dem größeren Ziel
zuliebe, der Verständigung mit dem Zaren über die Kontinentalsperre, ließ er
einen preußischen Reststaat bestehen. Er stellte ihn aber unter dauernde
Kontrolle, da er in der Konvention von Königsberg, am 12. Juli durchsetzte,
daß die französischen Besatzungstruppen erst nach der Bezahlung der Kriegs-
kontribution zurückgezogen werden sollten, wobei die Höhe der Kontribution
und die Art der Bezahlung erst später festgesetzt werden sollten. Wer denkt
da nicht an die Blankounterschrift, die Deutschland am 28. Juni 1919 in Ver-
sailles abzugeben gezwungen wurde !

In den Gebietsabtretungen unterschied sich der Tilsiter Frieden vom Versail-
ler insofern, als Ostpreußen in vollem Umfange erhalten blieb und auch seine
Verbindung mit der Mark Brandenburg nicht unterbrochen wurde. Zwar wurde
Danzig auch damals Freistaat mit französischer Besatzung, aber sonst wurden
nur Kulm und Thorn von Westpreußen abgetrennt und zum Großherzogtum
Warschau geschlagen. Auf den absurden Gedanken, Preußen durch einen bis
zur Ostsee reichenden polnischen Korridor zu teilen, ist damals niemand ge-
kommen. Aber die Friedensbedingungen legten dem Volk eine schwere Last
auf. Sie waren darauf berechnet, dem preußischen Staat die Luft abzu-
schnüren, ihm nach einer Frist, die nicht viel mehr als ein Todeskampf sein
sollte, ein Ende zu machen. In dieser hoffnungslosen Lage verzagten die
Preußen nicht; aus dem Unglück schöpften sie die Kraft für den Wiederaufstieg.
Es ist eine der Lehren der Geschichte, daß große Aufgaben eine gesunde Nation
nicht erdrücken, sondern Kräfte wecken, wenn diese Aufgaben nur wirklich
begriffen werden. Sie hießen damals wie heute innere Erneuerung und Wieder-
vereinigung mit den gegen den Willen der Bevölkerung abgetrennten Gebieten.
Dr. Gause

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 6. Juli 1957

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Der Friede zu Tilsit.

Beitragvon -sd- » 16.05.2021, 19:45

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Aus der Geschichte Ostpreußens.

Von Friedrich dem Großen bis zum Frieden von Tilsit.
Von Prof. Dr. Bruno Schumacher.

Wenn man Friedrich Wilhelm I. geradezu als „Ostpreußens Vater“ bezeichnen kann, hat Friedrich
der Große nur den Anspruch darauf, Ostpreußens, „Stiefvater“ genannt zu werden. Schon von
seiner Kronprinzenzeit her hatte er gegen das Land und seine Bewohner eine schwer erklärliche
Abneigung, der er auch in späteren Jahren wiederholt Ausdruck gegeben hat. Im Gegensatz zu
seinem Vater ist er nur selten dort gewesen, und bei aller Verehrung der Ostpreußen für seine
geschichtliche Größe ist doch nie der Wunsch aufgetreten, das Andenken des Königs durch ein
Denkmal auf ostpreußischem Boden zu ehren. Daß die Provinz trotzdem auch unter seiner
Regierung an der Verwaltungstätigkeit und Wohlfahrtspflege des preußischen Staats ihren
Anteil hatte und somit das Werk Friedrich Wilhelms nicht vernachlässigt wurde, war aber nicht
sowohl der liebevollen Fürsorge des Königs zuzuschreiben, als vielmehr der pflichttreuen Arbeit
des von seinem Vater geschaffenen Beamtentums, das erst unter Friedrich dem Großen die
Früchte jener großen Erziehungsarbeit erbrachten. Mit hohen Ehren ist hier vor allem der Name
des Mannes zu nennen, der fast während der ganzen friderizianischen Periode die Geschicke
Ostpreußens betreute und der zu den bedeutendsten Verwaltungsbeamten des 18. Jahrhunderts
gehört, Johann Friedrich Domhardts.

