Das Hungerjahr 1817.

u.a. Löhne / Preise - Lebenshaltungskosten.

Das Hungerjahr 1817.

Beitragvon -sd- » 12.01.2012, 13:11

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Ursachen des Hungerjahres 1817 sowie über Wucherer und Kornschieber.

Der Nördlinger Stadtschreiber Johannes Müller (geboren am 10. Juli 1752 und gestorben
am 4. November 1824) war ein vielseitig interessierter Mann. Der Hobbymaler hinterließ
eine Fülle an Motiven seiner Heimatstadt und des Rieses. Noch bedeutsamer ist aber
seine Chronik, in welcher er sorgfältig das Tagesgeschehen festhielt. Seine Aufzeich-
nungen dienten dem Wallersteiner Heimatforscher Hartmut Steger als Grundlage für
seinen diesjährigen Vortrag über das Jahr 1817, welches als das "Hungerjahr" in die
Geschichte eingegangen ist.

Das Hungerjahr 1817 - Ein Jahr ohne Sommer.

Die Ursache für das "Hungerjahr 1817" liegen im Jahr 1816, als sich, wie der Stadtschreiber
festhält, die Witterung auffällig verschlechtert. Im Juni und Juli 1816 regnet es fast pausen-
los, Gewitterstürme mit Hagel vernichten große Teile der Ernte. Bereits am 14. September
gibt es den ersten Frost. Am 12. November wird der, noch nicht eingebrachte Teil der Ernte,
unter dem Schnee begraben.

Sonnenflecken und Vulkanausbruch.

Der meteorologisch und naturwissenschaftlich interessierte Müller forscht nach den Gründen
für das schlechte Wetter. Ihm fällt auf, daß die Sonne, wenn überhaupt, nur fahl und ver-
schleiert am Himmel steht. Aus Glas, das er mit Ruß bestreicht, fertigt er sich eine Sonnen-
brille und beobachtet damit das Zentralgestirn. Er entdeckt Sonnenflecken und vermutet
richtig, daß diese Sonnenflecken etwas mit der Wetterverschlechterung zu tun haben.

Heute weiß man, daß diese Sonnenflecken Gebiete sind, in denen auf der Sonne heftige
Stürme toben. Etwa in einem Elf-Jahres-Rhythmus erreichen diese Stürme ein Maximum,
was in diesen riesigen Sturmgebieten zu einer Absenkung der Oberflächentemperatur von
6000 C auf 4000 C führt. Dadurch strahlt die Sonne weniger Wärme und Energie ab. Dies
führt zu einem Absinken der mittleren Jahrestemperatur auf der Erde um rund 0,4 C im
Vergleich zu Normaljahren, und führt nach neuesten Erkenntnissen weltweit wiederum zu
schlechteren Ernteergebnissen. 1816 war so ein Jahr maximaler Sonnenfleckentätigkeit.

Mantel aus Dreck

Was Müller nicht wissen konnte: Im Jahr 1815 war der 4000 Meter hohe Vulkanberg
Tambora in Indonesien ausgebrochen - der stärkste Vulkanausbruch in der Geschichte,
bei dem rund 60 Kubikkilometer Staub, Asche und Gestein (manche Schätzungen sprechen
sogar von bis zu 150 Kubikkilometer) hoch geschleudert und bis in die äußersten Luft-
schichten getragen wurden. Dieser Dreckmantel in der Erdatmosphäre läßt die Tempera-
tur um weitere 1,5 C absinken. Damit waren diese beiden, sich überlagernden Natur-
phänomene der Grund, daß das Jahr 1817 weltweit das "Jahr ohne Sommer" genannt
wurde.

Der Preis steigt und Hilfe für die Armen wird nötig.