Er stammte aus jenen zu Friedrich Wilhelms Zeiten nach Preußen übergesiedelten westdeut-
schen Domänenpächterkreisen, und er fiel früh durch seine landwirtschaftliche Tüchtigkeit
und sein Verwaltungstalent auf, so daß er bald ganz zur Verwaltung gezogen und bereits 1757 –
obwohl nicht adlig – zum Präsidenten der Gumbinner Kriegs- und Domänenkammer ernannt
wurde. Das geschah gerade doch rechtzeitig, ehe die Russen im Siebenjährigen Kriege ganz
Ostpreußen besetzten. Friedrich hatte zwar zunächst noch die Provinz zu halten gesucht, und
Domhardt hatte dem Führer des ostpreußischen Korps, dem Feldmarschall Lehwaldt, die
tätigste Mitwirkung dabei geleistet, im Herbst 1757 aber, als der König gegenüber der ihn
von drei Seiten bedrängenden Übermacht seine Kräfte auf die Mitte des Kriegsschauplatzes
konzentrieren mußte, räumte er die Provinz militärisch völlig, worauf im Januar 1758 eine
russische Armee Ostpreußen kampflos besetzte.

Während die meisten anderen leitenden Beamten das Land verlassen hatten, blieb Domhardt
auf seinem Posten, nachdem er vorher noch rechtzeitig die staatlichen Kassen und das
Trakehner Gestüt nach Westen gerettet hatte. Freilich mußte er nun, wie das ganze Land,
der russischen Kaiserin Elisabeth den Treueid schwören, bewahrte aber durch sein kluges
Auftreten und seine Umsicht die Provinz vor allzu schweren Lasten, so daß er sie nach
vier Jahren als besterhaltenen aller preußischen Landesteile dem König zurückgeben konnte.
Ja, er konnte sogar während der russischen Besetzung dem König unter der Hand gewisse
Hilfsmittel zufließen lassen, obwohl manche schweren Beschädigungen des Landes, z. B.
weitgehende Waldverwüstungen, nicht zu verhindern gewesen waren. Im allgemeinen aber
war das Leben unter der Russenherrschaft erträglich, zumal die russischen Kontrollorgane
in zunehmendem Maße aus Bequemlichkeit den preußischen Dienststellen freie Hand ließen.
Und als nun 1762 unter Peter III. und, nach seiner baldigen Ermordung unter Katharina II.
der Frieden zwischen Rußland und Preußen zustande kam, kehrte das Land im September
1762 unter preußische Herrschaft zurück. Was Domhardt, nunmehr auch zum Präsidenten
der Königsberger Kammer ernannt, in den wenigen Monaten bis zum Ende des Sieben-
jährigen Krieges (Februar 1763) für die Bedürfnisse des Gesamtstaates an ostpreußischen
Menschen und Mitteln aufbrachte, hat wesentlich dazu beigetragen, dem König das Durch-
halten bis zum Friedensschluß zu ermöglichen.

Dazu kamen nun die rastlosen Bemühungen Domhardts, die Schäden der Besetzungszeit
zu heilen und auch weiterhin das Siedlungs- und Retablissementswerk Friedrich Wilhelm I.
fortzusetzen, und zwar alles aus eigenen Mitteln der Provinz. Zu den bedeutendsten
Taten der Landesmelioration gehörte die erstmalige Anlage eines masurischen Kanals,
der leider nach Domhardts Tode vernachlässigt wurde.

Zu neuer, verantwortungsvoller Tätigkeit wurde Domhardt, der bereits 1771 geadelt
worden war, durch die Erwerbung Westpreußens in der ersten Teilung Polens 1772
berufen. Man weiß, daß der König dem Wiederaufbau dieses einst so blühenden
westlichen Teils des alten Ordenslandes, der trotz aller planmäßigen Polonisierung
immer noch etwa fünfzig Prozent seines deutschen Charakters zeigte, in seinen letzten
vierzehn Regierungsjahren die höchste Sorgfalt zugewandt und für ihn eine ähnliche
Bedeutung gewonnen hat, wie einst Friedrich Wilhelm I, für Ostpreußen; mit vollem
Recht hat ihm später die Provinz Westpreußen ihren Dank durch die Errichtung seines
Denkmals vor dem Schloß zu Marienburg bezeugt. Obgleich der König die neue Erwer-
bung seiner eigenen Oberaufsicht unterstellte, mochte er auch hier nicht die Erfahrung
und Arbeitskraft Domhardts entbehren und ernannte ihn sogleich 1772 auch zum Präsi-
denten der neu eingerichteten Kriegs- und Domänenkammer zu Marienwerder, so daß
er als Präsident der drei Kammern tatsächlich die Verwaltung des gesamten einstigen
Ordenslandes unter seiner Leitung hatte. Einige Jahre später wurde ihm auch noch
die Oberaufsicht über den neuerworbenen Netzebezirk mit der Hauptstadt Bromberg
übertragen. Das großartige Kulturwerk des Königs in Westpreußen ist im Rahmen
dieser Aufsatzreihe nicht zu schildern. Wer davon spricht, wird auch hier die Mitarbeit
Domhardts nicht vergessen dürfen, der darüber seine Aufgaben in Ostpreußen keines-
wegs vernachlässigte und der, als er 1781 nach einem ebenso arbeits- wie erfolgreichen
Leben heimging, so bald keinen entsprechenden Nachfolger erhielt.

Der neuen Provinz aber erteilte der König den Namen „Westpreußen“, während die alte
Provinz Preußen nunmehr den Namen „Ostpreußen“ tragen sollte. Indem sie beide zu-
sammen fortan den Namen „Königreich Preußen“ im engeren Sinne führen sollten,
war damit auch die alte Einheit des Ordenslandes offensichtlich hergestellt, wie sich
denn auch Friedrich seitdem König von Preußen, statt wie bisher in Preußen nannte.
Die letzten Lebensjahre des Königs, der allezeit, gleich seinem Vater, die Pflege des
Justizwesens zu seinen vornehmsten Herrscherpflichten gezählt hatte, galt in Ost- wie
in Westpreußen der Reorganisation der obersten Gerichtshöfe. Das große Gesetz-
gebungswerk Friedrichs aber, das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten“,
trat erst 1794 in Kraft. Seine Einführung in Ost- und Westpreußen war gewissermaßen
das letzte Vermächtnis des großen Königs an den Osten.

Die Befreiung der Bauernbevölkerung.

Die Zeit vom Tode Friedrichs des Großen (1786) bis zum Beginn der Franzosenzeit
(1806) bedeutete für den Gesamtstaat einen gewissen Stillstand. Für den Osten
jedoch traf das nicht zu; im Gegenteil, er trat durch umfangreiche Gebietserwer-
bungen, durch den Beginn wichtiger innerer Reformen, durch ein beachtliches Auf-
blühen der Wirtschaft und durch ein reiches Geistesleben gerade damals bedeutend
hervor. Die zweite Teilung Polens (1793) führte nicht nur zur Einrichtung der neuen
Ostprovinz „Südpreußen“ mit der Hauptstadt Posen, sondern verband auch die alten
deutschen Städte Danzig und Thorn, die 1772 noch von der Erwerbung ausgeschlossen
geblieben waren, wieder mit ihrem natürlichen westpreußischen Lebensraum. Für
Ostpreußen wurde wichtiger, daß 1795, nach der dritten Teilung Polens, ein breiter
Streifen östlich und südlich der Provinz, mit den beiden Hauptstädten Bialystok und
Plock, als Provinz „Neuostpreußen“ eingerichtet wurde. Hatte Westpreußen mit Danzig
von Südpreußen, so Ostpreußen mit Königsberg von Neuostpreußen mannigfache wirt-
schaftliche Vorteile. Keinesfalls jedoch wurden diese beiden neuen Provinzen als
Ausbeutungsobjekte behandelt, sondern es setzte hier, und zwar vorzugsweise in
Neuostpreußen, alsbald eine rege Fürsorge nach bewährten altpreußischen Grund-
sätzen ein, wie sie dieses völlig rückständige Gebiet noch nie erfahren hatte.

Wieder fand sich einer jener großen ostpreußischen Verwaltungsbeamten friderizia-
nischer Schule, der wie einst Waldburg und Domhardt dem Osten seine ganze Kraft
widmete. Es war der Edelmann Friedrich Leopold Freiherr von Schroetter, der 1790 –
1795 als Oberpräsident die beiden Provinzen Ost- und Westpreußen leitete seit 1795
aber im Berliner Generaldirektorium (vergleichbar dem heutigen Ministerium) als
„Provinzialminister“ das Wohl und Wehe von Ost-, West- und Neuostpreußen zu be-
treuen hatte. Seine Maßnahmen in dem völlig barbarischen Neuostpreußen haben
vielfach auf die Verwaltung der anderen Landesteile zurückgewirkt, ja, sie wurden
sogar für den Aufbau des Gesamtstaates nach dem Zusammenbruch weithin weg-
weisend. Darüber vernachlässigte von Schroetter aber die beiden älteren Provinzen
seines großen Aufsichtsbezirkes, Ost- und Westpreußen, keineswegs. Hier ist sein
Augenmerk vor allem auf die Befreiung der Bauernbevölkerung gerichtet gewesen,
die schon Friedrich Wilhelm ins Auge gefaßt hatte, Friedrich der Große aber wieder
hatte fallen lassen. Der Anfang wurde mit der Befreiung der Domänenbauern gemacht.
Der Grundsatz, daß sie freie Leute seien, hatte sich hierzulande zwar schon bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts durchgesetzt, jetzt handelte es sich hauptsächlich darum,
daß sie ihrer Pflicht zur Leistung von Hand- und Spanndiensten entledigt wurden.
Dieses große Sozialwerk wurde in Ost- und Westpreußen durch von Schroetters be-
deutendsten Mitarbeiter, den Ostpreußen Hans Jacob von Auerswald, der nachein-
ander Kammerpräsident in Marienwerder und Königsberg war, glücklich durchgeführt.