Als sich im Juni abzeichnet, daß eine katastrophale Ernte zu erwarten ist, beginnen
die Getreidepreise (das Brotgetreide dieser Zeit war Dinkel) zu steigen. Kornschieber,
Wucherer und skrupellose Händler kaufen die Dinkelvorräte auf. Die Lebensmittel-
preise steigen und steigen. Im Juni und Juli 1817, also bis zum Anschluß an die neue
Getreideernte, erreichen sie ihren Höchststand und klettern auf das sechs- bis acht-
fache der Preise in einem Normaljahr. Umgerechnet auf heutige Verhältnisse kostete
damals ein Pfund Schwarzbrot 18 bis 20 Euro.

Sind zunächst vor allem die Armen betroffen, können sich bald auch die Bürger des
Mittelstands das tägliche Brot kaum mehr leisten und müssen zum Teil ihren ganzen
Hausrat versetzen. "Je mehr die Teuerung überhand nahm, desto höher war die
Anzahl der Bettler. Mordbrennerei und Stehlen nahm überhand", schreibt Müller.
Strafen für unerlaubtes Betteln werden eingeführt, doch sie lösen nicht das Problem.

Am 17. November 1816 werden im Königreich Bayern die "Vorschriften zur Errichtung
von Armenpflegen" erlassen. Daraufhin gründen die Städte Nördlingen und Oettingen
Unterstützungsvereine. Der Nördlinger Wohlfahrtsverein läßt im ersten Halbjahr
1817 über 100.000 Pfund Brot backen, das zum Sonderpreis und teilweise sogar um-
sonst an Bedürftige ausgeteilt wird.

Die beiden Fürstenhäuser Oettingen-Wallerstein und Oettingen-Spielberg richten von
Januar bis August 1817 "Suppenanstalten" für die Armen im Ort ein. In Wallerstein
werden so rund 250 Personen unterstützt. Dazu kommen noch Hungernde aus den
benachbarten württembergischen Dörfern, "die vor Hunger ohnmächtig niedersinken
und falls sie keine Unterstützung erhielten vielleicht tot im Orte bleiben würden",
wie ein damaliger Amtsbericht festhält. Doch es gibt im Ries auch Menschen, die am
Hunger und seinen Folgekrankheiten sterben.

Die Bevölkerung leidet unter Wucherern und Kornschiebern.

Als im Sommer 1817 eine reiche Ernte eingefahren wird, kommt es zu einer großen
Enttäuschung. Die Getreidepreise fallen nicht auf das Normalmaß zurück, sondern
bleiben etwa dreimal so hoch. Auf der Suche nach den Ursachen wird klar, daß
Wucherer und Kornschieber ihre Hand im Spiel haben. Jetzt richtet sich die ganze
Wut und Verbitterung gegen diese Geschäftemacher.

Einer, der es besonders arg getrieben hat, ist der Pächter des Straußenhofes in
Hohenaltheim, Egidius Huggenberger, im Volksmund "Gide" genannt. Ihm wird
vorgeworfen, er habe einem Bäcker das Schaff Kern (entspelzter Dinkel) für 103
Gulden angeboten und sich nur um acht auf 95 Gulden herunterhandeln lassen.
(Normalpreis für ein Schaff Kern waren rund zehn Gulden). Der "Gide" wird zur
Symbolfigur des abscheulichen Kornschiebers, sein Bild wird auf ein großes Plakat
gemalt und an der Schranne in Nördlingen aufgehängt. Dieses Bild wird oft kopiert
und noch bis in die Zeit des ersten Weltkrieges, knapp einhundert Jahre später,
finden sich diese Erinnerungsbilder an das Hungerjahr 1817 in Rieser Bauernhäusern.

Aber auch in der Stadt Nördlingen habe es eine Reihe solcher Kornschieber und
Geschäftemacher gegeben. Bürger, die nach dem Hungerjahr kostspielige Immobi-
liengeschäfte tätigten und so zu Reichtum gelangten, wie der Chronist Johannes
Müller gewissenhaft notiert hat. (gne)

Quelle:
Augsburger Allgemeine vom 12. Januar 2012.
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