Die Bauernbefreiung auf den Domänen sollte das Vorspiel sein zu dem gleichen Ver-
fahren mit den Bauern des adligen Großgrundbesitzes. Hier wandte man sich an den
freien Willen der Gutsbesitzer. Geriet auch dieser Teil des Reformwerkes schließlich
ins Stocken, so sind doch in Ost- und Westpreußen damals eine Reihe der großen
Adelsfamilien (z. B. sämtliche Dohnas) dem Beispiel des Staates gefolgt; jedenfalls
ist zu betonen, daß das alte Ordensland sämtlichen anderen Provinzen des preußischen
Staates mit der freiwilligen Aufhebung der Gutsuntertänigkeit voranging.

Ein bedeutungsvolles Geistesleben.

Solche fortschrittliche Gesinnung lag nicht nur im Wesen einzelner hervorragender
Reformer, sondern auch in der Geisteshaltung, die sich, vielfach genährt durch die
seewärtigen Handelsbeziehungen, insbesondere zu England, seit der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts weiter Kreise in Ostpreußen bemächtigt hatte und zu einem
regen Geistesleben führte, das seinen Mittelpunkt in der Königsberger Universität
hatte. Hier übte Immanuel Kant (gest. 1804) durch seine philosophischen Lehren seit
1755 einen ständig wachsenden Einfluß nicht nur auf die gebildete ostpreußische
Jugend aus, sondern lenkte auch die Augen der ganzen Welt auf die ferne Pregelstadt.
Neben ihm wirkte besonders nachhaltig sein jüngerer Kollege und Freund, Christian
Jacob Kraus, der als Volkswirtschaftslehrer die gleichzeitige und die folgende Gene-
ration der Reformer aufs stärkste beeinflußt hat. Vertrat er doch die Ideen des
englischen Philosophen und Nationalökonomen Adam Smith, der den freien Wettbe-
werb aller wirtschaftlichen Kräfte eines Landes im Verein mit persönlicher Freiheit
und rechtlicher Gleichstellung aller Staatsbürger als die notwendige Grundlage jeg-
licher Nationalwohlfahrt lehrte.

Auch durch eine Reihe andersartiger, schöner, bisweilen auch eigenartiger Talente
glänzte die damalige Gesellschaft Königsbergs. Unter ihnen seien hier nur solche
genannt, die weithin für das gesamtdeutsche Geistesleben Bedeutung gewonnen haben,
wie Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder, Theodor von Hippel, Ernst
Theodor Amadeus Hoffmann. Haben sie später zum Teil ihre Wirksamkeit außerhalb
Ostpreußens entfaltet, so brachte doch der fortwährende Zustrom auswärtiger, von
Kants Namen angezogener Gäste immer neue Anregung und neues Leben hierher. Zahl-
reiche Zeitschriften, rührige Buchhandlungen und reichhaltige Leihbibliotheken, Kunst-
ausstellungen und Konzerte, vor allem aber die beiden stehenden Theater in Königs-
berg und Danzig förderten das allgemeine Bildungsbedürfnis im Osten.

Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der beiden Ostprovinzen gestalteten sich um die
Jahrhundertwende äußerst günstig. Die Getreideausfuhr aus Ost- und Westpreußen nahm
besonders während der englisch-französischen Kriege des ausgehenden 18. Jahrhunderts
erheblich zu; infolgedessen stieg der Wert des Bodens um ein Bedeutendes. Die Begrün-
dung der Westpreußischen Landschaft (1787) und der Ostpreußischen (1788) hatte dem
adligen Grundbesitz beider Provinzen die Aufnahme eines geregelten und billigen Grund-
kredites ermöglicht. Jedenfalls sah die Landwirtschaft glänzende Tage, und das wirkte
wieder auf den städtischen Handel zurück. Die Königsberger Kaufleute wurden reich, und
der Handel Danzigs nahm seit dessen Wiedervereinigung mit Westpreußen rasch einen
erneuten Aufschwung.

Gegenüber dieser allseitigen Bewegtheit des geistigen und wirtschaftlichen Lebens war
das Interesse an den Fragen der Außenpolitik recht gering. Die Friedenspolitik Friedrich
Wilhelms III. (seit 1797) fand in Ost- und Westpreußen allgemeinen Beifall. Man fühlte
sich hier im Bewußtsein eines reichen Kulturlebens und eines behaglichen Wohlstandes im
eigenen Lande äußerst wohl und empfand — fern von den napoleonischen Kriegsschauplätzen
des damaligen Europas — keine Veranlassung, an irgendwelche außenpolitische Gefährdung
des Staatsganzen zu denken.

Die Katastrophe von 1806 und ihre Folgen.

Umso unerwarteter brach daher in diese landschaftliche Selbstzufriedenheit und arglose
Friedensstimmung des Ostens die Katastrophe herein. Als man am 13. November 1806 in
Königsberg von der Niederlage des preußischen Heers bei Jena (14.10.) erfuhr, war
Napoleon nicht mehr fern der Weichsel. Hier fand er zum ersten Mal während des ganzen
Feldzugs ernsthaften Widerstand. Erst im Dezember 1806 räumte das ostpreußische Korps
die Weichselübergänge im Kulmerland. Graudenz und späterhin Pillau gehörten zu den ganz
wenigen Festungen des Preußischen Staates, die nicht kapitulierten. Die Reste des preußi-
schen Feldheeres aber gaben den Ausschlag in der ersten Schlacht, die Napoleon nicht
gewann, als sie das von den verbündeten Russen am 7. Februar 1807 bereits aufgegebene
Schlachtfeld von Pr.-Eylau am 8. Februar gegen die Franzosen behaupteten. Napoleon war
gegen seine Gewohnheit zunächst gezwungen, Winterquartiere zu beziehen. Das gräflich
Dohna‘sche Schloß in Finckenstein an der Grenze zwischen Ost- und Westpreußen beher-
bergte damals monatelang den gefürchteten Imperator.

Kaum aber war Ende Mai das tapfer verteidigte Danzig nach langer Belagerung gefallen,
ging Napoleon aufs Neue gegen die Verbündeten vor. Mit dem Sieg bei Friedland am
14. Juni entschied er das Schicksal Preußens. Denn schon zwei Tage später fiel das unver-
teidigte Königsberg mit reichen Kriegsvorräten in die Hand des Feindes, der russische
Kaiser Alexander I. trennte sich von Friedrich Wilhelm, wurde Verbündeter Napoleons und
schloß mit diesem am 7. und 9. Juli den verhängnisvollen Frieden von Tilsit, den Preußen
einfach als Diktat entgegenzunehmen hatte und dessen Milderung auch der Königin Luise
in ihrer berühmten Unterredung mit Napoleon nicht im geringsten gelang.

Am schwersten wurde durch die Friedensbedingungen die östliche Machtstellung Preußens
getroffen. Danzig wurde Freie Stadt, aus den Erwerbungen der zweiten und dritten Teilung
Polens bildete Napoleon das neue Großherzogtum Warschau; Westpreußen jedoch, wenn
auch stark verkleinert, beließ er — entgegen den Wünschen der Polen — als notwendige
Landbrücke bei Preußen. Ostpreußen, das zunächst bis zur Memel von den Franzosen
besetzt war, verlor zwar kein Gebiet, mußte aber ungeheure wirtschaftliche Opfer bringen.
Eine Kontribution von acht Millionen Franken, die der Provinz auferlegt wurde, wog nicht
so schwer wie die ungeheuren, auf hundert Millionen Taler berechneten Schäden, die ihr
durch die französische Besetzung bis zum 1. August und die vorhergehenden Kriegsver-
wüstungen entstanden waren. Dem Krieg aber folgte, durch ihn hervorgerufen, ein furcht-
bares, allgemeines Viehsterben, das den Wohlstand der ländlichen Bevölkerung auf Jahre
hinaus vernichtete. Und wie das platte Land durch den Krieg und seine Folgen, so wurde
Königsberg nicht nur durch eine Sonderkontribution von vier Millionen Franken für fast
ein Jahrhundert in seiner Entwicklung stark beeinträchtigt (die letzten Anleiheschuld-
scheine konnten erst 1901 bezahlt werden !), sondern sofort aufs schwerste durch die
von Napoleon gegen England verhängte Kontinentalsperre getroffen. Wurde durch sie die
Ausfuhr ostpreußischen und die Durchfuhr russischen Getreides nach England und damit
die wichtigste Geldquelle für Stadt und Land verstopft, so stieg durch das Einfuhrverbot
der Preis aller sonst von England eingeführten Waren, darunter des Salzes und der wich-
tigsten Kolonialwaren, ins Ungeheure. Der bisherigen wirtschaftlichen Blüte Ostpreußens
folgte eine tiefe Verarmung.

Quelle: WIR OSTPREUSSEN, 20. Febuar 1950

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